Liebe JoAnEmTo
Deine OP ist jetzt gut 15 Tage her und das ist noch nicht sehr lang.
Ich habe gelesen, dass Du Dich schon vor sehr langer Zeit hier angemeldet hast, Du hast also lange gewartet, bis Du Dich zur OP entschlossen hast, weil die Notwendigkeit dafür entstanden war.
In dieser Zeit hast Du immer wieder die OP "vor Augen" gehabt, gleichzeitig aber auch viele Ängste vor dem, was der Tumor anrichten könnte und was durch die OP an Schäden entstehen würden.
Vor meiner ersten Meningeom-OP hatte ich sehr viele Ängste vor dem "Danach", ich befürchtete zu sterben oder, dass ich nicht merke, wie sich meine Persönlichkeit verändert.
Drei Monate nach der Diagnose wurde ich operiert und war direkt danach glücklich.
Später habe ich es mir erklären können. Die vielen ungewissen Ängste waren keine Realität geworden. Ich lebte, konnte reden, die Ärzte und meine Familie erkennen - alles war super.
1-2 Wochen danach legte sich dieses Glücksgefühl etwas, denn mir wurde bewusst, dass doch etwas ganz anders geworden war.
In diesem Stadium befindest Du Dich jetzt.
Die vielen Ungewissheiten wandelten sich in viel weniger reale, aber ernste Probleme um. Hinzu kommen diese für Dich völlig neuen psychischen Probleme.
Diese erklären sich dadurch, dass eine OP am Kopf ein Eingriff in Dein Gehirn ist, also in den "Körperteil", der Deine Persönlichkeit ausmacht, der denkt, der plant, der Dein Wissen beinhaltet.
Es ist kein Beinbruch, den man irgendwann vergisst, weil man wieder laufen kann.
Eine Hirn-OP greift Dein gesamtes Wesen an (ohne es tatsächlich völlig zu ändern) und damit klarzukommen, braucht viel Zeit.
Hinzu kommt, dass man Dir kaum ansieht, dass Du eine sehr schwere OP hinter Dir hast, Du selbst siehst es Dir auch kaum an, jedenfalls weniger, als wenn Du einige Wochen mit Krücken hinken müsstest.
Und das macht es nach der OP doppelt, dreifach schwer.
Du wirst in eine Rehaklinik fahren und dort wird man sich mit Dir als Gesamtpersönlichkeit befassen. Die objektiven Symptome werden geeignet therapiert und Du wirst, wenn es überhaupt noch nötig ist, Empfehlungen für die Zeit nach der Reha bekommen.
Du wirst körperlich aktiviert, Dir wird mehr Zutrauen zu Dir selbst gegeben, Dich ohne Angst zu belasten.
Und es wird eine psychologische Betreuung geben, die für Dich sehr wichtig ist. Das kann dort nur ein Beginn sein.
Deswegen empfehle ich Dir, Deinem Hausarzt jetzt bereits Deine psychische Situation zu schildern, also, Du darfst Dich bei ihm ruhig auch ausheulen!
Und frage ihn nach mehreren Adressen von Fachleuten, die sich längerfristig mit Deiner Psyche befassen können.
Es kann schwer werden, jemanden zeitnah zu finden. Hinzu kommt, dass mit der ersten Fachperson vielleicht "die Chemie nicht stimmt". Deswegen melde Dich jetzt bereits bei 2 oder 3 Fachleuten an.
Ganz wichtig ist auch, dass Du Dich zu Hause in der Familie, mit Freunden, Kollegen frei aussprechen kannst.
Das geht im engsten Kreis nicht immer, weil man die "Liebsten" nicht belasten möchte, sie machen sich ohnehin Sorgen.
Du kannst auch Deine Sorgen und Gefühle aufschreiben, um Dich ein wenig zu entlasten, in einer Art Tagebuch oder hier.
Deine Doppelbilder werden vermutlich nach und nach weniger werden, vor allem, wenn sie nicht da sind, wenn Du ein Auge zuhältst.
Die Kopfschmerzen, ja, die hatte ich auch nach der OP. Aber ich habe recht bald gelernt, dass sie keine organischen Ursachen haben, also nicht vom Tumor kommen. Ich hatte nach und nach die "Auslöser" erkannt.
Hatte ich aufgeregte Musik gehört, kamen die Kopfschmerzen, bei angenehmer Musik nicht.
Hatte ich Filme mit "bösen" Inhalten gesehen, tat der Kopf weh, bei schönen Filmen nicht.
Nach und nach suchte ich schöne Dinge, die ich zuvor nie so wahrgenommen hatte, farbige Blätter, den blauen Himmel, den Morgennebel, glitzernde Tröpfchen auf den Pflanzen ...
Aber irgendwann tauchten diese Gedanken auf, was, wenn das nicht weggeht, was, wenn die Doppelbilder bleiben, was, wenn der Tumor wächst ... und dann waren die Kopfschmerzen wieder da.
Vielleicht findest Du auch bald "Auslöser" für und "nette Gegenspieler" gegen Deine Kopfschmerzen.
Denn sie haben bereits jetzt kaum noch eine organische Ursache im Gehirn, da das Gehirn selbst keine "Schmerzrezeptoren" hat, aber die Psyche "spielt Dir einen Streich". Ich habe gelernt, dass die Psyche "übermächtig" sein kann.
Aber auch, dass man ihr entgegenwirken kann.
Nur, das muss man lernen, dafür benötigt man von außen Hilfe, jedenfalls ich und Du, glaube ich, auch.
Ich bin sicher, dass bei Dir nach und nach alles wieder besser werden wird.
Du hast Dich verändert, damit klarzukommen, wenn es relativ unerwartet geschieht, ist nicht leicht.
Aber sei Dir bewusst, dass Du stolz darauf sein kannst, was Du für eine OP überstanden hast, wenn Du nach und nach wieder in Dein Leben zurückkehrst.
Nimm Dir genügend, also viel Zeit und habe Geduld mit Dir.
Mit der OP hast Du ein Stück geschafft, aber das folgende Stück wird länger sein, "die Mühen der Ebene" könnte man es nennen. Die wirst Du nach und nach besser bewältigen.
Dafür wünsche ich Dir alles Gute!
KaSy