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Thema: Was tun, wenn der Betroffene konsequent die Realität ignoriert?

Was tun, wenn der Betroffene konsequent die Realität ignoriert?
Nicolette
25.07.2014 16:08:38
Hallo,

bei einem Angehörigen ist vor wenigen Wochen ein Glioblastom Grad IV diagnostiziert worden. Er hat die erste OP gut überstanden, auch wenn nicht der komplette Tumor, der sehr groß war, entfernt werden konnte.

Es zeichnet sich ab, dass der Betroffene (Ende 30, 3 Kinder, das älteste ist noch im Grundschulalter) mit seinem Gesundheitszustand nicht realistisch umgeht. Er verharmlost die Lage und verweigert die Aufnahme von Informationen ("das zieht mich nur runter"). Gleichzeitig meint er, er könne nun weitermachen wie bisher und geht davon aus, dass "Alles gut gehen" werde. Auch vor seinen Kindern, die bereits leichte Verhaltensauffälligkeiten zeigen, verbirgt er die Ernsthaftigkeit seiner Krankheit. Sicher spüren sie, dass etwas verheimlicht werden soll und haben Angst.

Vorsichtige Versuche, Gespräche zu führen, werden abgeblockt. Wenn wir das Thema Psychoonkologie ansprechen, werden wir "belächelt". Wir möchten unseren Angehörigen nicht bedrängen, haben aber Sorge, dass sein Umgang mit der Krankheit sich nachteilig auf den weiteren Verlauf auswirken wird.

Grundsätzlich herrscht in der Kernfamilie dieses Verwandten eine Verdrängungskultur, und der Umgang mit Gefühlen gestaltet sich äußerst schwierig.

Zwei Fragen:

1. Wie viel Zeit benötigen Patienten in der Regel, um den Ernst der Lage zu realisieren?
2. Was können wir als Angehörige tun, um - vor allem im Hinblick auf das Wohl der Kinder - zu helfen?

Viele Grüße,
Nicolette



Sollte
Nicolette
Gspensterl
25.07.2014 16:46:52
Hallo,
Was soll er denn machen?
Er war zur OP, den Resttumor muss er beobachten lassen.
Solange er das tut und sein evtl. verordneten Medikamente nimmt ist doch alles gut!
Er kann nichts anderes tun, als abwarten.
Es ist doch gut wenn er versucht so schnell als möglich ein normales Leben zu führen.
Seine Diagnose ist ihm bekannt. Sicher wurde er von Ärzten über den möglichen Werdegang informiert. Das reicht doch!
Warum soll er sich weiter Informieren über das was eventuell irgendwann mal auftreten könnte.
Wenn es so weit ist, muss er sich dem eh stellen.
Wenn er wie schon erwähnt seine Nachsorgeuntersuchungen und sonstige ärztl. Anordnung befolgt, lasst es gut sein und ihm seine Ruhe damit.
Er will seine Krankheit nicht in den Mittelpunkt stellen und ihr müsst dies tolerieren.
Wenn ihr ihn weiterdrängt, ist es nicht die Krankheit die ihn runterzieht, sondern IHR!
Sicher kann ich euch verstehen, aber es ist seine Entscheidung wie er mit SEINER Krankheit umgeht.
Anita
Gspensterl
talbo
25.07.2014 16:47:33
Liebe Nicolette,
es ist traurig, von einem weiteren Fall eines noch so jungen, betroffenen Menschen zu lesen. Dazu noch mit drei Kindern. Auch Deine Sorge kann ich gut verstehen, habe allerdings selbst lernen müssen, dass jeder Betroffene seinen eigenen Umgang mit dem Schrecken dieser Krankheit finden muss. Auch mein Mann hat sich, als er mit 28 Jahren die Diagnose bekam, zunächst selbst geschützt, indem er das Thema gemieden hat. Schritt für Schritt hat er sich dann mit den harten Wahrheiten beschäftigt. Das hat aber Monate gedauert.
Was soll auch so schlecht daran sein, dass Dein Angehöriger sich momentan der Auseinandersetzung entzieht? Du schreibst, das könne sich nachteilig auf den weiteren Verlauf auswirken. Ich glaube das nicht. Optimismus ist eine starke, wertvolle Kraft. Lass sie ihm, so lange er sich nicht den notwendigen Therapien (Bestrahlung, Chemo) verweigert.
Nun habe ich keine kleinen Kinder, glaube aber kaum, dass sie das volle Ausmaß der Krankheit verstehen können. Auch da ist also Ehrlichkeit von zweifelhaftem Wert. Vielleicht kannst Du ja, als Angehörige, etwas näher an die Familie heranrücken, Dich unaufdringlich anbieten - und zur Stelle sein, wenn es akut werden sollte.
Ich wünsche euch auf jeden Fall alles Gute.
Liebe Grüße
Erik
talbo
Bulli2014
25.07.2014 16:55:23
Hallo liebe Nicolette,
Ich begrüsse dich hie im Forum, auch wenn es kein schöner Anlass ist...
Ich glaube das das Verdrängen aller negativen Prognosen seitens des Betroffenen meist auch eine Art der Verarbeitung sein kann.. denn diese Diagnose ist oft unfassbar und auch nicht begreifbar.
Auch wenn es schwer ist ist es meist gut auch Zeit zu lassen um dieses bearbeiten zu können. Viele Betroffene und auch Angehörige brauchen einfach Zeit und den Rückhalt der Familie.. auch wenn es schwer fällt in euren Augen nur zuzusehen... lasst die Zeit zu.... Der Tag wird kommen an dem Hilfe gebraucht und verlangt wird und ihr seid da.
Ich grüße euch
Bulli2014
(Papa du wirst immer bei uns sein)
Bulli2014
Nicolette
25.07.2014 17:06:35
Danke für die Kommentare.

Ja, Optimismus ist eine wertvolle Kraft. Und Nichts liegt uns ferner, als dem Betroffenen seinen persönlichen Umgang mit der Krankheit zu verwehren. Wir haben ihn bisher nicht bedrängt und werden dies auch künftig nicht tun.

Wir alle hoffen, dass er noch sehr viele Jahre oder Jahrzehnte leben wird mit dieser Krankheit, auch wenn die Statistik eine andere Sprache spricht.

Wir haben einfach nur Angst, dass er sich dauerhaft verschließt und seine Lage nicht wahrhaben möchte. Es macht schon einen Unterschied, ob man optimistisch ist und der Krankheit ins Auge blickt oder ob man so tut, als habe man sich eine "kleine Grippe" eingefangen.

Verstehen können die Kinder die Dinge sicher nicht so, wie es Erwachsene können. Sie tun es auf ihre Weise. Es kommt darauf an, wie man es ihnen vermittelt. Auf jeden Fall haben sie sehr feine Antennen.
Nicolette
Nicolette
25.07.2014 17:08:13
Aber es stimmt, wir können wohl erstmal nur abwarten, wie sich die Dinge jetzt entwickeln.
Nicolette
alma
25.07.2014 17:32:25
Man lässt nur das an sich heran, was man auch verarbeiten kann. Abwehr der Realität ist eine wertvolle Funktion. Sie schützt das Innere vor Überflutung. Niemand kann von sich sagen, wie es ihm selbst gehen würde, wenn er die Diagnose Glioblastom bekäme. Alles, was man sich als noch Gesunder vorgestellt hat, ist dann graue Theorie.
Deshalb nichts tun. Abwarten. In Ruhe lassen. Und wenn er das bis zum Ende durchzieht. Aber auch nicht auf die Fiktion einsteigen, dass nun alles in Ordnung ist. Es könnte sein, dass er das als Betrug erlebt. Wahrscheinlich weiß er irgendwo in einer Ecke seiner Seele, dass er in Gefahr ist.

Gruß, Alma.
alma
Nicolette
25.07.2014 17:35:57
Vielen Dank Alma,

Deine Worte tun gut.

Gruß,
N.
Nicolette
Lilyfee
25.07.2014 19:10:37
Ehrlich gesagt ich finde es toll, was er macht.
So wie schon Gespensterl gesagt hat ... lasst ihn in Ruhe. Und oft ist verdrängen einfach heilsam,
Um Gottes Willen, ich bräuchte niemanden, der mir sagt was ich in dieser Situation machen soll bzw. mir erzählen ich muss mich der Realität stellen ... diese Personen hätten für mich ausgespielt.

LG lilyfee
Lilyfee
dirlis
25.07.2014 20:48:05
Liebe Nicolette,

Auch von mir ein Willkommen. du hast schon großartige Antworten und Anregungen bekommen.

Mein Mann ist 42, Glioblastom seit 19 Monaten , inzwischen Hospiz.
Wir haben 3 Kinder, heute 12, 10 und 7Jahre alt.
Mein Mann hat die Krankheit nicht ignoriert, aber er hat sich bewusst nicht damit auseinandergesetzt. Hat versucht optimistisch das Leben, wie er es geliebt hat, solange nur möglich weiter zu leben.
die Familie meines Mannes hat uns sehr lange Gespräche über die Krankheit verwehrt, da ihnen emotionale Themen schon immer schwer fallen. Empathie ist anders...
Ich denke, dass wir in einer vergleichbaren Situation waren/sind....

Diese Diagnose zu verstehen ist eins, sich in sein Schicksal zu stellen und zu akzeptieren, dass das eigene Leben (viel zu früh) enden wird, sich darauf einzustellen und möglichst konstruktiv umzugehen, vermutlich gar nicht möglich.

Vielleicht mag man für die Lieben vorsorgen, so weit das nach Feststellung der Diagnose den noch geht...

Es braucht auf jeden Fall viel Zeit.

Du schreibst, die Kinder hätten bereits Verhaltensauffälligkeiten? Was genau meinst Du? welche Auffälligkeiten gibt es?

Unsere Kinder sind von Anfang an in Gänze informiert. sie haben diese Informationen natürlich altersentsprechend unterschiedlich verarbeitet. Im Ergebnis weiß jedes Kind, dass wir nicht mehr viel Zeit mit dem Papa haben. Und wenn die Kleine vorbei hopst, den Vater küsst und mitteilt, dass sie möchte, dass wir ein Familiengrab bekommen, dann darf ich davon ausgehen, dass auch die Kleine verstanden hat, um was es geht.

Mir war immer wichtig, dass unsere Kinder nicht in einer Atmosphäre der Unwissenheit und der Sorge vor dem Unbekannten Leben. Denn natürlich bekommen sie mit, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Ich bespreche mich regelmäßig mit Fachleuten und bislang hält keiner eine Intervention bei den Kids für erforderlich. Aber das ist nur mein Weg, es gibt andere.

Darf ich Dich etwas fragen? Hast Du Dein Testament gemacht? Falls Du selber Kinder hast, gibt es eine Sorgerechtsverfügung? Gibt es eine Patientenverfügung oder eine Betreuungsvollmacht? Hat Du entschieden, ob Du Organe spenden möchtest? Weißt Du schon, wo Du beerdigt werden möchtest?

Unbequeme Fragen. Schon wenn man gesund ist, möchte man sich damit nicht auseinandersetzen, stimmt's? Zumindest ist das bei den Allermeisten so.

Bitte versteh dies alles nicht als Angriff. alleine, dass Du hier schreibst, zeigt, dass Du Dich sorgst und das alleine zeichnet Dich in meinen Augen aus.

Lass ihnen Zeit.
lass sie damit umgehen, wie sie es für richtig erachten, es ist ihr Leben.
Normalität IST großartig. Nach dieser OP wieder ins Leben zurück zu finden. Ist eine herausragende Leistung. Großartig, wenn dies gelingt.
Sei bereit zu helfen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Lass sie nicht alleine, selbst, wenn Du lange warten musst.
Die Hilflosigkeit, die Du vermutlich fühlst, und die Kunst damit umzugehen, dass ist nun Deine schwierige Aufgabe. Falls es Dir hilft, hol Dir selber Hilfe.

Herzliche Grüße von Dirlis
dirlis
d.skopp
25.07.2014 21:04:32
Liebe Dirlis, prima geschrieben, er sollte selbst entscheiden wann er sich mitteilt, wird passieren, wissen wir selbst nur drängen ist nicht der Weg.

LG jens
d.skopp
Fiete
25.07.2014 22:14:19
Ich kann dazu folgendes beitragen. Ich kenne zwei Betroffene, die seit 6 jahren (!) wohlauf sind. Beide ignorieren die diagnose.

Ich wünsche, das dies ein Effekt ist, der auch bei euch eintrifft.
Fiete
Morgensonne
26.07.2014 09:23:36
Hallo Nicolette,
Deine erste Frage, wieviel Zeit der Patient braucht, um seine Situation zu erkennen kann wohl kaum jemand genau beantworten. Nach meinen Erfahrungen, meine Frau ist nach 7 Jahren Kampf vor kurzem gestorben, weiß der Patient sehr genau in welcher Situation er sich befindet u. ich glaube nicht, dass es sich nur um Selbstschutz handelt, wenn er vermittelt, dass alles in Ordnung ist, sondern er ist so stark, dass er die anderen, seine liebsten Verwandten schützen möchte. Das kann natürlich nicht ewig gut gehen, aber er möchte nicht , dass sich die anderen um ihn Sorgen.
Zur 2. Frage
Eure wichtigste Aufgabe sollte es sein, das den Kindern genau so zu vermitteln u. ihnen auch zu sagen, dass der Papa nicht will, dass er bedauert, bemitleidet werden möchte, sondern dass für sie das Leben so weiter gehen soll wie bisher. Für die Kinder wird das sehr schwer, aber man sollte es versuchen.
So sind meine Erfahrungen, die ich nicht als Dogma sehen möchte. Natürlich wird es Angehörige geben, die andere Erfahrungen gemacht haben.
LG, Gernot
Morgensonne
Schwan01
28.07.2014 19:51:43
Hallo Nicolette,
so wie euer Angehöriger mit seiner Krankheit um geht, ist das beste was er machen kann, sich hin setzen und warten was kommt oder was passiert, ist verkehrt.

Jeder der mit dieser Diagnose lebt, weiß um was es sich handelt und wie die Prognosen sind, aber es handelt sich hier um Menschen, zum Glück hat jeder seine eigene Persönlichkeit, klar diese Diagnose nimmt einem schon den Boden unter den Füßen weg, ich persönlich spüre ihn immer noch nicht, vor 10 Monate ist meine Tochter an einem Glioblastom erkrankt, nachdem ich auf ein Gespräch in der Klinik gebeten hatte, waren/sind die Prognosen nicht gut, 6 Monate oder 12 Monate, wie gesagt uns sind 10 Monate geschenkt worden, die mehr wie schwierig sind, aber wir haben so schöne Momente erlebt, sind ganz nah zusammen gerückt, all das kann uns niemand nehmen.

Ich wollte oft, sehr oft unbewusst meiner Tochter alles abnehmen, passiert immer noch, aber ich bin Mama ich sah sie als kleines Mädchen und nicht wie eine 31 jährige junge Frau.

Jeder der an diesem Miststück erkrankt, operiert wird, Bestrahlung, Chemo und all dies gemeistert hat, sich in ein völlig neues Leben zurück gekämpft hat - vor diesem Menschen sollten wir großen Respekt haben - wir als Mutter, Vater, Angehörige oder Kinder, wir können eins, für sie da sein wenn sie uns brauchen und nicht enttäuscht sein wenn sie es alleine probieren wollen.

Es ist ein sehr langer Lernprozess, dabei ist immer die Angst, dieses Unmächtig sein, so wie in ein paar Tagen 15.08. ist die nächste MRT - Untersuchung im Kalender.

Seit einer Woche ist meine Tochter bei ihrem Vater in Warnemünde, heute schickte sie mir eine SMS, das es ihr so gut geht und sie schon lang nicht mehr so glücklich war, es gibt sehr viel zu erzählen....ich bin gespannt.

Auf der anderen Seite kommt dann die Angst....., mein Mann ist noch in seiner Kur....., wie werden die 14 Tage .....es wird gehen...wir alle wissen zusammen sind wir stark.

Auch wenn es sehr schwer fällt, vermittelt allen ein normales Leben, es gelingt uns auch nicht immer, aber es ist verdammt wichtig.

So wie hier schon geschrieben wurde, habt ihr alle eure Generalvollmachten, Patientenverfügung, wollt ihr Organe spenden - ist dieses schon erledigt worden, ich muss gestehen mein Mann haben es immer noch nicht erledigt, meine Tochter hat sich mit diesem Thema auseinander gesetzt und vor ein paar Wochen sind wir gemeinsam zum Notar gefahren, wie fühlt sich dieses für euch an, auf der anderen Seite will meine Tochter leben, eine eigene Wohnung, wieder arbeiten gehen.

Lg

Manuela
Schwan01
Fifty2106
29.07.2014 13:48:13
Grüss Dich, Nocolette

Ich habe nun nicht alle Antworten auf Deine Frage gelesen, vielleicht ist es auch besser so.

Grundsätzlich reagiert jeder Mensch anders auf die Diagnose. Meine erstr Frau litt an Darmkrebs, war entsetzt und klammerte sich an's Leben.

Meine zweite Frau hat ein Gliablastom und als man ihr eröffnete, dass sie daran sterben würde, war sie nicht etwa traurig, sondern höchst erfreut.

Es kommt immer darauf an, in welchem Umfeld ein Mensch gelebt hat, wie sein Glaube oder Nichtglaube ist.
Meine erste Frau war konfessionslos, liebte das Leben, insbesondere das Reisen in ferne Länder.

Meine jetzige Frau ist hochgradig religiös, lässte s sich nicht nehmen, jeden Sonn- und Feiertag die Kirche zu besuchen und ihren Hausaltar zu pflegen.
Schon als ich sie kennen lernte, eröffnete sie mitr, ihre grosse Liebe sei Gott, ich komme erst viel, viel später.

So ist die Lebenseinstellung eines jeden menschen anders. Das sollte man respektieren.
Wenn Dein Angehöriger gleichgültig auf seine Krankheit reagiert - lass ihn in Ruhe, es ist SEIN Leben SEIN Körper.
Und das nun haben wir zu respektieren, so schmerzlich es sein mag.
Sterben müssen wir alle. Die Einen nehmen schwer abschied von dieser Welt, die Anderen gehen leicht.

Eenjk darüber nach

LG
Fifty
Fifty2106
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