Neunkirchen

Liebe Forumsmitglieder,

in den letzten 10 Monaten hat mir dieses Forum in vielen Situationen während des gesamten Krankheitsverlaufs meines Vaters (Diagnose 12/2022: Glioblastom, WHO Grad IV, IDH-Wildtyp, MGMT unmethyliert) ein Stück weit Orientierung und Halt gegeben, um ihn durch diese schwierige Zeit begleiten zu können. Mein Vater ist nun am 3. Oktober 2023 nach rd. 10 Monaten mit dieser schlimmen Diagnose gestorben. Er ist im August noch 73 Jahre alt geworden. Strahlen- und Chemotherapie wollte er nach anfänglichem Verlauf mit der Erkrankung nicht mehr durchführen, zumal die Zielführung der Chemotherapie bei unmethyliertem MGMT-Promoter sowieso etwas in Frage stand.

Viele haben sich in diesem Forum immer die Frage gestellt, wie es ist, wenn der sogenannte "Tag X" kommt. Ob dies absehbar oder in irgendeiner Weise erkennbar ist. Auch wenn ich weiß, dass Krankheitsverläufe immer individuell sind, würde ich dennoch gerne hier unsere Geschichte erzählen, die vielleicht auch anderen auf irgendeine Art Hilfe oder Halt sein kann.

Aber zunächst zu den Anfängen - Zusammengefasst:
Nach einem hirnorganischen Anfall am 1. Dezember 2022 wurde mein Vater nach Feststellung einer Raumforderung durch MRT in der Neurologie unseres städtischen Krankenhauses zur Neurochirurgie an die Uniklinik verlegt, wo dann eine Operation mit Teilresektion des Tumors durchgeführt wurde. Am 17. Dezember 2022 kam er nach Hause und wir mussten aufgrund der Weihnachtszeit und dem Jahreswechsel zunächst bis Anfang Januar warten, bis die Standardtherapie begonnen werden konnte. Dafür hatten wir auch schon erste Termine. Allerdings kam alles ganz anders. Nachdem mein Vater kurz vor der ersten Strahlentherapie-Sitzung erneut einen hirnorganischen Anfall hatte und sich zudem eine lebensgefährliche Pneumothorax gebildet hatte, musste er erneut für rund 3 Wochen in die Uniklinik. Die Strahlentherapie musste aufgeschoben werden, bis es ihm wieder körperlich besser ging. Im Zuge der Krankenhausentlassung Ende Januar 2023 war er sehr geschwächt und brauchte dringend Erholung. Wir haben dann entschieden, dass er erst mal für 4 Wochen in Kurzzeitpflege geht (Pflegegrad hatten wir bereits in der ersten Januar-Woche beantragt, vorläufig wurde PG2 bewilligt), damit er sich wieder erholt und wir auch zu Hause Zeit hatten eine adäquate ambulante Versorgung durch Pflegedienst (v. a. zur Medikamentengabe), Palliativteam und ambulantes Hospiz aufzustellen und zu organisieren. Als er Ende Februar aus der Kurzzeitpflege kam, haben wir es dann ca. 3,5 Wochen zu Hause mit ambulanter Versorgung versucht. Mittlerweile wurde nach Begutachtung durch die Pflegekasse Pflegegrad 3 bewilligt. Ich muss dazu sagen, dass mein Vater alleinlebend in seiner Wohnung war. Ich habe ca. 2 km entfernt gewohnt und konnte mit dem Auto immer schnell bei ihm sein. Wobei ich ihn dank Homeoffice meistens den ganzen Tag über in seiner Wohnung betreuen konnte. Abends habe ich ihn dann immer ins Bett gebracht und bin auch selbst nach Hause gefahren. Die Standardtherapie (Bestrahlung und Chemo) war bis dahin auch kein Thema mehr bei meinem Vater. Ich habe das so akzeptiert und denke auch, dass es rückblickend, auch mit Blick auf die verbliebene Lebensqualität, nicht die schlechteste Entscheidung war.

Ca. 1 Woche vor Ende März hatte er dann einen erneuten Krampfanfall und hat zuvor in einer generellen Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit nachts seine Wohnung verwüstet. Der Pflegedienst und das Palliativteam hatten ihn dann sehr früh morgens so in seiner Wohnung vorgefunden und ihn zunächst stationär im Krankenhaus unterbringen lassen, wo er ca. 1 Woche war. In dieser Woche hatte ich Zeit eine Pflegeeinrichtung für ihn zu finden, was mir Gott sei Dank auf Anhieb gelungen ist. Eventuell in Frage kommende Hospizplätze gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Im Nachbarort, in ca. 2 km Entfernung von meiner Wohnung hatten wir also einen Pflegeplatz für ihn. Dort hat er dann seine letzten Lebensmonate von Ende März 2023 bis zum 3. Oktober 2023 verbracht. Auch wenn er dort rund um die Uhr betreut und versorgt war, waren auch diese Monate alles andere als einfach. Ich war nahezu täglich für viele Stunden bei ihm. Bis Ende Juni konnten wir noch viele Ausflüge machen, z. B. Spaziergänge an kleinen Weihern und Seen, Eis essen, einfach mal shoppen oder gut essen gehen. Wir haben die Zeit, in der noch vieles ging, so gut wie möglich genutzt. Ab Anfang Juli brauchte er dann einen Rollstuhl, um noch einigermaßen mobil sein zu können. Er hatte in den letzten Monaten seit der Diagnose extrem viel abgenommen und war körperlich sehr schwach geworden. Im Juni hat er bereits einen Rollator als Gehhilfe gebraucht. Im Juli dann der Rollstuhl. Aber auch mit dem Rollstuhl konnten wir noch einiges unternehmen. Wenn auch etwas eingeschränkter als zuvor. Viele Gesprächsimpulse kamen von meinem Vater zu dem Zeitpunkt nicht mehr, da er meistens (vielleicht nicht nur tumorbedingt, sondern auch medikamentenbedingt) sehr abwesend war. Er hat mehr zugehört, als selbst reden zu können, was mich aber nie gestört hat. Wir haben auch "schweigend" noch schöne Stunden miteinander verbringen können. Im Zeitraum Ende März bis Anfang September hatte er -man kann schon sagen im 4 Wochen-Rythmus- erneute hirnorganische Anfälle, die jedes Mal mehrere Tage Krankenhausaufenthalt nach sich gezogen haben.

Der letzte Lebensmonat:
Nach seinem letzten hirnorganischen Anfall am 2. September 2023 wurde er nach 5-tägigem Krankenhausaufenthalt wieder entlassen und kam zurück in die Pflegeeinrichtung. Schon ab Mitte August war es ihm vom Kopf her nicht mehr möglich einzuschätzen, ob und wann er zur Toilette muss, was letztlich zur Folge hatte, dass er sich täglich mehrfach eingenässt hat und das Thema Katheter im Raum stand. Damit war er auch einverstanden, weil er gemerkt hat, dass der Alltag damit leichter fiel. Ab dem 8. September hat sich bei ihm ein zunehmendes Schlafbedürfnis eingestellt. Egal zu welcher Uhrzeit ich danach in die Pflegeeinrichtung gekommen bin, er war meistens am schlafen -fast rund um die Uhr. Am 15. September war er bei meinem Besuch tatsächlich mal nach längerer Zeit wach und hatte den dringenden Wunsch nochmal an seinem geliebten Weiher in der Nähe der Pflegeeinrichtung spazieren zu gehen. Obwohl er durch das viele Schlafen extrem schwach war, habe ich ihn angezogen und bin mit ihm mit dem Rollstuhl einige Stunden spazieren gegangen. Als wir zurückgekommen sind, wollte er wiederum direkt in sein Bett. Bis Ende September ging das dann so weiter, dass er jeden Tag, fast rund um die Uhr geschlafen hat. Nur für das alljährliche Gartenfest der Pflegeeinrichtung am 24. September konnten die Pflegerinnen ihn nochmal nach Draußen bewegen. Wobei er mich an dem Tag schon nicht mehr wahrgenommen hat bzw. er sehr in sich gekehrt und abwesend war. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits Pflegegrad 4. Am 29. September wurde ich dann von der Betreuerin des ambulanten Hospiz und vom Palliativteam, die ihn in der Pflegeeinrichtung seit Monaten kontinuierlich begleitet haben, darüber informiert, dass ich mich darauf einstellen müsste, dass es nun auf die finale Phase zugehen könnte. Ich wollte das zu dem Zeitpunkt nicht wirklich wahr haben und habe mich an die eigene Vorstellung geklammert, dass es vielleicht ja doch noch ein paar Wochen wären, wir wir haben könnten. Aber ich musste dann relativ schnell der Realität ins Auge sehen. Wir waren dann bis zu seinem Tod am 3. Oktober jeden Tag nochmal viele Stunden bei ihm am Sterbebett. In diesen letzten Tagen hat er schlafend ganz schwer geatmet und es war an ihm auch eine gewisse innere Unruhe zu spüren. Zudem hat sich bei ihm eine Sepsis entwickelt, die u. a. zum Versagen der Niere geführt hat. Schlucken konnte er nicht mehr, auch keine Medikamente. In den letzten Tagen konnte er auch kein Essen mehr zu sich nehmen. Auch Sprechen konnte er fast gar nicht mehr. Er hat auch die Augen nicht mehr richtig öffnen können. Irgendwie ist er zunehmend weggedämmert. Ich wollte trotzdem nochmal seine Stimme hören. Das war so mein letzter Wunsch. Den hat er mir 3 Tage bevor er verstarb noch erfüllt. Ich musste mit meinem Ohr ganz nah an seinen Mund gehen, damit ich ihn überhaupt verstehen konnte. "Thomas, Thomas, Dankeschön. Darf ich jetzt schlafen?" hat er zu mir gesagt. Das waren seine letzten Worte. Ich glaube, dass er gespürt hat, dass es nun wirklich zu Ende geht. Am 3. Oktober mittags kurz vor der Zeit, als wir sowieso zu ihm fahren wollten, ist er seinen letzten Weg gegangen.10 Minuten, bevor wir losfahren wollten, kam der Anruf von der Pflegeeinrichtung, dass er wenige Minuten vorher gestorben ist. Es war unfassbar für mich. Wir hatten insgesamt 10 Monate des Abschieds und doch ist es so, dass man nicht loslassen kann. Man will es nicht wahrhaben, weil es doch noch viele Monate waren und noch weitere hätten sein können. Vor schwierigen Lebenssituationen wollte er uns als Kinder immer beschützen und ich glaube, dass er auch seinen letzten Atemzug irgendwie alleine machen wollte. Wenn keiner von uns dabei ist. Ganz für sich. Letztendlich ist er ruhig und friedlich, ohne Schmerzen gestorben, auch weil er palliativ gut begleitet war. Das bleibt mir zumindest als kleiner Trost. Er ist nun wahrlich erlöst von dieser schlimmen Erkrankung, die uns unsere Zukunft geraubt hat.

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