www.hirntumorhilfe.de
Herzlich willkommen im Forum der Deutschen Hirntumorhilfe!

Thema: Das Leben als Angehörige an der Seite eines Gehirntumorpatienten

Das Leben als Angehörige an der Seite eines Gehirntumorpatienten
Dazlious
10.03.2019 18:45:53
Hallo, ich bin seit einiger Zeit stille Mitleserin. Ich bin Ehefrau eines Gehirntumorpatienten (Oligodendrogliom/anaplastisches Astrocytom).Ich schreibe, weil ich mich gerne austauschen würde mit anderen Angehörigen. Kurz zu unserer Geschichte: Grand mal Anfall Ende 2005- MRT- Diagnose. OP (inkomplette Resektion); keine Reha- wollte mein Mann nicht. Antikonvulsive Einstellung mit Lamothrigin. Keine Chemo, keine Bestrahlung nach Absprache mit unserem Onkologen. Viele Jahre vergingen daraufhin- in den Folgejahren Berufsunfähigkeitsrente. Ab 2015 vermehrt Krampfanfälle. Tumorrezidiv (PE)- inoperabel- über 1 Jahr Bestrahlungs- und Chemotherapie.

Ich begleite meinen Mann schon sehr lange und merke selber, dass meine Kräfte langsam zu Ende gehen und ich auch immer ungeduldiger werde. Es existiert kein erkennbarer Tagesablauf bei meinem Mann- alles in allem sind wir im Vergleich zu Anderen gut "weggekommen". Leider stelle ich immer häufiger fest, dass unsere Beziehung nicht mehr auf Augenhöhe stattfindet. Ich bin seit Jahren der Motor der Familie, habe alles im Blick, arbeite natürlich auch und kümmere mich hauptsächlich um unsere Tochter, die chronisch krank ist und sich derzeit in einer akuten Krankheitsphase befindet. Mein Mann gefällt sich als geschmeidiger "Plauderer" ohne für mich erkennbare Lebensschwerpunkte. Eine psychotherapeutische Begleitung nehme ich bereits in Anspruch. Eine Kur wurde abgelehnt mit dem Hinweis, dass ich mich mit ambulanten Angeboten abdecken kann- ferner weist mein Berufsalltag kaum Fehlzeiten auf, was für eine Kur ja immer eher ungünstig ist.
Mich würde interessieren, welche "Inseln" Ihr für Euch gefunden habt, um mit einer solchen Lebenssituation umzugehen.
Ich habe oftmals den Eindruck, dass ich bereits Witwe bin; meinen Mann erreiche ich oftmals nicht mit meinen Worten- seine Wahrnehmung differiert von meiner.
Also, was tun?
Dazlious
Klara79
10.03.2019 20:45:09
Liebe Dazlious,

ich schreibe Dir, weil es mir persönlich immer guttut zu wissen, wie viele Menschen es doch gibt, denen es ähnlich geht wie mir. Vielleicht geht es Dir ja ähnlich. Ich bin 39, wir haben drei Tage vor der Geburt unserer ersten Tochter die Diagnose Astrozytom bekommen. Nach der ersten Schockstarre haben wir uns aufgerafft und es ging gar nicht so schlecht weiter. Mitte 2017 kam dann die Diagnose, dass der Tumor nun ein Gliobalstom ist. Trotzdem haben wir uns entscheiden, noch ein zweites Kind zu bekommen, das jetzt 9 Monate alt ist. Meinem Mann geht es seit Ende letzten Jahres zunehmend schlechter, er ist nach seiner zweiten Bestrahlung derzeit auf Reha und nahezu halbseitig gelähmt. Da der Tumor rechst frontal sitzt, hat er sich auch sehr verändert, Emotionen zeigt er kaum noch. Selbstredend wuppe ich alles, Kinder, Haushalt, Papierkram, Beruf alleine. Sich bereits als Witwe zu fühlen, kann ich bestens nachvollziehen, und das mit 39. Doch was kann ich Dir Positives sagen? Du machst das ja schon viel länger mit als ich. Trotzdem kenne auch ich das Gefühl, dass man nicht mehr kann, auch sehr gut. Ich denke, Dankbarkeit, dass es ein so langsamer Verlauf ist, ist bei euch schon angebracht. Aber ich weiß auch, dass man ab einem bestimmten Zeitpunkt die gemeinsame Zeit manchmal gar nicht mehr genießen kann. Weil das eben nicht mehr der Mann ist, den man geheiratet hat. Mir helfen die Zeiten, in denen ich alles mal komplett ausblenden kann, ob mit den Kindern, bei der Arbeit oder bei Freunden. Da muss man auch kein schlechtes Gewissen haben! Manchmal hilft es mir, es schlicht und ergreifend demütig zu akzeptieren, wie es ist, mit aller Scheußlichkeit und Grausamkeit. An anderen Tagen gelingt es mir auch, trotzdem das Schöne und Gute zu sehen, das ich habe. Eine Freudin, die mit 35 Jahren an Darmkrebs erkrankt ist, sagte mal, so etwas mache einem zu einem besseren Menschen, weil man lerne, was einem guttue und was nicht, was man vom Leben wolle und was nicht. Und ich weiß, dass es mich auf eine Art und Weise viel stärker macht. Dass mein Leben so viel intensiver ist, als es bei manchen je sein wird. Und ich weiß, dass das Leben irgendwann auch wieder einfacher und sogar schöner sein wird. Ich sehe es als meine Aufgabe an, meinen Mann auf diesem Weg zu begleiten, so gut ich kann. Gleichzeitig ist es für mich leichter, zu akzeptieren, dass ich das alles mit meinem Mann einfach nicht mehr bereden kann und ich versuche, damit nicht mehr zu hadern. Ich habe, ähnlich wie Du, auch Hilfe von einer Psycho-Onkologin, zu der ich in unregelmäßigen Abständen gehe. Hilft Dir irgendetwas davon? Ich wünsche Dir sehr viel Kraft! Alles Liebe, C.
Klara79
Dazlious
10.03.2019 22:45:19
Hallo Klara79, vielen Dank für Deine ausführliche Nachricht, die mir sehr geholfen hat. Dein Leid berührt mich sehr und ich wünsche Dir viel Kraft Dein/Euer Leben weiterhin positiv zu leben.
Alles Liebe, Dazlious
Dazlious
Aziraphale
11.03.2019 09:32:22
Vor 4 Jahren erlitt mein Mann am Ostermontag einen epileptischen Anfall. Im KH wurde ein Astrozytom II diagnostiziert. Ein großer Schock. Dann war erst einmal ein halbes Jahr Ruhe, bis ich auf Arbeit einen Anruf bekam, dass mein Mann im KH ist. Über eine Woche epileptischer Status, leichtes Wachstum, keine KM-Aufnahme. Als mein Mann nach Hause kam, konnte er nicht mehr Schreiben, hatte immer wieder Wortfindungsstörungen. Er bekam dann Chemo, knapp über ein Jahr hat er durchgehalten. Der Tumor gab Ruhe bis letztes Jahr September. Plötzlich rechts Armlähmung. MRT: jetzt Glioblastom, OP war im November, Dez-Jan Bestrahlung, Chemo dauert noch an. Soweit die Krankheitsgeschichte meines Mannes.

Wir haben einen Sohn, er ist jetzt 9, wird im Juli 10. Vor 4 Jahren hätte er eingeschult werden sollen. Wir haben ihn zurück gestellt um ein Jahr, er war beim Kinderpsychotherapeuten, weil er ein Aggressionsproblem hatte. Er macht sich aktuell große Sorgen um seinen Papa und hat niemanden, mit dem er reden kann darüber.

Ich bin in den letzten 4 Jahren um mindestens 10 Jahre gealtert und habe 10 Kilo zugenommen. Hatte noch über ein Jahr ein massives Problem mit meinem neuen Vorgesetzten und auch wenn das mittlerweile gelöst ist, die Probleme, die sich bei mir ergeben haben dadurch sind es nicht (auch der Hass ist nicht weg, gebe ich der Situation immer noch die Schuld an der Verschlechterung des Tumors). Ich nehme fast jeden Infekt mit und manchmal habe ich morgens überhaupt keine Kraft, aufzustehen. Hatte jetzt innerhalb von 3 Wochen 2x eine Erkältung. Für eine Kur würden meine Fehltage durchaus reichen, aber ich möchte das gar nicht. Ich möchte nicht weg von meiner Familie, weiß ich doch überhaupt nicht, wie lange sie so noch bestehen bleibt.

Einen Ausgleich finde ich bei meinem Pferd. Ich gehe, so oft es eben geht, mit meinem Stallbesitzer reiten. Wir haben ein inniges Verhältnis, er ist selbst schwerst krank, aber er und seine Familie sind uns in den letzten Monaten sehr ans Herz gewachsen. Seine Frau hat im Dezember ein Baby bekommen und wir treffen uns oft, unternehmen viel zusammen. Leider meistens ohne meinen Mann, dem ist es zu kalt.

Viele eurer Gedanken kann ich nachvollziehen, auch das mit dem bereits Witwe sein. Auch die Verzweiflung, weil man eigentlich keine Ehe führt, sondern sich eher wie eine Alleinerziehende mit einem erwachsenen Kind vorkommt. Manchmal. Früher ging mein Mann einkaufen, ich hab in der Zeit zu Hause geputzt. Heute bleibt vieles alleine an mir hängen, das Einkaufen sowieso, im Haushalt seit letztem Herbst leider auch viel mehr. Dankbar bin ich für meine Eltern, die uns sehr unterstützen. Mein Papa fährt meinen Mann oft zu Terminen, meine Ma unterstützt uns mit der Wäsche.

Ich habe mir das alles so anders vorgestellt. Aber wie sagt man: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Der Mensch dachte, Gott lachte...

LG Erzi
Aziraphale
Dazlious
11.03.2019 22:20:35
Liebe Erzi, auch Dein Schicksal geht mir sehr nah und ich danke Dir für Deine Offenheit.
Ich wünsche Dir/Euch auf Eurem weiteren Weg viel Kraft.
Liebe Grüsse, Dazlious
Dazlious
spice
14.03.2019 14:21:47
Hallo Erzi, teilweise habe ich bei Deinem Beitrag fast gedacht, ich hätte ihn geschrieben ;)
Bei meinem Mann wurde im April 2017 ein nach heftigen Kopfschmerzen und Übelkeit ein Hirntumor diagnostiziert, der sich als Hirnmetastase eines malignen Melanoms entpuppte. Seitdem 2 weitere OPs (die letzte10/18), bei der letzten war es kein aktives Tumorgewebe, sondern Strahlennekrose, Immuntherapie, weitere Bestrahlung...
Im letzten Jahr hatte mein Mann einige epileptische Anfälle, zweimal mit Status, teilweise mit postikaler Aggression, seit Dezember keine Grand mal- Anfälle mehr, wohl fokale und ein zunehmender kognitiver Abbau (vergisst viel, sucht ständig Sachen, verläuft sich, Dinge, die er früher gut konnte (kochen) klappen nicht mehr...Teilweise gefährlich (Herdplatten anlassen etc.).
Wir haben zwei Kinder, der große ist jetzt 10 geworden, eigentlich hätte er im Herbst auf eine weiterführende Schule sollen, wir haben ihn jetzt zurückgestellt, auch er hatte ein Aggressionsproblem, ist sehr belastet, teilweise Angst vor seinem Vater (wg. der Aggression/fehlenden Einschätzbarkeit).
Die Kleine ist gerade vier geworden und ich muss sie halt immer überall hin mitschleppen, kann sie ja selbst kurz nicht mehr mit dem Vater allein lassen. Eher könnte ich beide Kinder mal ganz alleine daheim lassen als alleine mit ihm. Auch ich habe zwei Ponys, kann das aber deswegen nur begrenzt als Ausgleich nutzen (obwohl Schrittausritte schon gehen :) ).
Auch ich hatte letztes Jahr Probleme mit gleich zwei neuen Vorgesetzten, die mich irgendwie als Gefahr angesehen und massiv gemobbt haben, glücklicherweise konnte ich vor zwei Monaten die Abteilung wechseln.
Auch ich bin am Rande meiner Kraft, habe Vollzeitjob, Kinder, Haushalt (wobei mein Mann mittlerweile mehr Unordnung macht als die Kinder), Sorge um ihn (ist tagsüber allein daheim, bisher Kontakt über Handy, was er aber mittlerweile kaum noch hinbekommt, daher ständige Sorge, ihm passiert was oder er stellt was an.
Leider haben wir keine Familie in der Nähe, so dass ich eigentlich gar keine Entlastung habe. Derzeit ist mein Mann wg. Bandscheiben-OP im Krankenhaus (das auch noch...) und ich muss gestehen: es ist echt eine Entlastung. So schlimm es sich anhört, aber mittlerweile beneide ich "echte" Alleinerziehende :(.
Ja, anders vorgestellt, in der Tat.
spice
Aziraphale
15.03.2019 06:54:17
@spice

Nein. Deine Situation ist weitaus schlimmer, als meine jemals werden könnte und das tut mir sehr leid für euch.

Für Euren Großen kann ich Dir nur raten, dass Du Dir Hilfe suchst. Uns wurde damals von der KiGa-Leitung dringend geraten, einen Therapeuten für unseren Sohn zu Rate zu ziehen und ich habe mich nicht gesträubt, habe es als Tip angenommen, nicht als Bevormundung und Kritik gesehen. Wir hatten viel Glück mit unserer Wahl und er hat sich dort wohl gefühlt, hat das, obwohl er ja noch sehr jung war, als echte Hilfe und Bereicherung angesehen. Es gibt Dinge, die können wir nicht alleine bewältigen. Ich hatte diesbezüglich neulich eine Diskussion mit meiner Ma, die meinte, das müsse ich als seine Mutter doch hinbekommen. Meine Antwort: Ich war noch nie in einer derartig belastenden Situation. Ich habe keine Ahnung, wie es im Kopf meines Kindes wirklich aussieht und ich kann ihm auch keine "Techniken" an die Hand (oder in den Kopf) geben, die ihm helfen. Warum nicht? Weil ich als seine Mutter und als Ehefrau seines Vaters selbst betroffen bin. Ich kenne meine Gedanken, meine Sorgen. Jede Antwort, die ich ihm gebe, ist immer eine beschwichtigende, eine, die versucht, ihn zu beruhigen. Aber das kann nicht richtig sein, entspringt sie immer jemandem, der selbst in der Sache drin steckt. Aber Hilfe brauchen unsere Kinder, es wäre unverantwortlich, ihnen nicht jede mögliche Hilfe zukommen zu lassen.

Mein Mann ist im Umgang mit ihm und auch mit mir meistens sehr lieb. Er wiederholt viele Dinge halt öfters und unser Sohn ist dann eher der, der genervt ist. Weniger Mithilfe liegt leider an der Armparese, die den rechten Arm massiv einschränkt. Wäsche aufhängen ist nicht mehr möglich, Kochen tut er nach wie vor, Staub saugen geht auch.Vergessen tut er weniger als ich ;).
Aziraphale
spice
18.03.2019 13:19:26
Hallo, danke für die Antwort. Für unseren Sohn haben wir uns um Hilfe bemüht, aber ehrlich gestanden habe ich schlicht und ergreifend keine Zeit, ihn regelmäßig zu einer Therapie zu fahren (und das sage ich als Psychotherapeutin, bin solchen Dingen gegenüber also durchaus aufgeschlossen). Das ganze System ist durchgetaktet auf die Minute, jeder zusätzliche Termin stellt mich vor große Probleme. Glücklicherweise hat er sich gefangen, seit er nicht mehr den Druck der 4. Klasse (weiterführende Schule), sondern sogar Erfolgserlebnisse hat. Angst vor seinem Vater hat er auch nicht mehr, seit dieser immer schwächer wird (allein körperlich schon), das nimmt er ja schon auch wahr. Auch gab es schon lange keine postikalen Aggressionen mehr. Ist aber im Gegenteil immer schwieriger von der Rollendiffusion her, weil mein Sohn vieles, was er sagt, nicht mehr ernst nimmt. Oft zu recht aber auch nicht immer...
Ich versuche, mit meinen Kindern so viel Normalität wie möglich zu leben (mal Schwimmbad, Geburtstage feiern etc.), das wird aber immer schwieriger, weil ich immer noch auf meinen Mann mit aufpassen muss.
LG spice
spice
NACH OBEN