Liebe Lisa,
Du musst Dich weder dafür schämen, dass Du von einem Hirntumor betroffen bist noch dass Du Angst hast und Dich um psychologische Hilfe bemühen wirst!
Kein Mensch will einen Hirntumor haben, aber wir haben ihn nun mal. Das macht nicht nur uns Angst, sondern auch denen, die früher ganz normal mit uns umgegangen sind und nun Angst davor haben, uns anzusprechen. In ihren - und vor der Diagnose auch in unseren (!) - Augen ist das eine sehr schwere und tödliche Krankheit. Diejenigen, die nicht ständig um uns herum sind, können nicht wissen, dass man nach der Diagnose und den Therapien tatsächlich noch leben kann und das zwar mit Einschränkungen, aber eigentlich halbwegs normal. Du bist den anderen nicht egal, sie machen sich Gedanken, haben vermutlich auch große Angst um Dich. Wenn Du den Kontakt zu den Freunden wieder aufnehmen möchtest, dann musst (leider) Du den ersten Schritt gehen. Das muss ja nicht gleich das Klingeln an der Haustür sein, das Telefon oder, noch vorsichtiger, eine E-Mail/SMS/... können auch geeignet sein, um mitzuteilen: "Ich bin noch da und würde mich über einen Besuch / Anruf /... freuen." Einige werden erleichtert sein, Dich zu sehen und festzustellen, dass man ganz normal mit Dir reden kann.
Ganz ohne Freunde sollte man nicht bleiben.
Den Schritt, Dir einen passenden Psychotherapeuten zu suchen, solltest Du bald gehen, denn es kann lange Wartezeiten geben und womöglich ist der erste nicht gleich derjenige, mit dem man sich gut versteht. Dort kannst Du jedoch alle Ängste, Sorgen ... abladen und wirst merken, dass bereits das Reden darüber ein wenig hilft.
Es ist in unserer Unnormalität, in die wir durch den Hirntumor geraten sind, völlig normal, dass wir anders geworden sind, und zwar durch die Diagnose von jetzt auf gleich. Durch die Therapien haben sich evtl. noch einmal plötzliche Änderungen ergeben. So schnell kommt unsere Psyche, unser Seelenleben da nicht mit, ganz abgesehen davon, wenn es auch noch das gesamte Freundes- und berufliche Umfeld betrifft, das wir bisher sorgfältig und geplant eingerichtet hatten.
Ich würde Dir vorschlagen, mit Deinem Hausarzt zu reden, der Dich kennen sollte. Dieser kann Dir eine Ersthilfe sein und Dir vielleicht auch ihm bekannte Psychotherapeuten empfehlen. Vor Deinem Hausarzt muss Dir "Dein Zustand" auch nicht peinlich sein, der weiß durchaus, was für eine seelische Belastung ein Hirntumor ist!
Ich bin der Meinung, dass es sehr schade ist, dass Menschen immer noch Angst davor haben (müssen), sich und anderen einzugestehen, dass sie für ihre Psyche Hilfe benötigen, weil sie befürchten, als "verrückt" zu gelten. Sogar vor sich selbst setzen sie psychologische Hilfe mit "Irre sein" gleich. Mir ging das auch so. Ich habe mir nach meinem ersten Rezidiv (i. J. 2000) derartige Hilfe gesucht. Es hat aber Jahre gedauert, bis ich auch in der Familie darüber reden konnte. Aber als ich es getan hatte, war es eine große Erleichterung für mich. Dieser Psychotherapeut ist für mich auch heute noch ein wichtiger Ansprechpartner.
Liebe Lisa, sei mutig und gehe den ersten Schritt, der Dir Dein Leben erleichtern und etwas normalisieren wird. Ich wünsche Dir diese Kraft sehr, auch, weil ich sehr nachempfinden kann, wie Du Dich fühlst.
Ich umarme Dich
Deine KaSy