Liebe Heike!
Es tut mir sehr leid, dass es Deinem Vater nun auch so schlecht geht und die Ärzte keine Möglichkeit mehr sehen. Ich denke, das Beste, was Du dann für Deinen Vater tun kannst, ist, ihn nach Hause zu nehmen. Was bei uns sehr schön war, ist, dass meine Mutter und meine drei Geschwister auch ganz bzw. größtenteils zu Hause waren. Die Umstände waren einfach so glücklich, dass mein Vater seine Familie noch einmal ganz intensiv erleben konnte und alle um sich hatte. Ich selbst bin gerade im Erziehungsurlaub und konnte deshalb den Sommer mit meiner Tochter zu Hause verbringen (mein Mann kam dann immer am Wochenende), Mein Bruder ist Lehrer und Erzieher und konnte deshalb nahezu die ganzen Sommerferien zu Hause verbringen. Das, was er arbeiten musste, hat er eben dort erledigt und für die ersten Wochen danach hat ihm sein Arbeitgeber einen Sonderplan geschustert, so dass er ganz viel bei uns sein konnte (Wochenenddienst erst nach den Herbstferien, dafür dann verstärkt ...). Meine Schwester hatte noch viel Urlaub und auch ihr Arbeitgeber hat ihr Freiräume geschaufelt und mein letzter Bruder schließlich wohnt noch zu Hause. Das war sehr hilfreich, denn so konnte man sich gegenseitig stützen und beraten. Wenn es dem einen schlecht ging, konnte ihn vielleicht gerade ein anderer trösten. Und wenn Entscheidungen zu treffen waren, war man nicht allein auf sich gestellt. Speziell meine Tochter war ein Segen in der Zeit. Denn dank ihr konnten wir auch im Wohnzimmer bei meinem Vater lachen. Das hört sich vielleicht komisch an, aber ich glaube, es war auch für meinen Vater wichtig, dass sich nicht eine düstere, schwermütige Stimmung breit machte. Ohne unser Baby hätten wir möglicherweise nie lachen können, weil wir dazu viel zu traurig waren. Aber es ist doch wichtig, das die Atmosphäre entspannt und nicht bleiern ist. Und das hat sich so ganz natürlich ergeben und uns alle immer wieder aufgebaut. Außerdem konnte mein Vater so auch noch sein Enkelkind genießen. Als er schon nicht mehr sprach, hat er einmal gelächelt, als sie ihm mit ihrem Händchen ins Gesicht patschte. Morgens kam bei uns die Sozialstation. Das war auch sehr gut, denn sie haben uns viele wertvolle Tipps zur Pflege und Lagerung gegeben. Ich habe der Schwester dann immer assistiert; so habe ich am allerbesten gelernt, wie man was macht und konnte es dann an meine Geschwister weiter geben. Einen lieben Nachbarn haben wir auch, der mehrfach für die gesamte Sippe gekocht hat u.s.w.. Also das waren wirklich glückliche Umstände.
Was den Hirndruck betrifft, so hat mein Vater nach der Entlassung aus dem Krankenhaus ca. 4 Wochen lang 24 mg Cortison (Fortecortin) bekommen. danach wurde schrittweise auf 12 mg reduziert. Schmerzen hatte er nie. Aus diesem Grund hat er auch nie Schmerzmittel oder Morphium erhalten. Wir hatten für alle Fälle etwas daheim, haben es aber nie gebraucht. Hat Dein Vater denn Schmerzen? Um Krampfanfällen vorzubeugen, bekam mein Vater Carbamazepin bzw. als es mit dem Schlucken nicht mehr klappte, Diazepam (in den Popo). Die anderen Medikamente hatten mit dem Herzinfarkt zu tun bzw. sollten die Nebenwirkungen von Cortison mildern. Eines sagte uns die Ärztin noch: viel wichtiger als alle Medikamente ist das soziale Eingebundensein in die Familie. Das ist jetzt das Allerwichtigste. Natürlich gilt das nicht absolut, denn wenn ein Mensch Schmerzen hat, muss man in jedem Fall das Menschenmögliche versuchen, um diese zu mildern, aber es bringt doch auch deutlich zum Ausdruck, dass in dieser Phase der Krankheit der Mensch in seinen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt rückt.
Liebe Heike, ich weiß nicht, ob ich Dir jetzt etwas helfen konnte. Wenn Du noch irgendwelche Fragen hast oder mit mir sprechen möchtest, so lass es mich einfach wissen. Was mir noch sehr geholfen hat, waren einige Vorträge bei einer Hospizhelferin, die ich vor der Krankheit meines Vaters gehört hatte. An manches habe ich mich wieder erinnert. Vielleicht kannst Du ja auch den Hospizdienst zu Hilfe ziehen oder dort mal ein Gespräch suchen. Ich halte sehr viel von dieser Einrichtung. Für uns wäre es immer noch ein Ausweg gewesen, falls unsere Kräfte doch nicht gereicht hätten. Übrigens gibt es in einigen Städten auch richtige Hospize. Freiburg hat zum Beispiel ein tolles Hospiz. Über eine Tante hatte ich zum dortigen Leiter immer Kontakt und ich konnte so viele Fragen beantwortet bekommen, die sich während der Pflege ergeben. Er hat uns auch vorbereitet, wie der Verlauf sein würde und was auf uns zukommen würde (er hatte selbst zu dem Zeitpunkt 7 Glioblastompatienten im Hospiz).
Also, wenn Du noch Fragen hast oder jemand zum Sprechen brauchst, lass es mich einfach wissen.
Ich wünsche Dir und Deinem Vater viel Kraft, und dass die kommende Zeit bei aller Schwere auch eine tröstende Zeit wird, die Euch Eure Familie intensiv erleben lässt. Alles Liebe, Bernadette