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Thema: ### Anregungen für Patiententipps gesucht ###

### Anregungen für Patiententipps gesucht ###
Isabelle
13.02.2013 16:43:02
Liebe Forummitglieder,

als Mitarbeiterin der Deutschen Hirntumorhilfe erstelle ich derzeit einen Ratgeber bzw. einen Flyer mit nützliche Tipps für Hirntumorpatienten (eine Art Patienten-Guide als "Erste Hilfe" nach der Diagnose).

Dafür bitte ich Euch um Tipps und Anregungen, um möglichst patientennah nützliche Hinweise zusammenzustellen. Welche Informationen waren für Euch nach der Diagnose Hirntumor hilfreich? Welche Hinweise hättet Ihr gern mit auf den Weg bekommen? Was sollten die Betroffenen vor, während oder nach der Behandlung aus Eurer Sicht beachten und unbedingt wissen? Was half Euch, die Situation besser zu bewältigen?

Eure Erfahrungen sind wertvoll, denn sie können auf diesem Wege anderen Patienten sowie Angehörigen als Wegweiser und Unterstützung dienen.

Über Anregungen würde ich mich sehr freuen, gern auch als Nachrichten an mein Postfach oder per E-Mail an info@hirntumorhilfe.de. Vielen Dank!

Isabelle
Isabelle
alma
13.02.2013 20:04:32
Erster Vorschlag: anderer Name. Nicht dieser (mir) unerträgliche Halbanglizismus. Dass man hierzulande ungern "Führer" sagt, leuchtet mir ja ein. Da sind uns nur noch der Reiseführer und der Kranführer geblieben. Wie wäre es mit dem altmodischen Wort "Ratgeber". Oder "Wegweiser"?

Alma
alma
aufgeben-gibs-nicht
14.02.2013 16:59:25
Hallo,

eine Therapie-Übersicht (Standard-Therapie bezogen) wäre super. Beginnend bei der Diagnose. Was folgt dann, evtl. OP, Chemo, Bestrahlung ...?
Wie sieht in etwa der Therapieverlauf aus?
Chemotherapie: Was ist ein Zyklus? Wie lange geht die Chemo, wie viele Zyklen normalerweise? Wie lange wird bestrahlt? etc.
Wann findet in etwa die erste MRT nach OP und Bestrahlung statt? Ich habe hier im Forum auch schon gelesen, dass nach Tumorentfernung keine MRT gemacht wurde und man somit nach der Bestrahlung keine Referenz hatte, ob nun der Tumor gewachsen ist oder nicht. In welchen Abständen sollten MRTs gemacht werden?

Hinweise wie man die Therapie unterstützen kann (jedoch nur solche, die mittels Studien tatsächlich belegt sind):
Z. B. soll Sport die Chemo-Müdigkeit etwas mindern.
http://www.dkfz.de/de/praeventive-onkologie/sport-und-krebs.html

Mir ist klar, dass es zig Abwandlungen gibt, aber ein ungefährer Plan an dem man sich orientieren kann, wäre super. Dieser sollte nur als Orientierungshilfe dienen nicht mehr.

Schöne Grüße

aufgeben-gibs-nicht
heike
14.02.2013 22:07:12
Aus meiner Sicht ganz wichtig Informationen zu klinischen Studien,
welche laufen aktuell an welchen Zentren, für welche Diagnosen sind betroffen und welche Einschlusskriterien sind Voraussetzung.
Alternativ ein Hinweis, wo diese Infos aktuell im Netz zu finden sind

Über die Standardtherapien informiert die behandelnde Klinik, ggf. über dort laufende Studien, aber wohl selten über Studien, die an anderen Kliniken aktuell laufen.

Als neu betroffener Patient weiss man von dieser Möglichkeit oft gar nicht, ist mit der Diagnose und den Terapien oft schon überfordert.
heike
pietra
16.02.2013 17:00:09
Ja, der Betroffene ist oft überfordert, aber Angehörige und Freunde können sicherlich helfen und lesen diese Broschüren sehr intensiv. Vielen Dank an dieser Stelle, dass es solche Broschüren gibt.

Da ich als Ehefrau eines 73-jährigen Betroffenen miterlebt habe, wie schwer eine Strahlentherapie durchzustehen ist, mit welchen Nachwirkungen man zu kämpfen hat (immer noch tägliche Übelkeit und Müdigkeit nach 2,5 Monaten) hätte ich diese Information gerne schon im Vorfeld gelesen. Dann hätte man sich darauf einstellen können und den Patienten vorbereiten. So steht man ganz schön im Regen und macht sich Sorgen, dass es der wiederkehrende Tumor ist (ist aber laut MRT im Moment alles sauber).

Außerdem wurde uns mehrfach eine Chemo-Therapie angeraten, die mein Mann ablehnte. Aus meiner Sicht völlig richtig, da ihn die Chemo in seinem Zustand völlig in die Knie zwingen würde, eine Lebensqualität ist schon durch die Bestrahlung kaum noch vorhanden.

Auch eine vorbeugende Einnahme von Keppra ist aus meiner Sicht völlig unnötig. Die Pillen beruhigen zwar die Aussicht auf Anfälle, aber sie zwingen den Patienten in die Knie, bei meinem Mann waren die Blutwerte dadurch sehr schlecht. Erst als er Keppra nach 7 Tagen abgesetzt hatte, wurden die Werte wieder besser! Eine fast tägliche Blutentnahme musste hingenommen werden.

Meiner Meinung nach könnte eine solche Broschüre eine Altersstaffelung enthalten. Auch wenn ein 73-jähriger noch fit wirkt, er ist leider nicht mehr so jung, um die ganze Palette /Chemo, Strahlentherapie plus Medikamente auszuhalten! Meistens sind auch andere Krankheiten bereits vorhanden, die ihr Übriges bewirken.

Also ruhig in einer Broschüre auch mitteilen, dass man abwägen sollte - Lebensqualität oder volle Chemiekeule - gibt es Alternativen auf rein pflanzlicher Basis? Lebenserwartungen? - Ja, ein heikles Thema. Das wissen die Ärzte bisher wohl selbst nicht so richtig, daher würde ich dieses Thema gerne ausgelassen wissen. Für die Selbstheilungskräfte meines Erachtens eher kontraproduktiv.

Studien - Versuchskaninchen, Kampfansagen, dabei den Alltag und das eigentliche Leben aus den Augen verlieren?

Ich versuche, mit meinem Mann ein "normales" Leben zu führen. In einer Broschüre würde ich gerne über Lebensgeschichten lesen, von Betroffenen und Angehörigen, die es geschafft haben, mit dem Hirntumor zu leben, wie sie das Leben bewältigen und welche Gedanken sie sich machen - natürlich möglichst positiv, aber dennoch nicht verklärt. Ich denke, das würde mir helfen.

pietra
Pomperipossa
19.02.2013 13:05:22
Hallo Isabelle,

gerne möchte ich auf zwei Sachen hinweisen.
1) Den hervorragenden Artikel in die ZEIT Oktober 2010 "Überlebt, aber wie" über die Einsamkeit der Patienten. Dazu gibt es online einen sehr guten 10 Punkte Katalog.
2) Für Akustikusneurinom / Vestibularisschwanom bzw. NF 2 Patienten besteht seit 25 Jahren eine bundesweite Selbsthilfegruppe mit Begleitung durch Betroffene / Angehörige und wissenschaftlichem Beirat. Mehr unter www.akustikus.de

Neben den medizinischen Möglichkeiten sollte der Aspekt der Lebensqualität auf keinen Fall vergessen werden.

Ganz persönlich geholfen hat mir immer Sachlichkeit. Und die Erkenntnis, dass es meine Aufgabe ist, sich um eine 2. oder 3. Meinung zu kümmern - sofern das der eigene Gesundheitszustand erlaubt.

Pomperipossa
Petra500
21.02.2013 12:01:55
Hallo Isabelle,
ich kann nur von mir sprechen und obwohl es mir im Vorfeld unglaublich schlecht ging, stand ich vom ersten Augenblick der Diagnose an unter Schock. Ich war zurzeit der Diagnose zum Glück in den besten Händen, aber auch wenn nicht, ich war handlungsfähig. Ich konnte ein Jahr lang nicht einmal das Wort Gehirntumor aussprechen. In diesen Momenten benötigt man Menschen um sich herum, die im Sinne des Patienten handeln können. Leider stehen diese auch meistens mit unter Schock.
Ich denke in einem Handbuch sollte man diesen "Diagnose"-Schockzustand und die damit verbundene Hilflosikeit und Ohnmacht nicht außer Acht lassen.
Petra500
Dr. Orchidee
21.02.2013 17:01:18
- Eine gut gegliederte Übersicht über Möglichkeiten der Hilfsangebote, einschließlich Psychoonkologie, Palliativmedizin, etc.
- Hinweise auf Zentren, die sich mit seltenen Entitäten beschäftigen (das vermisse ich als "Exot" )
- wie oben schon erwähnt: Vorstellung studiengestützer Therpieverfahren
- und last not least: Erfahrungsberichte von Patienten,
das hat mir persönlich am meisten geholfen, Ängste abzubauen und trotz mittelprächtiger Aussichten mein Leben schnell wieder in die Hand zu nehmen.

Dr. Orchidee
Petra500
23.02.2013 09:31:56
Hallo Isabelle,
ich habe den vorgeschlagenen Zeit-Artikel von Pomperipossa "Einsamer Patient" gelesen und finde ihn sehr gut. Hier der Artikel:

http://www.zeit.de/2010/40/M-Krebstherapie


Einsamer Patient überlebt, aber wie?
Alleingelassen zwischen Klinik, Praxis und Hausarzt. Weil Ärzte viel zu selten gut zusammenarbeiten, leiden Tausende Krebspatienten mehr als nötig.

Eine Krankengeschichte

© Natalie Bothur
Quelle: http://www.zeit.de/2010/40/M-Krebstherapie

Werner Dosse (Name geändert) vor dem Klinikum Aachen: Der Krebs wurde operiert, der Patient aber ging beinahe verloren.

Da stimmt doch was nicht. Hat schon mal jemand nach der Naht geschaut?« Der Arzt wirkt besorgt. Er hat dieses Rektumkarzinom Anfang 2009 operiert. Den Mann hat er nach 17 Tagen aus der Klinik entlassen. Und drei Monate später erfährt er durch Zufall, dass sein Patient auch ohne Enddarmkrebs immer noch extrem starke Schmerzen hat und seit der Entlassung beträchtliche Mengen Morphium nimmt. Da läuft etwas schief.

Nein, niemand hat nach der Narbe geschaut. Als Werner Dosse* ( *alle Patientennamen geändert) nach der Darmoperation nach Hause kam, wankte er »als halbe Leiche« zum Hausarzt. Der war ratlos und tröstete, das gehe vorüber. Sein Kollege, ein niedergelassener Onkologe, interessierte sich ausschließlich für die postoperative Chemotherapie. Erst auf Intervention eines Freundes hin bekam Dosse wenigstens Morphium gegen die Schmerzen im Kreuzbeinbereich. Die aber ließen nicht nach.

Als der Operateur im Klinikum sich dann ein Vierteljahr später endlich einmal das Ergebnis seiner Arbeit anschaut, stellt er fest, dass die Darmnaht noch offen ist. Aufgrund einer sogenannten Anastomoseinsuffizienz hat sich im Bauchraum eine faustgroße Höhle voller abgestorbener Gewebereste und Eiter gebildet. Vier Wochen Krankenhaus sind die unmittelbare Folge. Die mittelbare ist: Dosse geht erst neun Monate später als geplant wieder arbeiten. Und langfristig bedeutet die verschleppte Komplikation möglicherweise einen Anus praeter lebenslang – den künstlichen Darmausgang, der ihm bei der OP gelegt wurde, wird er nicht mehr los.

Reingefallen! Werner Dosse ist in eine Lücke gestürzt. Unter Gesundheitsexperten ist der Terminus »Versorgungslücke« besonders bei der Versorgung von Krebskranken geläufig. Solche oft folgenschweren Kommunikationsstörungen zwischen den behandelnden Ärzten sind typisch. Sie verwiesen auf ein »strukturelles Problem in Deutschland« – die Trennung von stationärer Versorgung durch die Klinikmedizin und ambulanter Weiterbehandlung durch niedergelassene Ärzte.

»Hätte er sich doch früher gemeldet!«, sagt der Operateur und wundert sich. Als entscheidender Teil des Kommunikationsproblems gilt der Patient selbst. Der nicht durchblickt. Den medizinischen Apparat nicht durchschaut. Sich nicht traut, einen Oberarzt am Telefon zu verlangen. Nicht auf die Idee kommt, zu fragen, wenn ihm etwas seltsam erscheint, oder zu schreien, wenn es wehtut. Ist der Patient selber schuld?
Werner Dosse ist Maschinenbauer, Radfahrer, Segler. Sportlich. Fit. Im November 2008 bekommt er Durchfall, der nicht enden will. Die letzte Vorsorgeuntersuchung war erst kürzlich. Trotzdem empfiehlt ihm sein Hausarzt eine Darmspiegelung. Im Januar 2009 hat Dosse seine Diagnose: Darmkrebs. Genauer: Rektumkarzinom, Stadium T3, der Tumor wächst durch die Darmwand.

Jeder reagiert auf seine Weise auf den Satz, der für viele wie ein Todesurteil klingt. Dosse, 60, nimmt das Urteil als Mann und Maschinenbauer. »Ich weiß, man kann Krebs in den Griff kriegen.« Wie ja auch sein Hausarzt sagt: »Eine relativ alltägliche Diagnose. Und Sie sind früh gekommen. Die Medizin kann damit umgehen.« Später wird Dosse sagen: »Ich wollte nicht unter der Nachricht zusammenbrechen.«
Eine schwere Krankheit, so versteht sie der Maschinenbauer, ist ein Projekt. Ein Projekt braucht einen Projektmanager, eine Planung, ein Controlling, Checklisten. Dosse wohnt in einem kleinen Eifeldorf. Sein Arzt gibt ihm den Tipp, im 35 Kilometer entfernten Aachen eine spezialisierte onkologische Gemeinschaftspraxis aufzusuchen. Dort sei er in guten Händen.

Aachen, onkologische Schwerpunktpraxis. Schickes Entree, stabverleimter Holzfußboden, Mobiliar in Grau und Weiß, Bambus auf dem Tresen, weiße Lilien in der Ecke, ein kleines Wartezimmer mit Broschüren der Arzneimittelhersteller. Darunter Darmkrebs – Wer weiß Rat? Um zwei Flüssigkeiten geht es in dieser Praxis. Am Anfang sind es Tränen. In den Behandlungszimmern sitzen die Patienten an kleinen, runden Tischen, »man kann ranrutschen und eine Hand auflegen«, sagt die onkologische Internistin Dorothee Guggenberger. Die zweite Flüssigkeit wird therapeutisch eingesetzt: Zellgift, bei der Chemo. Jeden Tag sitzen Patienten hier und holen sich ihre Dosis intravenös ab.
"Oft entscheidet der Taxifahrer, in welche Klinik der Krebspatient kommt"
Die Schwerpunktpraxis sagt über sich, wesentlich für ihre Tätigkeit sei neben der medikamentösen Tumortherapie »die Steuerung der gesamten medizinischen Therapie von Menschen mit Tumorerkrankungen (Lotsenfunktion)«.

Da ist sie, eine der beliebtesten Metaphern unseres Gesundheitssystems. Mit dem »Lotsen« soll man eine Person assoziieren, die sich auskennt mit ambulanter und stationärer Versorgung, mit diagnostischen und therapeutischen Methoden, und die den Patienten durch alle Fährnisse steuert. In Dosses Diktion wäre das ein »Krebs-Projektmanager«.

Die Aachener Onkologen treffen gleich zu Beginn auch exakt den Ton, den der Maschinenbauer aus seiner beruflichen Praxis kennt. Klare Terminabsprachen, keine Wartezeit, der Umgang mit der Krankheit wirkt professionell und routiniert.

Und dann: »Wo wollen Sie operiert werden?« Im angrenzenden Luisenhospital, wo man auch bei Krebs gern minimalinvasiv »durchs Schlüsselloch« operiert? Oder in der Uni-Klinik? Dort bevorzugen die Ärzte das radikalere Vorgehen, den »großen Bauchschnitt«.
Werner Dosse ist ratlos. Doch der Onkologe lässt keinen Zweifel daran aufkommen, was er empfiehlt: das klassische gründliche Ausräumen des befallenen Dickdarmsegments samt Lymphknoten und Bindegewebe. Er spielt jetzt den Lotsen, der auf ein Schiff geht und das Kommando übernimmt. Seine Vorschläge sind Befehle. Auch Dosse wird später sagen, dass er eigentlich keine Wahl bei den Entscheidungen dieser Tragweite hatte – später, als er weiß, dass man nach der Diagnose ein anderer ist. Ein Häuflein Elend unter der harten Schale, das sich an jeden Strohhalm klammert. Einem selbstsicher auftretenden Arzt wird man in dieser Situation nicht widersprechen, sondern Duldungsstarre zeigen.
Ein Fahrplan wird vereinbart, »genau so, wie man auch im technischen Bereich vorgehen würde«, mit einem Mix aus Chemo und Bestrahlung, sechs Wochen lang bis zur Operation. Die Botschaft: Alles im Griff. Bis einen Tag vor der OP arbeitet Dosse und hilft, weltweit die Stahlproduktion zu optimieren. Ihm wiederum hilft die Arbeit, sich zu stabilisieren. Er funktioniert. Noch.

Vertrauen und Geduld – mit den Kardinalstugenden des Patienten ist Werner Dosse bis hierher gut gefahren. Bei Weitem nicht alle der jährlich rund 450.000 neu an Krebs Erkrankten in Deutschland (210.000 sterben an den Folgen) können in der kritischen Situation nach der Diagnose, wenn der Wunsch nach schneller Entfernung des Fremden im eigenen Körper übermächtig ist, ihre Therapie ausführlich mit einem Spezialisten besprechen. Ein Experte kritisiert diese Situation mit dem Hinweis, dass oft »der Taxifahrer entscheidet, in welche Klinik der Krebspatient kommt«.

Dabei herrscht an Besprechungsbedarf wirklich kein Mangel. Großer Bauchschnitt oder nicht; Bestrahlung oder Chemo, wie intensiv, wie lange, mit welchen Medikamenten? Selbst vermeintliche Kleinigkeiten wie die Frage, wie viele Lymphknoten zusätzlich zum befallenen Organ noch entfernt werden, haben für die Lebensqualität nach der Operation eine entscheidende Bedeutung. Zuallererst die vielleicht entscheidende Frage: Welchem Krankenhaus vertraue ich mich an? Welchem Arzt lege ich mein Leben in die Hände?

Die Antworten darauf haben Konsequenzen, die lang, oft lebenslang wirken können. Volker Schumpelick, bis Jahresbeginn Chef der Chirurgie am Uni-Klinkum Aachen, sagt ganz offen: »Der Operateur ist ein Risikofaktor!« Er weist auf Studienergebnisse hin, die besagen, dass nach einer Krebsoperation in 10 bis 40 Prozent aller Fälle Metastasen auftreten – und zwar abhängig vom Operateur. Er empfiehlt jedem Patienten, ohne Zögern nach der Kompetenz zu fragen. »Jeder darf den Arzt fragen: Wie oft hast du das schon gemacht? Und dann reicht nicht die Antwort: Ich krieg das hin.« Nur: Wer hat die Kraft, das Selbstbewusstsein und die Klarheit, solche Fragen zu stellen? Welches Glück also, wenn nicht der Taxifahrer der Lotse ist.

Bei Margot Behrends* lautete die Diagnose: Gehirntumor. Auf einem Ohr hatte sie schon länger schlecht gehört. Ihr HNO-Arzt in der nahen Kleinstadt hatte nur vage Hinweise parat. Weil der Tumor langsam wachse, habe sie drei Möglichkeiten: Operation. Bestrahlung. Oder Nichtstun. Frau Behrends entschied sich für Letzteres.

Von Lotsen kann man da nicht sprechen. Doch das störte die 57-jährige Gerontopädagogin aus einem Dorf bei Bremen nicht. Sie ist selbstbewusst, ja eigenwillig, Autoritäten gegenüber skeptisch, informiert, vernetzt. Ihr Mann hat schon eine Prostatakrebs-OP hinter sich.
Irgendwann begann sie zu torkeln. Auf dem einen Ohr war sie mittlerweile taub. Der Tumor drückte jetzt aufs Stammhirn. Eine OP wurde unvermeidlich. Ihr Arzt empfahl für die Suche nach einem Krankenhaus das Internet. Er verwies dann noch auf den, wie er meinte, Spezialisten schlechthin, den Chef einer exklusiven Privatklinik in Hannover. Margot Behrends besuchte Kliniken in Hamburg und Herdecke, landete irgendwann in Süddeutschland, bei einem Institut für »Potentialorientierte Psychotherapie« mit Kursen zur »Selbstheilung«. Dieser bewusst selbst gewählte Weg durch das Medizinsystem hätte sie fast das Leben gekostet. Als sie am Ende doch in der Privatklinik in Hannover landete, wurde sie zweimal unter großem Risiko operiert. Der Chirurg wundert sich heute noch, dass Behrends überlebt hat.

Nach der OP: "Das böse Monster ist rausgeschnitten"
Wie man als Krebspatientin in unserem Gesundheitssystem vollends verloren gehen kann, zeigt das Beispiel von Helga Kortens*, bei der kurz vor der Rente ein seltener Knochenmarkskrebs (Plasmazytom) diagnostiziert wurde. Damals war sie 61 Jahre alt.

Über zehn Jahre litt sie an höllischen Schmerzen. Immer wieder hat man ihr Knochenmark entnommen, »für wissenschaftliche Zwecke«. Sie wurde in Magnetresonanztomografen geschoben, endlos stationär bestrahlt, über Jahre bekam sie eine teilweise hoch dosierte Chemotherapie. Schließlich wollte sie nur noch sterben. Die Ärzte aber versprachen ihr einen Zugewinn an Lebensqualität durch eine neue Stammzelltherapie.
Man verlegte sie in die Göttinger Universitätsklinik, wo sie drei Monate lang auf der Isolierstation vegetierte. »Meine Mutter wurde nie gefragt. Sie hat nichts selbst entschieden«, klagt ihre Tochter heute. Am Ende hatte sich eine Heerschar von Medizinern an ihr versucht, sie musste täglich eine unübersehbare Menge an Tabletten einnehmen, hatte kaum noch Immunabwehr – und starb nach einem Besuch beim Zahnarzt. Er war nicht informiert über ihren Krankheitshintergrund.

An der häufig kritisierten Versorgungslücke zwischen ambulanter und stationärer Medizin arbeiten sich zahlreiche Initiativen, Krankenkassen und Selbsthilfeeinrichtungen ab. Ein vielversprechendes Projekt ist das Augsburger MammaNetz , das auf internationale Erfahrungen mit dem sogenannten Case Management zurückgreift: Sozialarbeiter und Pflegekräfte wurden hier zu Lotsen fortgebildet. Sie unterstützen Brustkrebspatientinnen, im Idealfall schon beim Diagnosetermin. Persönliche Fallmanager nehmen an den folgenden Beratungsgesprächen teil, helfen bei sozialen Problemen (wohin mit dem Opa, den Kindern?) oder Partnerschaftskonflikten und vernetzen sich mit dem gesamten beteiligten medizinischen Personal. Die Patientin genießt diese Hilfe bis nach der Reha.

»MammaNetz ist sozioökonomisch ein Riesenerfolg«, sagt Horst Erhardt, Chef des beta Instituts für angewandtes Gesundheitsmanagement, aus dem das Netz hervorgegangen ist. Etwa 130 Hausärzte machen mit, 250 Frauen werden jährlich betreut. Begleitstudien zeigen, dass sie weniger Angst vor der OP haben, schneller wieder gesund sind und im Durchschnitt vier Wochen früher wieder arbeiten können. 23 Krankenkassen unterstützten zwischenzeitlich das Projekt. Doch aus Geldgründen läuft es noch in diesem Jahr aus.

Case Management gibt es seit einigen Jahren auch im Aachener Universitätsklinikum, dem sich Werner Dosse anvertraut hatte. 13 von 4700 Vollzeitbeschäftigten sind mittlerweile Fallmanager. Doch Dosse lernte das Angebot, das womöglich seiner Vorstellung vom Krebs-Projektmanagement nahekommen würde, nicht kennen. Schon weil er sich ja gelotst fühlte.

Das Klinikum ist einschüchternd, eines der größten Europas. 900 Ärzte arbeiten hier. Das Bauwerk aus Glas und Stahl wirkt auch architektonisch wie eine Gesundheitsfabrik, steht als Beispiel der Hightech-Architektur unter Denkmalschutz. Drei Monate nach der Diagnose kommt Dosse unters Messer.

Noch prägt Volker Schumpelick den Stil der chirurgischen Abteilung, ein Chirurg alten Schlages, ein Patriarch, der über seine Patienten sagt: »Wer mir nicht vertraut, kommt mit mir nicht ins Geschäft.« Radikales Vorgehen bei einer Operation wertet Schumpelick eindeutig positiv. »Mit Krebs kann man nicht spielen.« Bei einem Rektumkarzinom betrage je nach Klinik und Operateur die Rezidivrate bis zu 60 Prozent – drei von fünf Patienten würden einen Rückfall erleiden. »Die lokale Radikalität ist das Kriterium unserer Qualität.«

So radikal wie möglich rückt der operierende Oberarzt auch Dosses Krebs zu Leibe. Am offenen Bauch wird geschnitten, dann noch einmal mit Höchstdosis bestrahlt. Als Dosse nach der OP aus der Narkose aufwacht, ist das klarste Gefühl Freude: »Das böse Monster ist rausgeschnitten.« Jetzt so schnell wie möglich auf den neuen Heimtrainer – und der Krebs ist besiegt.

Doch die Zeit nach der OP stellt sich als die eigentliche Herausforderung dar. In den schlimmen Monaten der Schmerztherapie mit Morphium realisiert Dosse zum ersten Mal, dass seine Krankheit bei Weitem noch nicht zu Ende ist. Dass er nun weniger als ein halber Kerl ist. Eine bittere Konsequenz ist die postoperative Impotenz. Was er nicht geahnt hatte, was aber ebenfalls sehr wehtut: Er kann seiner Frau nicht länger eine Stütze sein. Im Gegenteil: Er ist komplett abhängig von ihr geworden.
Erst durch Zufall, im Zuge der ZEIT- Recherchen im Klinikum Aachen, erfährt der Chirurg vom Schicksal seines Patienten, den er umgehend wieder ins Krankenhaus beordert. Erst nach 14 Tagen stellten die erschrockenen Ärzte dort fest, dass Dosse parallel zur Versorgung der eiternden OP-Narbe noch Chemotherapeutika einnimmt – die aber behindern die Wundheilung.

Werner Dosses Lotse – wo ist er abgeblieben? Wo war der Lotse, als es vom Krankenhaus zurück ins Leben ging? »Die onkologische Praxis war ja vollkommen raus. Die tauchte nicht mehr auf«, sagt Dosse heute. »Dort kümmerte man sich nur noch um die postoperative Chemo, aber nicht um den ganzen Werner.«

Sein Onkologe hat sich später vielmals entschuldigt. Kollegin Dorothee Guggenberger aus der Schwerpunktpraxis weist darauf hin, dass diese noch nicht in der Lage ist, Lotsensuchenden als Anlaufstelle zu dienen. »Das ist eine sehr arbeitsintensive Tätigkeit« – es gebe kaum Geld dafür, man müsse den Lotsendienst aus dem Therapiebereich subventionieren. So etwas wie mit Werner Dosse dürfe aber nicht passieren. »Für solche Fälle müssen Organisationsformen her.«

"Als Patient war ich ein blutiger Anfänger. Ich habe die Ärzte machen lassen"

Einer weiß, was da zu organisieren ist. »Das zweigeteilte System von ambulanter und stationärer Versorgung ist nicht im Interesse der Patienten«,.Man ist dafür, die Behandlung von Krebserkrankungen ausschließlich in zertifizierten Zentren durchzuführen. Dort gehöre etwa die Vernetzung mit den niedergelassenen Praxen zur »absoluten Voraussetzung«.
Insbesondere lässt sich so die beste Behandlungsqualität sicherstellen. Das gilt eben nicht, solange ein Patient mit Darmkrebs in ein Krankenhaus geraten kann, wo es im Jahr nur drei Darmkrebsoperationen gibt. »Nahezu alle Tumorpatienten sollen in Zentren behandelt werden.« Das Vorbild: Fast jedes krebskranke Kind in Deutschland wird in einem von rund 40 kinderonkologischen Zentren operiert.

Ideal fände Nettekoven eine dreistufige Versorgung. Nach seiner Vorstellung bildeten spezialisierte und geprüfte Organkrebszentren (für Erkrankungen an Brust, Darm, Prostata, Haut und Lunge) die Basis; Brustkrebszentren etwa erhielten ein Zertifikat, wenn im Jahr mehr als 150 Fälle therapiert würden. Daneben gäbe es kommunale onkologische Schwerpunktkrankenhäuser. Und schließlich die Spitzenzentren, an denen auch geforscht wird. Von denen sind heute bereits elf gekürt, etwa in Berlin, Tübingen, Hamburg und Köln/Bonn.

15 Monate nach der Diagnose geht Werner Dosse wieder zur Arbeit, rund 30 Stunden pro Woche. Er fährt zu seinem Segelboot wegen einiger Ausbesserungsarbeiten. Mit Freunden hat er eine viertägige Wanderung unternommen. Die Krankheit hat ihn nachdenklich gemacht. Er hat Grenzen kennengelernt, der Tod ist ihm näher gerückt als jemals zuvor.
Und über die Medizin hat er viel gelernt. »Ich war ja blutiger Anfänger. Ich habe mich auf die Ärzte verlassen, habe sie machen lassen. Ich habe gelernt, dass man die Ärzte fordern muss.« Eines versteht der Maschinenbauer aber immer noch nicht: »Ich habe gelesen, dass das Klinikum ein Qualitätsmanagement betreibt und nach ISO 9001 zertifiziert ist.« Dafür ist bei ihm ziemlich viel schiefgelaufen.
Petra500
Weihnachten 2012
25.03.2013 22:34:32
Einen solchen Ratgeber, Wegweiser, Berater oder Begleiter zu erstellen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ... Ich habe auch das Gefühl, einen neutralen "Gesprächspartner" in meinem Anliegen zu benötigen. - Schon jetzt also viel Erfolg hierzu! (Bin/war selbst Kommunikationsleiterin in einem Unternehmen.)

Ich habe die Hirntumorhilfe erst vor ein paar Tagen entdeckt und bin seither täglich in diesem Forum, weil bei mir immer wieder neue Fragen aufkommen. Deren Antworten versuche ich in diesen Foren zu recherchieren. Eines ist jedoch auffällig, wie ich finde: Wie auch immer die Diagnose lautet, das "Wegoperieren" des Tumors steht offensichtlich stets an erster Stelle - operieren wo immer möglich. Ist dies wirklich so? Ich lese nämlich mindestens ebenso oft von Rezidiven.

Was also, wenn man auf andere Methoden setzt: Misteltherapie, Visualisierung oder anderes?! ... Deshalb finde ich, dass Vollständigkeit ein wichtiges Kriterium für die zukünftige Broschüre ist. Das Abbilden von scheinbar polaren Ansichten.
Weihnachten 2012
alma
25.03.2013 23:02:34
Wegoperieren kann man einen Hirntumor nicht. Bei der OP handelt es sich lediglich um Reduktion der Tumormasse. Im Ganzen entfernt, heißt nicht mehr, als dass der sichtbare Teil des Tumors herausgenommen wurde. Denn da er invasiv wächst und sich von seinem Rand her ausbreitet, gibt es immer noch Zellen, die im Gewebe zurückbleiben. Die sind dann Ausgangspunkt für das Rezidiv.
Man operiert deshalb so viel wie möglich heraus, weil Studien eine Verlängerung der Lebenszeit ergeben haben, verglichen mit Tumoren, die nur mit Strahlen- und/oder Chemotherapie behandelt wurden.
Allein auf andere Methoden zu setzen, ist nach Lage der Erkenntnisse riskant. Es gibt bisher keine in seriösen Studien geprüfte Behandlungsweise, die eine schulmedizinische Behandlung ersetzen kann.
Das gibt nicht meine Meinung wieder, sondern die Auffassung der Schulmedizin. Aber die wissenschaftliche Herangehensweise ist ganz in meinem Sinne. Alternativen Methoden mangelt es häufig an Transparenz.
Heißt: die Wirkungsweise ist ungeklärt, unabhängige Studien sind nicht aufzufinden oder einsehbar etc.
Trotzdem wäre es natürlich interessant, mal ein Verzeichnis der möglichen Ergänzungsmittel bei Hirntumoren in die Hände zu bekommen.

Alma.
alma
Tausendfüßler
26.03.2013 10:07:37
hallo
eine sehr gute Idee
worum geht es genau ? ein Wegweiser?

Es wäre gut ,wenn wenigtens in all den Krankenhäusern
- Hirntumor-Informationen ausliegen würden
- es Hinweise auf dieses Forum gibt, auf
Schulmedizin und psychoonkologische Betreuung
- alternative begleitende Maßnahmen
Immunabwehr betreuen während der Chemos

----bitte keine Quacksalber--
die Wärmebehandlung --Hyperthermie--
(es gelingt mir nicht einmal im Forum eine Antwort zu erhalten)
ich frage mich sehr oft wie Interessen gesteuert all diese Umfragen sind

Ich unterstelle nichts, aber ich bin doch sehr misstrauisch geworden,
alle Veröffentlichungeen scheinen manipulativ, wenn die bekannten Systeme nicht profitieren.
Als Privat Versicherter, mache ich die selbe Erfahrung. wie alle GKV, es gibt nichts mehr.

Gerade die Glio IV, sind so teuer,


Kein Tumor, kein Rezidiv, dann ist man gesund-bis zum nächsten Gong oder wie?
Vielleicht würde jetzt in der Schule stehen ""Thema verfehlt""
dennoch weiß ich all zu gut, dass sie es verstehen und Ansätze finden werden, dass zu verwerten.
Danke für die Idee -grundsätzlich-
LG
Tausendfüßler





Tausendfüßler
gramyo
26.03.2013 13:34:56
Hallo,

Ich, wir, waren sehr glücklich als wir euch entdeckt haben.

Kann mich nur Tausendfüßler anschliessen, das mehr Informationsblätter, Hinweise, Plakate in Unikliniken, onkologischen Praxen, Strahlentherapieinstituten notwendig wären.

Ich glaube, dass mein Partner, mit 2 inoperablen Glioblastomen, wobei der linke wirklich extrem gewachsen war in den letzten 3 Monaten nur durch seine alternative Krebstherapie seine Lebenszeit auf 9 Monate verlängern konnte und es war ein durchaus noch lebenswertes Leben.

Erst durch die tiefe Beinvenenthrombose und die beidseitige Lungenembolie wurden die letzten 2 - 3 Wochen schwierig.

Ich würde es schön finden, wenn man etwas mehr die ganzheitlich Themen berücksichtigt.

GLAUBT MIR; JEDER KREBSKRANKE BRAUCHT DAS.

Da mein Partner vor 3 Tagen diesen Planeten Erde verlassen hat, bin ich natürlich sensibilisiert in Bezug auf das Thema Sterben.

Jeder Mensch wird einmal sterben, Hirntumorpatienten werden eher gehen?
Mir ist aufgefallen, dass es zwar Krankenhäuser und Hospize gibt, oder Palliativmediziner, aber keine Sterbebegleiter, ich meine nicht Pfarrer, sondern Menschen die ins Haus kommen und den Erkrankten sanft in den Tod und darüber hinaus führen. Ich konnte es glücklicherweise bei meinem Mann.

Also, Thema "Sterben" vielleicht auch mal ein Thema. Wird in Deutschland viel zu sehr tabuisiert.

Möchte aber jetzt am Ende sagen, dass ihr wirklich gute Arbeit leistet und Hirntumorkranken und Angehörigen, auch mit dem Neurochat eine wunderbare Möglichkeit gebt, sich auszutauschen und zu informieren und Fragen zu stellen.

Liebe Grüße
von Gramyo mit der Energie ihres Mannes.

P:S: Habe in der Traueranzeige um Spenden an euch gebeten. Geld was mir gegeben wird kommt auch zu euch.



gramyo
Dr. Orchidee
27.03.2013 09:14:41
Liebe Gramyo,
doch, es gibt Hospizinitiativen: ausgebildete Ehrenamtler ( keine Pflegekräfte) die Sterbende zu Hause mit betreuen, Angehörige stützen, Sterbe -und Trauerbegleitung erbringen.
Bei uns ist die Hospizinitiative zwar fortbildungsmäßig einem Hospiz angeschlossen, arbeitet aber ansonsten autonom.
Liebe Grüße, Orchidee
Dr. Orchidee
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