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JoAnEmTo

Liebe Forumsmitglieder,
ich schreibe heute zum ersten Mal in diesem Forum. Bei mir wurde am 15.9. ein Meningeom Grad 1 am Kleinhirnbrückenwinkel entfernt. Nach der OP ging es mir recht schnell wieder gut, außer dass ich seitdem Doppelbilder habe. Ich wurde 6 Tage nach der OP wieder entlassen und warte jetzt auf meine Reha, die am 19.10. beginnt. Leider habe ich das Gefühl, dass es mir im Moment statt langsam besser eher täglich schlechter geht. Ich habe ständig Kopfschmerzen (sogar Migräneanfälle, die ich früher höchstens einmal in zwei Jahren hatte), die Doppelbilder machen mir sehr zu schaffen und ich habe das Gefühl, dass ich langsam depressiv werde. Dazu habe ich ständig Angst, dass noch irgendetwas Schlimmes passieren könnte, dass der Tumor wieder kommt, dass die Doppelbilder nicht mehr weggehen... Ich weiß, ich jammere wahrscheinlich auf hohem Niveau, denn ich sollte doch froh und dankbar sein, dass die OP gut verlaufen ist. Aber ich komme gegen diese negativen Gedanken und Ängste nicht an. Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht und kennt diese Ängste? Ich freue mich über jede Antwort.
Liebe Grüße Katrin

KaSy

Liebe JoAnEmTo
Deine OP ist jetzt gut 15 Tage her und das ist noch nicht sehr lang.

Ich habe gelesen, dass Du Dich schon vor sehr langer Zeit hier angemeldet hast, Du hast also lange gewartet, bis Du Dich zur OP entschlossen hast, weil die Notwendigkeit dafür entstanden war.

In dieser Zeit hast Du immer wieder die OP "vor Augen" gehabt, gleichzeitig aber auch viele Ängste vor dem, was der Tumor anrichten könnte und was durch die OP an Schäden entstehen würden.

Vor meiner ersten Meningeom-OP hatte ich sehr viele Ängste vor dem "Danach", ich befürchtete zu sterben oder, dass ich nicht merke, wie sich meine Persönlichkeit verändert.

Drei Monate nach der Diagnose wurde ich operiert und war direkt danach glücklich.

Später habe ich es mir erklären können. Die vielen ungewissen Ängste waren keine Realität geworden. Ich lebte, konnte reden, die Ärzte und meine Familie erkennen - alles war super.

1-2 Wochen danach legte sich dieses Glücksgefühl etwas, denn mir wurde bewusst, dass doch etwas ganz anders geworden war.

In diesem Stadium befindest Du Dich jetzt.
Die vielen Ungewissheiten wandelten sich in viel weniger reale, aber ernste Probleme um. Hinzu kommen diese für Dich völlig neuen psychischen Probleme.

Diese erklären sich dadurch, dass eine OP am Kopf ein Eingriff in Dein Gehirn ist, also in den "Körperteil", der Deine Persönlichkeit ausmacht, der denkt, der plant, der Dein Wissen beinhaltet.

Es ist kein Beinbruch, den man irgendwann vergisst, weil man wieder laufen kann.

Eine Hirn-OP greift Dein gesamtes Wesen an (ohne es tatsächlich völlig zu ändern) und damit klarzukommen, braucht viel Zeit.
Hinzu kommt, dass man Dir kaum ansieht, dass Du eine sehr schwere OP hinter Dir hast, Du selbst siehst es Dir auch kaum an, jedenfalls weniger, als wenn Du einige Wochen mit Krücken hinken müsstest.

Und das macht es nach der OP doppelt, dreifach schwer.

Du wirst in eine Rehaklinik fahren und dort wird man sich mit Dir als Gesamtpersönlichkeit befassen. Die objektiven Symptome werden geeignet therapiert und Du wirst, wenn es überhaupt noch nötig ist, Empfehlungen für die Zeit nach der Reha bekommen.

Du wirst körperlich aktiviert, Dir wird mehr Zutrauen zu Dir selbst gegeben, Dich ohne Angst zu belasten.

Und es wird eine psychologische Betreuung geben, die für Dich sehr wichtig ist. Das kann dort nur ein Beginn sein.

Deswegen empfehle ich Dir, Deinem Hausarzt jetzt bereits Deine psychische Situation zu schildern, also, Du darfst Dich bei ihm ruhig auch ausheulen!
Und frage ihn nach mehreren Adressen von Fachleuten, die sich längerfristig mit Deiner Psyche befassen können.
Es kann schwer werden, jemanden zeitnah zu finden. Hinzu kommt, dass mit der ersten Fachperson vielleicht "die Chemie nicht stimmt". Deswegen melde Dich jetzt bereits bei 2 oder 3 Fachleuten an.

Ganz wichtig ist auch, dass Du Dich zu Hause in der Familie, mit Freunden, Kollegen frei aussprechen kannst.
Das geht im engsten Kreis nicht immer, weil man die "Liebsten" nicht belasten möchte, sie machen sich ohnehin Sorgen.
Du kannst auch Deine Sorgen und Gefühle aufschreiben, um Dich ein wenig zu entlasten, in einer Art Tagebuch oder hier.

Deine Doppelbilder werden vermutlich nach und nach weniger werden, vor allem, wenn sie nicht da sind, wenn Du ein Auge zuhältst.

Die Kopfschmerzen, ja, die hatte ich auch nach der OP. Aber ich habe recht bald gelernt, dass sie keine organischen Ursachen haben, also nicht vom Tumor kommen. Ich hatte nach und nach die "Auslöser" erkannt.
Hatte ich aufgeregte Musik gehört, kamen die Kopfschmerzen, bei angenehmer Musik nicht.
Hatte ich Filme mit "bösen" Inhalten gesehen, tat der Kopf weh, bei schönen Filmen nicht.
Nach und nach suchte ich schöne Dinge, die ich zuvor nie so wahrgenommen hatte, farbige Blätter, den blauen Himmel, den Morgennebel, glitzernde Tröpfchen auf den Pflanzen ...

Aber irgendwann tauchten diese Gedanken auf, was, wenn das nicht weggeht, was, wenn die Doppelbilder bleiben, was, wenn der Tumor wächst ... und dann waren die Kopfschmerzen wieder da.

Vielleicht findest Du auch bald "Auslöser" für und "nette Gegenspieler" gegen Deine Kopfschmerzen.
Denn sie haben bereits jetzt kaum noch eine organische Ursache im Gehirn, da das Gehirn selbst keine "Schmerzrezeptoren" hat, aber die Psyche "spielt Dir einen Streich". Ich habe gelernt, dass die Psyche "übermächtig" sein kann.
Aber auch, dass man ihr entgegenwirken kann.
Nur, das muss man lernen, dafür benötigt man von außen Hilfe, jedenfalls ich und Du, glaube ich, auch.

Ich bin sicher, dass bei Dir nach und nach alles wieder besser werden wird.

Du hast Dich verändert, damit klarzukommen, wenn es relativ unerwartet geschieht, ist nicht leicht.

Aber sei Dir bewusst, dass Du stolz darauf sein kannst, was Du für eine OP überstanden hast, wenn Du nach und nach wieder in Dein Leben zurückkehrst.

Nimm Dir genügend, also viel Zeit und habe Geduld mit Dir.

Mit der OP hast Du ein Stück geschafft, aber das folgende Stück wird länger sein, "die Mühen der Ebene" könnte man es nennen. Die wirst Du nach und nach besser bewältigen.

Dafür wünsche ich Dir alles Gute!
KaSy

JoAnEmTo

Hallo KaSy,
vielen Dank für deine schnelle, ausführliche und aufmunternde Antwort! Du hast mit vielem Recht, was du schreibst und ja, ich glaube auch, dass die Psyche bei mir sicherlich eine sehr große Rolle spielt. Deswegen setzte ich auch große Hoffnung in die Reha...
Zu meinem Umfeld kann ich Gott sei Dank sagen, dass mein Mann wirklich großartig hinter mir steht, mich unterstützt und immer für mich da ist, und dass, obwohl er sich so ganz "nebenbei" auch noch um unsere vier Kinder kümmert und berufstätig ist. Ich bin wirklich froh, ihn an meiner Seite zu haben. Auch Freunde, Kollegen und meine Verwandtschaft unterstützen mich alle. Das ist sehr schön, und deswegen ärgert es mich umso mehr, dass ich so unzufrieden bin... Aber ich denke, dass ich, wie du schon sagst, tatsächlich einfach viel länger brauchen werde, diesen Eingriff am Gehirn zu verarbeiten.
Ach so, angemeldet habe ich mich vor längerer Zeit schon hier im Forum, weil wir im Bekanntenkreis ein Kind mit einem Hirntumor hatten und ich hier Informationen gesucht habe. Ich selbst habe von meinem Tumor genau 6 Tage vor der OP erfahren, da ich zum Glück ganz schnell einen Termin bekommen habe, sodass ich nicht viel Zeit zum Nachdenken hatte.
Viele Grüße und danke nochmal!

Efeu

Liebe Katrin,

ich will dir auch noch Mut machen.
Die OP ist grad 2 Wochen her, das ist "frisch". Dein Körper arbeitet auf Hochtouren, es war wie ein "Wasserschaden im zentralen Hauptsicherungskasten eines Hauses", wie ein Arzt mir mal erklärte. Du wirst sehen, speziell in der Reha werden die Beschwerden rasch besser, Es braucht alles viel Zeit um zu heilen, sehr viel Zeit - und du Geduld und liebevolles, aufmerksamenes dich-selbst-Begleiten auf diesem Weg, der so neu und unbekannt ist.

Dass jetzt Ängste kommen, auch Todesangst, ist erklärbar. Vor der OP schalten wir mehr oder weniger in einen psychischen Notfall-Modus, wir haben uns zu der OP entschlossen und wollen dieses grosse, ängstigende Unbekannte bewältigen. Nur Angst wäre hinderlich, unser Gehirn blendet sie relativ stark aus, weil all die Facetten zu einer totalen Überforderung führen würde, was wir uns in dieser Zeit nicht leisten können.
Da greifen Instinkte, Mechanismen, die wir ebenso noch haben wie Tiere.

Nach der OP, wenn die körperliche Kraft zurück kommt, flutet uns erst einmal Euphorie: Wir haben es geschafft, das Un-Vorstellbare, das Un-Denkbare, da macht jemand meinen Kopf auf, operiert darin herum....usw.
Es ist geschafft, überlebt.
Diese Euphorie hält nur eine gewisse Zeit, dann kommen wir immer mehr in de Lage, die gesamte Situation zu erfassen, zu reflektieren, Erinnerungen, Emotionen steigen auf, es beginnt uns zu beschäftigen, und manchmal drängen all die aufgestauten Gefühle, Fragen, Aspekte wie eine Gerölllawine auf uns ein.
Ja, such dir einen Psychotherapeuten, unbedingt. Ich finde, generell, das Thema ist zu gross, schwer, um es alleine stemmen zu wollen. Such dir jemand, der dich auf DEINEM WEG begleitet, dass du herausfindest, wie du damit leben kannst, mit dem was war, und mit dem was ist.
Es ist ein Prozess, ein Weg, dein Weg.

Es geht um dich.

LG
Efeu

Kririle

Hallo Katrin,
deine Ängste kann ich sehr gut nachvollziehen.
Ich hatte nach der OP eine Woche Euphorie ohne Ende.
Dann kam ein fokaler Anfall, danach noch einige kleinere und nach einer Woche waren sie wieder verschwunden. Die Ärzte erklärten mir, dass evtl die Narbe drückt und / oder sich das Gehirn an die neue Situation ohne Tumor gewöhnen muss.
Später kam noch eine Wundheilungsstörung dazu. Bis heute (OP war am 21.7.) habe ich noch ein paar kleine Stellen, die noch nicht richtig zu sind.
Es ist ein stetiges auf und ab der Gefühle. Außerdem musste ich acht Wochen auf mein pathologisches Ergebnis des Tumors warten. Ich hatte sehr oft Angstgefühle und war innerlich total angespannt. Es war so schlimm, dass ich unter extremen Drehschwindel litt. Ein Tipp einer Ärztin war, wenn ich starke Angstgefühle habe, langsam und bewusst ein großes Glas Wasser zu trinken. Manche Tage bin ich zwischen Küche und Bad ständig hin und her gelaufen; alles was oben rein kam, musste ja auch wieder raus... Aber ich habe mir eingebildet, dass es mir hilft.
Inzwischen bin ich etwas ruhiger geworden. Trotzdem gibt es immer wieder Tage an denen ich einen Schritt zurück falle, am nächsten Tag aber wieder zwei nach vorn gehe.
Meine Familie sagt ständig, ich solle mir Zeit lassen und geduldig mit mir selbst sein. Dies ist nicht einfach, aber notwendig. Und mit der Zeit klappt es auch immer besser.
Alles Gute für dich und Kopf hoch
Liebe Grüße
Kririle

02042019_IB

Liebe Katrin,
Bei mir waren die Doppelbilder nach 8 Monaten weg, dann konnte ich auch wieder Auto fahren. Ich habe mir ein 2000er Puzzle gekauft, mit verschiedenen Blautönen, Venedigmotiv, um die Herausforderung zu erhöhen. Damit habe ich Stück für Stück das Auge trainiert, dabei gelernt was Geduld bedeuten kann, mich über die kleinen Erfolge gefreut und eine schöne Erinnerung an diese Zeit behalten. Ich kann sehr nachvollziehen was in dir momentan vorgeht, mich hat es sehr abgelenkt. In der MHH Augenklinik gibt es einen Orthoptisten, der kann dir Übungen an die Hand geben. Hast du schon mal was von dieser Übung mit der Perlenkette gehört? Ich habe mir selbst eine gebastelt. Wenn du magst, schreibe mir eine Nachricht, dann können wir gerne dazu telefonieren. Die Augenklappe habe ich anfangs auch zur Entlastung benutzt. Du merkst irgendwann selbst, wenn es besser ist sie weg zu lassen. Kopfschmerzen können auch durch die Überanstrengung beim Üben und Augenklappe tragen entstehen. Dann war es zu viel.
Kopfschmerzen kannst du evtl auch vom verspannten Nacken her haben, oder von weitere postoperative Probleme...
Auch begünstigt der Wetterwechsel diese derzeit. Gönne dir mehr Ruhe, mit 4 Kids ist dass allerdings leicht gesagt. Ich habe Glück, meine sind aus dem Haus.
Ängste sind normal. Tipp: Nimm dir nach der Kur nicht zu viel vor, lege öfter Ruhepausen ein. Dein Körper muss sich erst langsam erholen, ich dachte auch, dass geht schneller. Es ist auch neu, dass sich jetzt andere um einen kümmern, was ja sonst unsere Rolle war. Kommt vielleicht daher deine Unzufriedenheit, weil du es jetzt nicht kannst? Versuche es anzunehmen. Mein Mann hat dadurch das kochen für sich entdeckt und ich lehne mich mittlerweile zurück und genieße es.
Liebe Grüße Ines

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