Lieber Onlyjoking,
ich finde Deine Frage sehr interessant.
Eigentlich hängt ja jeder am Leben, insbesondere, wenn man (wie viele von uns) mitten aus voller Gesundheit und Aktivität in unseren Familien, im Beruf und Freizeit diese Diagnose erhält.
Ich kann nicht über Chemotherapie reden, da es für WHO-III-Meningeome keine gibt.
Aber ich habe mich operieren lassen, war erschüttert, wie lange ich danach brauchte, um wieder in den Beruf einzusteigen - und war nach einem Jahr glücklicher als zuvor.
Das Rezidiv nahm ich lockerer, ließ mich operieren, wusste, dass es lange dauern würde und ich wusste auch: Wenn es ein 2. Mal kommt, muss es eine weitere Therapie geben.
Nach der OP ging es mir recht gut, aber im Verlauf der Bestrahlung ließen meine Kräfte deutlich nach. Aber nicht mein Optimismus.
Ich kannte die Diagnose mit der schlechten Prognose, die ich aber nie erfragt habe.
Nach Beendigung der Bestrahlung dauerte es länger als beim 1. Mal, aber es ging voran, ich konnte mich meinen drei Kindern widmen und bald auch wieder arbeiten.
Bei mir ging es ja weiter mit OP, Arbeit, OP+Bestrahlung, Ruhestand. Auch nach diesen Therapien war das Leben wieder sehr lebenswert geworden, nach noch längerer Zeit.
4 Jahre danach sagte ich bei den Kontrollen, dass es mir sehr gut geht, nach 4,5 Jahren sagte ich (erstaunt), dass es mir noch besser geht. Das Leben war wertvoll!
Nur, dass bei diesen Kontrollen (ziemlich genau 21 Jahre nach der 1. OP) wieder ein WHO-III-Meningeom gefunden wurde, an einer Stelle, wo es äußerst riskant war, es überhaupt zu operieren und wenn, dann nur teilweise und mit anschließender Bestrahlung.
Die langwierigen Wundheilungsstörungen machten mich kaputt, wütend, ich war auf Hilfe angewiesen, alles war doof.
Aber ich wusste: Die Ärzte haben so um mein Leben gekämpft!
Und mein 5. Enkelkind war unterwegs.
Motivationen pur, die zum Leben JA sagen.
Ja, wenn ich von den Problemen lese, die während der Chemotherapie auftreten, bin ich mitunter froh, dass es für mich keine gibt.
Aber wenn es sie gäbe, würde ich sie durchziehen, wissend, dass es mir WÄHREND der Chemotherapie schlechter gehen wird, aber DANACH wird es mir besser gehen.
Das klingt vielleicht nach "Zweckoptimismus".
Aber solange mir die Ärzte ehrlich sagen, dass eine Therapie helfen kann, um das Leben weiterzuleben, dass die Therapie belastend und mit Nebenwirkungen verbunden ist, es aber danach wieder einige Jahre gibt, in denen ich leben kann, würde ich es tun.
Tatsächlich weiß ich, dass es bei einem weiteren Rezidiv oder dem Wachstum des Resttumors keine Option mehr gibt. Ich habe täglich nur sehr wenige Stunden zur aktiven Verfügung. Mitunter denke ich, dass ich das Leben satt habe. Aber dann gibt es hier und da ein nettes Gespräch, ein Konzert im Ort, den meist "digitalen" Austausch mit den Kindern und Enkeln, die Besuche untereinander, FREUDE.
Und dann ist das Leben wieder lebenswert.
Weißt Du, Onlyjoking, es gibt viel Forschung mit dem Ziel, Krebs so zu therapieren, dass die Lebensqualität möglichst gut erhalten bleibt. Und das geht schrittweise voran. Einige trifft der Tod rasch, andere leben lange oder viele Jahre.
Mitunter höre auch ich solche Worte, dass man sich freut, mich zu sehen, bei dieser Diagnose.
Zieh die Therapie durch! Die Ärzte haben sich etwas dabei gedacht. Sie wollen Dir helfen. Sie würden es Dir irgendwann sagen, wenn die Therapie mehr Schaden als Nutzen bringen würde.
Das wurde mir gesagt, als in der Tumorkonferenz über Avastin gesprochen wurde. Das wurde mir auch bei der Bestrahlung gesagt, dass ich Kortison nur im äußersten Notfall bekäme. Und das wurde mir bei der letzten Tumor-OP gesagt, als ein Rest verbleiben musste.
Ich bin mir sicher, auch Deine Ärzte therapieren nicht, um zu therapieren, sondern um Dir zu helfen.
Deine Therapie ist belastend, sie hat Nebenwirkungen, einige werden auch dauerhaft sein, aber es ist eine Chance für das Leben.
Auch eine eingeschränkte Lebensqualität ist noch eine Lebensqualität.
Wenn man allerdings ein solcher Pflegefall wird, dass man kaum noch etwas kann, dann ... ist da eine Grenze, über die ich nicht gern nachdenken will ...
KaSy