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Thema: Astrozytom II erfolgreich entfernt. Und jetzt?

Astrozytom II erfolgreich entfernt. Und jetzt?
Mausebaer412
29.01.2019 22:03:55
Hallo ihr Lieben,

bei mir (weiblich, 26 Jahre alt) wurde im August 2018 während eines stationären Aufenthaltes in der Psychiatrie (wegen mittelschwerer depressiver Episode und Panikstörung) festgestellt, dass etwas in meinem Hirn ist, was da nicht sein sollte. Links frontal, gelegen zwischen Persönlichkeit und Sprache. Nach einigen Untersuchungen und einer Biopsie im Oktober dann die Diagose - Astrozytom II, IDH-mutiert, für OP jedoch sehr riskant am Sprachzentrum gelegen. Nach gründlicher Überlegung die Entscheidung zur Resektion unter Vollnarkose, trotz Risiko, die Sprachbildung zu beschädigen. OP am 26.11., Tumor restlos entfernt, Ergebnis der Biopsie nach Laboruntersuchung bestätigt, keine Schäden am gesunden Gewebe. Große Freude, Gefühl wie neu geboren, riesige Erleichterung und Dankbarkeit. Zumindest für 2 Wochen, und dann kam das große, tiefe Loch.
Wie geht es jetzt weiter? Was mache ich mit meinem Leben? Einfach so weiter wie zuvor oder doch ganz anders? Der Tumor ist Gott sei Dank weg, aber was, wenn er wieder kommt? Sämtliche Recherchen ergeben, dass man damit jederzeit rechnen muss. Von Prognosen zur Überlebenszeit ganz zu schweigen. Kinderplanung? Wäre das nicht viel zu egoistisch? Will ich mit Pech in 10 Jahren mein Kind als Halbwaisen hinterlassen? Meinen Freund als alleinerziehenden Vater? Oder habe ich Glück und es kommt kein Rezidiv? Wie stehen die Chancen? Alles ist offen, und doch hängt da dieses Damoklesschwert in der Luft, still und bedrohlich.
Seit 2 Wochen gehe ich wieder arbeiten, in einem Monat darf ich endlich wieder Auto fahren. Eigentlich sollte ich überglücklich sein, doch diese Ungewissheit zieht mich in ein unglaublich tiefes Loch. Wo ich kurz nach der OP noch nach 5 Stunden Schlaf freudestrahlend und voller Tatendrang aus dem Bett gesprungen bin, könnte ich heute den ganzen Tag schlafend im Bett verbringen. Wait & Watch - der Gedanke an das MRT am 20.02 macht mich wahnsinnig. Irgendein inneres Stimmchen flüstert mir ständig, dass da wieder etwas ist, in meinem Kopf. So ein blödes Bauchgefühl, das ich auch vor der Erstdiagnose schon hatte, das Gefühl von damals, dass da etwas in meinem Kopf ist, das da nicht hingehört ... Es macht mich einfach wahnsinnig. Und eigentlich will ich das doch gar nicht. Ich will doch eigentlich alles so positiv sehen, wie es ist. Kein Tumor mehr, keine Panikstörung mehr (von den Tiefen einer Depression bin ich definitiv auch noch weit entfernt), ein Partner der mich liebt und unterstützt, eine große Familie, die hinter mir steht. Eigentlich gibt es doch gar keinen Grund so negativ gestimmt zu sein, und trotzdem holen mich die Gedanken immer wieder ein.
Ich denke es würde mir sehr helfen, wenn jemand, dem es ähnlich geht oder ging seine Erfahrungen mit mir teilen und mir vielleicht sogar einen Tipp geben könnte, wie ich wieder zu einer positiven Einstellung zurück finden kann.
Dass man immer mal schlechte Tage hat ist mir klar, aber so wie es im Moment ist, kann es auf keinen Fall weiter gehen. Vor allem will ich mit diesen Gedanken mein direktes Umfeld nicht belasten, da alle so froh und glücklich sind, dass wir diese schlimme Zeit hinter uns haben und der Tumor komplett entfernt werden konnte. Aber ist die schlimme Zeit wirklich vorbei?

Vielen Dank schon mal für eure Rückmeldungen!

Liebe Grüße,
der Mausebär
Mausebaer412
Deubi
29.01.2019 23:30:28
Hallo Mausebär,
ich bin zwar 22 Jahre älter als du, kann aber gut nachfühlen, wie es dir geht.
Mir wurde am 1.8.18 mein Tumor komplett entfernt. Erste Aussage war Astro II. Nach einem Vierteljahr bat ich um Zusendung der schriftlichen Laborergebnisse.
Dort erfuhr ich erstmalig von meinem Oligodendrogliom II, der zum Glück etwas bessere Prognosen als ein Astro hat.
Durch die Komplettentfernung des Tumores bleibt mir Chemo und Bestrahlung erspart.
Ich bin noch krank geschrieben, arbeite in diversen Therapien an meiner Gefühlsstörung im rechten Bein.
Meine Stimmung ist nach 2 Monaten "überglücklich" ins depressive gekippt.
Ich vermisse das Auto fahren, meine Mobilität.
Ich freue mich, dass ich seit Januar eine Neuro- und eine normale Psychotherapie beginnen konnte.
Ich habe - im Gegensatz zu dir - 2 erwachsene Kinder und einen Ehemann.
Trotzdem überkommt mich immer wieder die Traurigkeit, eine neue Verletzbarkeit, ich nenne es Hirntumor-Trauma,
meine Stimmung kippt durch kleine unbefriedigende Anlässe ins Bodenlose.
Ich kann mit der neuen Unsicherheit im Leben nicht umgehen, obwohl ich mich nach Normalität sehne.
Ich habe Angst vor der Rückkehr an meinen Arbeitsplatz, dass ich den Aufgaben nicht mehr gewachsen bin, da das Selbstbewusstsein stark gelitten hat.
Dem bist du mir voraus. Du arbeitest schon wieder.
Wir müssen uns trauen, mit den Unsicherheiten zu leben.
Ich bin froh, dass ich einen tollen Partner an meiner Seite habe. Versuche dein Umfeld in deine Gedanken mit einzubeziehen. Du benötigst deinen Partner, Familie und Freunde, um gestärkt in die Zukunft gehen zu können.
Überleg mit deinem Partner gemeinsam, wie ihr eure Zukunft gestalten wollt.
Die Forschung geht weiter, wir haben das Glück, noch nicht durch Chemo und Bestrahlung belastet zu sein.
Genieß den Augenblick.
Hol dir psychologische Unterstützung.
Alles Gute für dich!
LG
Deubi
Deubi
Kesi
30.01.2019 13:55:59
Liebe mausebaer412,

Ich bin zwar nicht selber betroffen und kann dir daher nicht Erfahrungen aus Sicht eines Betroffenen mitteilen (meine Tochter hat einen Hirntumor), aber deine Zeilen haben mich berührt, deswegen möchte ich dir gerne antworten.

Ich kann deine Ängste sehr gut nachvollziehen, denn du hast ja auch etwas schlimmes durchgemacht, möglicherweise bist du davon traumatisiert, bzw hast ein Posttraumatisches Belastungssyndrom. Und das ist ja auch mehr als verständlich, wenn man mit 26 Jahren solch eine Diagnose erhält. Vielleicht könnte eine Traumatherapie dir helfen.

Natürlich ist jede Lebenssituation anders und man muss schauen, wie man damit umgeht, wem man sich mitteilt etc. Aber wenn ich deine Mutter, Schwester, Partner o.ä. wäre, würde ich mir wünschen, dass du deine Sorgen mit mir teilst. Möglicherweise spüren sie ja auch, dass es dir innerlich schlecht geht.

Das Thema Kinderwunsch würde ich noch nicht abschließen, vielleicht kannst du ja doch einmal mit deinem Partner darüber reden, wie er darüber denkt. Ich denke, niemand kann Vorhersagen, was in zehn Jahren ist, selbst wenn man heute kerngesund erscheint. Wir haben zwei Töchter, und als ich mit meinem Mann einmal darüber gesprochen habe, wie es mit einem dritten aussehen würde, hat er (vom Sinn her) gemeint, wir hätten zwei gesunde Kinder, wer weiß ob das dritte dann nicht vielleicht krank wäre. Tja, und ein paar Monate später kam die Diagnose Hirntumor bei meiner älteren Tochter. Damit will ich sagen, dass man nie weiß, was kommt, man könnte auch morgen von einem Auto überfahren werden (überspitzt gesagt).

Das sind einfach die Gedanken, die mir beim Lesen deines Textes gekommen sind. Ich wünsche dir alles gute und dass es dir bald auch psychisch wieder besser geht.
Kesi
JoMe
31.01.2019 12:50:35
Hallo Mausebär,

Und jetzt? Ich denke diese Frage kannst du dir nur selber beantworten am Ende...

Ein Hoch und Tief ist diese ganze Hirntumorsache auf jeden Fall.

Vor allem, wenn es noch so frisch ist. Man noch jeden Tag dran erinnert wird, jeden Tag damit wach wird und als erstes über seine OP Narbe streicht, über seinen kahlen Kopf...guckt, ob schon Haare nach gewachsen sind.
Man hat die Bestrahlung überstanden und muss nun jeden Morgen seine Chemo schlucken...natürlich kreist dann ständig alles darum...um den fu**ing Krebs!

Und dann muss man sich noch kurz nach so einer Diagnose entscheiden, ob man mal Kinder haben möchte, ob man sich vor der Chemo Eizellen entnehmen lassen wird?
Wie soll man das JETZT entscheiden, wo man nicht mal weiß, wie lange man noch auf dieser Erde weilt?

ABER man tut es, man trifft Entscheidungen, man wird stärker.

Nein, nicht jeden Tag, das wäre zu schön, aber die Tage werden mehr...

Die schlimme Zeit, wie du es nennst, über die entscheidest du meiner Meinung ganz allein. Du entscheidest, ob die guten oder schlechten Tage überwiegen.
Du entscheidest, ob der Arsch in deinem Kopf (bei dir ist ja sogar alles raus) über deine restliche Zeit bestimmt, oder du selber!!

Keiner weiß, was morgen ist. Wir leben alle nur im hier und jetzt...aber wir leben :)

Kopf hoch!
JoMe
mannimagret
31.01.2019 20:10:01
Hallo Mausebaer
Ich kann das alles gut nachvollziehen was du momentan durchmachst. Mir ging es nach meiner ersten OP 2015 nicht viel anders. Ich suchte mir Hilfe bei einer Phsychologin vor Ort, und Unterstützung von einer Psychoonkologin in der Uni Klinik. Bei der Psychoonkologin bin ich heute noch in Behandlung, immer vor /nach den MRT'S, sonst nach Bedarf. Hatte dann November 2017 ein Rezidiv was mich ziemlich zurück geschmissen hat. Habe dann viele Gespräche mit meiner Psychoonkologingeführt und mich noch intensiver mit meinem Tumor beschäftigt. Besuchte Fachvorträge , Hirninformationstage und Gespräche mit Betroffenen. Hatte dann ein gutes Gespräch mit einem Betroffenen gehabt. Der mir erzählt hat das er sich vom alten leben abgeschlossen hat und jetzt das neue Leben mit dem Tumor begonnen hat. Das versuche es momentan auch. Es gelingt mir zwar nicht immer, aber es wird immer besser. Die meisten Tief's kommen meistens kurz vor den MRT'S. Denke mal das das wohl immer bleiben wird.
Wünsche dir Mausebaer, das du das auch schaffst.
Lg. Manfred
mannimagret
Fabi
31.01.2019 22:52:28
Hallo da muss ich mich doch auch direkt melden :-)
Vlt kennst du mich ja noch nicht Mausebaer, aber ich bin ein extrem positiv denkender Mensch (trotz meines Hirntumores)...

Zu aller erst habe ich im Grunde das gleiche durchlebt wie du... erstmal ist das Ding raus und es kann weitergehen...aber warte mal... WHO III... „ bösartig? Ich habe Krebs, also bin ich quasi schon so gut wie tot und brauche mir eigentlich nichts mehr vornehmen... mir werden die Haare ausfallen und ich werde kümmerlich in meinem Bett eingehen...die Gedanken folgten dann allmählich... naja dann beschäftigte ich mich mehr mit dem Tumor an sich und mit seinen Tücken und warum es so schwer ist ihn zu „bekämpfen“... ich wollte einfach alles wissen über ihn... dann stieß ich auf die „Lebenserwartung“ ... hoppla erneut Falle ich in ein tiefes Loch und werde erneut mit dem Tod konfrontiert. Nun beschäftigte ich mich auch mit dem Thema Tod.... dann kam ich durch unsere Liebe Userin Maulwurf auf die Langzeitüberlebenden und schöpfte daraus enorm Hoffnung... sie alle hatten eine Lebens-Erwartung von wenigen Monaten und machten doch Jahre daraus... was verbindet diese Menschen fragte ich mich... gerade diejenigen die über 10 Jahre lebten einte der Glaube an etwas, dass sie taten um die Schulmedizin zu unterstützen und komplementär zu begleiten... also begann ich mich Tag für Tag zu belesen (3-4 Std) was es da denn so alles gibt und fand viele Dinge die mit der Therapie harmonieren und sie sogar unterstützen. Ich fiel regelrecht in einen Wahn mein Wissen weiter auszubauen in diese Richtung... ich bekam das Gefühl mein Schicksal selbst in die Hand nehmen zu können... in einigen Fällen merkte ich auch die Vorteile der komplementären Begleitung der Standardtherapien bezogen auf die Nebenwirkungen...der Tod ist immer gegenwärtig... deine Diagnose ist noch recht frisch und es prasseln so unendlich viele Informationen auf dich ein. Das Gefühl eines rezidivs habe ich vor jedem MRT was bisher immer top aussah :-) ... man hat halt Angst das ist normal da spielen einem die Gedanken einen Streich. Ich gehe selbst auch wieder arbeiten und treibe sehr viel Sport, das tut mir gut. Klar ist ein Hirntumor blöd, aber wir haben ihn jetzt und müssen nun mal damit leben... mach das beste draus... ich habe strahlen und Chemotherapie hinter mir und mir geht es trotzdem blendend :-) jeder Tag den du schlecht drauf bist ist ein verlorener ... genieße es tun zu können was du willst, dich zu bewegen wie du willst... genieße das Leben in seinem vollen Umfang... so nah mit dem Tod konfrontiert kannst du es viel klarer sehen wie schön das Leben ist als die „gesunden“ Menschen. Bei der Kinderplanung muss jeder für sich selbst wissen wie er damit umgeht. Ich selbst habe einen tollen Sohn bekommen nach meiner Diagnose und das gibt mir noch viel mehr Kraft nicht demnächst das weite zu suchen. Wenn ich so plane, dass ich in 10 Jahren oder früher tot bin, dann kann ich mich gleich auf die Couch legen und mich den ganzen Tag selbst bemitleiden. Suche Kontakt zu deiner Familie und deinen Freunden... ein unheimlich wichtiger Stützpfeiler. An die ganzen neuen Dinge wirst du dich gewöhnen... den Bewohner im Kopf musst du halt akzeptieren... manchen hilft es ihm einen Namen zu geben oder sonst was :-) jede Überlebenskurve hat einen langen Schweif am Ende der nicht auf 0 geht sondern weiter geht... warum soll ich nicht einer davon sein oder du?
Das war mein Wort zum Donnerstag

Lg Fabi
Fabi
Mausebaer412
13.02.2019 22:00:15
Hallo ihr Lieben,

erst einmal vielen Dank für eure lieben Antworten und aufmunternden Worte! Auch wenn ich mich erst jetzt wieder melde, habe ich eure Antworten direkt gelesen und auch viel darüber nachgedacht.
Zwischenzeitlich habe ich mit meiner Mutter und meinem Freund ausgiebig über meine Ängste und Unsicherheiten gesprochen, das hat mir sehr geholfen. Demnächst habe ich einen Termin bei meiner Psychologin um das Thema auch professionell aufzuarbeiten.
Ich habe zwar immer noch täglich Durchhänger und verliere mich in meinen Gedanken, insgesamt ist es aber besser geworden. Eure Erfahrungsberichte haben mir etwas Mut gemacht. Auch wenn es mir weiterhin sehr schwer fällt, versuche ich mit einer positiven Einstellung auf die Erkrankung zu blicken.
Ich hoffe, dass das Kontroll-MRT meinen Ängsten den Wind aus den Segeln nimmt und ich es danach endlich schaffe, den Tumor weit in den Hintergrund zu rücken.

Liebe Grüße und euch einen schönen Abend
der Mausebaer
Mausebaer412
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