bei mir (45) wurde vor 26 Monaten ein diffuses Astro II festgestellt. Nach vielen Beratungsgesprächen habe ich mich schließlich fürs "wait and see" entschieden, obwohl der allergrößte Teil des sichtbaren Tumors links frontal in einem gut operablen Bereich sitzt. Aufgrund der Lage habe ich - mal mehr, mal weniger - Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie Kopfschmerzen. Die MRT-Bilder sehen seit 26 Monaten unverändert aus. Ich nehme regelmäßig ein Weihrauchpräparat und gelegentlich Schmerzmittel.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Und klare Worte haben mir letztlich am meisten geholfen.
Ich fand es schwierig, eine Entscheidung zu treffen. Denn die medizinischen Fakten kommen einen erst einmal hart an:
Ein Astro II gilt leider als unheilbar. Die Meinungen, wie die Erkrankung am besten zu behandeln sei, gehen weit auseinander, einheitliche Empfehlungen gibt es nicht. Bis vor einiger Zeit ging man davon aus, dass eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung keine lebensverlängernde Wirkung hat. Auch auf die Frage, ob eine Operation das Überleben verlängert oder nicht, schien es keine schlüssige Antwort zu geben. So haben mir denn auch zwei Neurochirurgen unabhängig voneinander gesagt, die Entscheidung für oder gegen eine OP hänge nicht selten auch vom Temperament des Patienten ab. Meines Wissens gibt es inzwischen Hinweise, dass auch Astro-II-Patienten einen gewissen Nutzen aus einer Chemotherapie (z. B. nach dem PC-Schema) bzw. aus einer Hochkonfirmationsbestrahlung ziehen können. Eine Operation verlängert nach neueren Daten aus Norwegen offenbar nur dann die Überlebenszeit, wenn der sichtbare Tumoranteil vollständig entfernt werden kann (siehe den Beitrag "Long-term survival in patients with low-grade gliomas" hier im Forum; über die Suchfunktion schnell zu finden, wenn man '993' eingibt)
Ein Astro II kann sehr langsam wachsen. Ich hoffe also, dass wir Alle die Zeit erleben werden, in der die Medizin diese Krankheit in den Griff bekommen hat.
Gerade weil der Tumor eurem Vater ja schon ernstere Probleme bereitet, würde ich raten, weitere medizinische Meinungen einzuholen. Beispielsweise bei Dr. Cyron am Uniklinikum Freiburg oder bei Dr. Dresemann am Franz-Hospital in Dülmen bezüglich einer Chemotherapie oder z. B. bei Prof. Engenhart-Cabillic am Uniklinikum Marburg oder PD Dr. Wurm an der Charitée in Berlin bezüglich einer Strahlenbehandlung. An den Unikliniken in Köln, München und Freiburg u.a. gibt es die Möglichkeit, inoperable Hirntumoren mit einem radioaktiven Implantat ("Seed") zu behandeln. An der Regensburger Uniklinik läuft oder lief eine Studie mit Roaccutan, das die diffuse Ausbreitung der Tumorzellen beim Astro I und II eindämmen soll ('3015' oder 'Roaccutan' in die Suchfunktion eingeben). Erkundigt euch an anderer Stelle, ob nicht doch wenigstens eine Teilentfernung möglich und sinnvoll ist. Beschwerden macht nämlich häufig gerade auch das Ödem, das den Tumor umgibt - eine Operation - ggf. im offenen MRT - könnte eurem Vater vielleicht Entlastung bringen. Gegen die Schwellung im Gehirn kann auch die Einnahme von Weihrauch helfen (muss man als Kassenpatient selbst bezahlen), oder von Cortisonpräparaten, die ich aber nur dann einnehmen würde, wenn es gar nicht anders geht.
Wie kommt man als Patient seelisch mit dieser Erkrankung und ihren Folgen klar? Was gibt mir Kraft? Woraus schöpfe ich Hoffnung?
Die Diagnose eines Astro II hat mich als Patient zur Auseinandersetzung mit meinem Tod gezwungen, genauso aber auch zur Auseinandersetzung mit meinem Leben. Leider herrscht - auch hier im Forum - eine ziemliche Scheu, dieses Thema zu berühren. Ich war in der ersten Zeit sehr froh, dass mir einige Menschen nicht nur mit "Die Medizin ist doch schon unheimlich weit" oder mit "Alles wird gut" begegneten, sondern mich auch in meiner Angst vor Krankheit, Leiden und Sterben ernst nahmen, mich in meiner Hilflosigkeit, Verzweiflung und Wut stützten und mich hielten, wenn ich nur noch weinen konnte.
Ich habe mir Rat beim Psychologen geholt. Das hat mich, zumindest was meine großen und kleinen "Alltagsexistenzsorgen" angeht (Verlust von Partnerin, Wohnung, Arbeitsstelle und Ersparnissen) gelassener gemacht. Es hat mir geholfen, mit ein paar Dingen aus der Vergangenheit abzuschließen und meinen Blick noch mehr nach vorne zu richten. Ich habe mir mehr Klarheit darüber verschafft, warum und wofür ich gerne lebe. Es ist wichtig, Pläne für die Zukunft zu machen, die realistisch sind und die einen gleichzeitig auch ein wenig fordern.
Manchmal hilft es mir, die Krankheitssymptome zu ignorieren und die Gedanken an das, was auf mich noch zukommen mag, zu verdrängen. Ich versuche Stress zu vermeiden und mehr auf das zu achten, was mir gut tut. Ich versuche, einigermaßen regelmäßig zu meditieren und mich geistig zu stärken. Körperliche Bewegung und eine ausgewogene Ernährung kurbeln erwiesenermaßen das Immunsystem an, ebenso das Musikhören und Singen.
Es gibt mir Kraft, zu wissen, dass Menschen auf der Welt sind, die ich liebe, die mir beistehen und die mich nicht im Stich lassen werden. Den vielleicht größten Teil meiner Kraft und Ruhe schöpfe ich aus dem Glauben an etwas Höheres und an etwas in uns, das unvergänglich ist.
All das trägt zu einer Lebensqualität bei, die vielleicht nicht mehr die gleiche ist wie früher, das Leben aber nach wie vor sehr lebenswert für mich macht.
Ich hoffe, ihr könnt in eurem Vater etwas anstoßen, was ihn dazu führt, sich wieder dem Leben zu stellen!
Alles Gute - Michael