Ich habe sehr lange mit mir gekämpft diese Zeilen, diesen Text zu schreiben.
Habe aber soeben mit einem Mitglied dieses Forums telefonischen Kontakt gehabt, der keine Angehörigen bei sich hat, mit dem er sich darüber unterhalten kann, sich Infos holen kann oder sonstiges.
Daher habe ich beschlossen die Geschichte meines Vaters aus Sicht der Angehörigen zu erzählen. In der Hoffnung für den ein oder Anderen eine Hilfe zu sein, auch, wenn es nur zuhören, auskotzen oder ähnliches sein könnte.
Nun zum Leben meines Vaters mit einem Golfballgroßen Glioblastom in seiner rechten Hirnhälfte / frontal.
Mein Vater (damals 52) ging wie jeden Tag zur Arbeit. 10-13h zu arbeiten war für ihn normal. Ein echtes Arbeitstier. Er hatte das Geld nach Hause gebracht, war unser Hauptverdiener.
Es ist der 2. April 2017. zur Mittagspause wie gewohnt meine Mutter von der Arbeit holen, Mama in die Küche, mein Vater aufs Sofa.
Keine 2 Minuten später hört meine Mutter "komische" Geräusche aus dem Wohnzimmer. Mein Bruder und ich, damals daheim wohnend, sind in der oberen Etage am Schlafen. (Nachtschicht)
Meine Mutter denkt sich aber nichts, da mein Vater sich öfters mit unseren 3 Katzen - Boncuk, Blacky und Pulsar - unterhielt und mit ihnen gespielt hatte.
Als diese Geräusche aber lauter wurden, rannte meine Mutter ins Wohnzimmer um zu schauen ob alles in Ordnung ist.
"KAAAAAMIIIIIIL" schrie sie laut auf. Leute, ich würde nicht einmal bei einem Erdbeben wach werden, so einen tiefen Schlaf hab ich, aber diesen Weckruf, diesen Hilferuf hörte ich sofort.
An der Stimme erkannte ich, dass irgendetwas vorgefallen war.
Erschrocken rannte ich die Treppen hinunter und folgte den besorgten Schreie meiner Mutter.
Im Wohnzimmer angekommen sah ich meinen Vater zappelnd auf dem Sofa.. Ein schrecklicher Moment. Da wir noch nie so einen Fall hatten, keine Ahnung über solche "Sachen" hatten, haben wir ihm Wasser ins Gesicht geschüttet, damit er zu sich kommt. Wir waren hilflos. Ich zum Hörer gegriffen, den Rettungsdienst gerufen.
Auf die Frage was er denn hatte konnte ich vor lauter Heulen und Ratlosigkeit nichts sagen, ich dachte zu diesem Zeitpunkt an einen Schlaganfall und gab dies auch so weiter.
Voller Sorge , voller Emotionen fuhren wir dem Rettungsdienst hinterher ins Krankenhaus.
Die erste Diagnose
Epileptischer Anfall. Ab ins CT, ab zum MRT. Das Ergebnis war zerstörend. Mein Vater hatte etwas im Gehirn. Die Ärzte konnten noch nicht genau sagen ob es ein Gerinnsel oder ein Tumor ist.
Klar ist ein Gerinnsel keine Leichtigkeit aber in diesem Moment wünscht man es sich.
Ich hatte über Tumore keine Ahnung, wusste aber, dass man ein Gerinnsel besser "bekämpfen" und therapieren kann.
Mein Vater, der mit einem lachenden "awa" darauf reagiert hatte, lag von nun an erst einmal im Krankenhaus.
Noch nie etwas ernsthaftes gehabt, kaum im Krankenhaus.
Das bringt einen zum Nachdenken.
Als 2 Tage später, nach ewigen Wartezeiten, nach ewigen Auswertungen die Krankenschwester reinlief, uns traurig mitteilte, dass es sich um einen Tumor handelt, war nichts mehr auch nur annähernd das, was es einmal war.
Mein Vater hatte einen Tumor in Golfball-Größe im Gehirn. Ich wusste nicht einmal mehr was uns geschieht.
Mein Vater nahm das Ganze locker auf, mein Vater war stark. Nie hat er vor uns traurig gewirkt um uns nicht mit hineinzuziehen, egal was geschah.
Doch das sollte sich bald ändern.
Im Nachhinein erzählte er mir, dass er mehrere "Zuckungen" im Kopfbereich bei der Arbeit gespürt habe. Mein kleiner Bruder arbeitete zu diesem Zeitpunkt mit meinem Vater zusammen. Ihm sagte er damals, dass er seinen Kopf nicht mehr nach links drehen könne, der Kopf nach rechts weicht.
Mir sagen sie sowas natürlich nicht, Kamil könnte ja "Stress schieben". Er hat es gehasst, wenn ich aus Sorge hektisch wurde.
Levetiracetam, ab da an Papas bester Freund. 1000mg morgens, 1000mg abends. Bis zum letzten Tag haben sie ihn begleitet, danach gabs keine epileptischen Anfälle mehr.
Achja, mein Vater sein Mundwinkel war nach dem Anfall etwas krumm, nach rechts angezogen, sprach ab da an etwas unverständlicher.
"Das wird schon wieder" eines Arztes nahm uns etwas Angst, dass er ab da an für immer so sprechen wird.
Ganze 8 Stunden im Wartebereich, in der Hoffnung es sei ein gutartiger Tumor, den man "leicht" entfernen könne (wie gesagt, hatte ich von Tumoren keine Ahnung) wartend darauf zu hoffen, dass der eigene Vater endlich aufgewacht im Bett hinausgeschoben wird, macht einen fertig.
Bei uns Türken geht man nicht nach Hause, erledigt Sachen und kommt zum ungefähren Zeitpunkt wieder zurück ins Krankenhaus. Wir sind die, die die Krankenschwestern solange nerven, bis wir irgendwelche Informationen bekommen und jede Sekunde vor Ort sind.. Schließlich hätte auch jede Sekunde eine Ärztin rauskommen können und uns den Tod erklären können. Er wurde ja schließlich am Hirn operiert. Im Narkosegespräch hört man ja von einigen möglichen Nebenwirkungen, die man nicht hören möchte.
Meine Mutter arbeitet im Krankenhaus, so war es für uns ein Klacks herauszufinden ob er sich noch im OP befindet oder schon fertig ist. 8h sagten sie uns, wird die OP dauern. Wir nach ungeduldigen 8 Stunden immer noch keine Informationen bekommen. Wir sind durchgedreht. Wir wussten ja nicht was Sache ist. Also ist meine Mutter auf die Station, auf der sie arbeitet und hatte eine Kollegin gebeten in das Programm zu schauen ob er denn schon fertig sei oder ob was passiert ist.
"Seit 2 Stunden ist er fertig, liegt auf der Intensivstation".
Hey liebe Ärzte oder Mitarbeiter des Krankenhauses. Falls das je jemand von Euch lesen sollte. Kommt doch bitte einfach kurz heraus und gibt uns Bescheid. Wir sind vor Sorge gestorben! 2h davon unnötig! Eine kleine Information, dass die OP bereits abgeschlossen ist und er jetzt auf die Intensivstation gebracht wird, reicht doch vollkommen.
Die Angehörigen da draußen im Wartezimmer, egal ob Kind, Mutter, Vater, Tochter, Onkel oder sonst irgendwas, werden krank vor Sorge! Man malt sich die schlimmsten Dinge aus! (Danke)
Wir natürlich sofort auf die Intensivstation zu meinem Vater.
Er schlief. Friedlich. Wie ein Baby. Noch heute schau ich mir die Fotos an und sage mir innerlich wie stark er sei und wie ich diese Stärke bewundere.
Einzeln durften wir rein, ja nicht zu viele. Klar, er hatte ja gerade auch eine große OP hinter sich. Meine Mutter war gerade drin und wir im Wartebereich wartend als ich eine Ärztin erwischte. Ich fragte sie wie die OP verlief, worauf sie antwortete , dass es keine Komplikationen gegeben habe und er jetzt 2 Wochen auf Sonnenschein verzichten müsse und am Besten im Dunklen liegen sollte.
Auf meine Frage ob der Tumor gut oder bösartig sei wollte sie mir zu diesem Zeitpunkt noch keine Antwort geben. Im Nachhinein das Beste, das sie machen konnte.
Eine 2. Ärztin, die ich gefragt hatte, weil ich ja so ein neugieriger Mensch bin, meinte fälschlicherweise, dass es aussehe als wäre es ein gutartiger Tumor.
Schade, dass sie sich geirrt hatte.
Circa 1 Woche würde es dauern bis man die konkreten Ergebnisse mitteilen könne. Aber klar, eine Ärztin hat uns gerade gesagt es sieht nach einem gutartigen Tumor aus, also glaubt man ihr auch und macht sich Hoffnungen.
Ich arbeite viel nachts, unter der Woche war es für mich üblich bis um 4 Uhr zu arbeiten, manchmal auch bis um 7. Ab diesem Tag bin ich jeden, wirklich jeden Scheiss Tag um 8 Uhr morgens im Krankenhaus in seinem Zimmer gesessen und habe auf die Ärzte und ihre Visite gewartet. Tag 1, Tag 2, Tag 3. Tag 6, die Ärzte endlich mit einer guter Nachricht. Die Ergebnisse kommen morgen. Ich wieder einmal bis um 6 Uhr morgens gearbeitet, nicht geschlafen, sofort ins Krankenhaus gedackelt.
Visite. Ich: "Wie siehts aus, sind die Ergebnisse da?" "Nein, leider nicht. Wir denken sie kommen morgen." So, wirklich genau so, vergingen 13 Tage. Voller Panik, voller Sorge, auch voller Hoffnung.
Was danach folgt, zog uns den Boden unter den Füßen.
Mein Vater hatte einen bösartigen Tumor im Kopf. Wie oben beschrieben einen Golfballgroßen.... Ich wusste nicht mehr was vorne und hinten war, mein Vater verstand gar nicht richtig, was Sache ist, da seine Deutschkenntnisse nicht sooo überragend waren.
Ich, voller Tränen in den Augen, musste erst einmal mit der Situation klarkommen. Nach draußen, die erste, die zweite, die dritte Zigarette.
Wieder oben bei meinem Vater angekommen, nahm ich ihn in den Arm und sagte ihm wie sehr ich ihn liebe und wir das schaffen. Ich bin stark, nicht so sehr wie mein Vater, aber ich kann mich in manchen Situationen zusammenreißen, an dem Andere die Kontrolle verlieren würden.
Den ganzen Tag im Krankenhaus verbracht, von Tumoren hatte ich zu diesem Zeitpunkt immer noch keine Ahnung.
Ich also ins Büro, den PC an und auf gehts. "Bösartiger Hirntumor" "Hirntumor" "Tumor" und ähnliche Suchwörter auf Google, YouTube war zu diesem Zeitpunkt meine Forschung darüber. Niederschmetternd, aber noch voller Hoffnung traf ich dann auf diese Seite "Hirntumorhilfe Forum". Verschiedene Tumorarten durchgelesen und das allererste Mal auf das Wort "Glioblastom" gestoßen.
Mein Cousin, studiert Bio-Chemie, hatte mich oft gefragt ob die Ärzte gesagt hatten um welche Tumorart es sich handelt. Ich hatte aber keine Ahnung und die Ärzte wollten auch nichts groß sagen.
Aber ich hatte nun gelesen was ein Glioblastom ist und habe so oft gebetet, dass es nicht dieser sein sollte. Iiiiirgendeiner, aber nicht dieser.
Tja, was soll ich sagen. Ich hab mir am nächsten Tag allen Mut der Welt zusammengetrommelt, bin zum Oberarzt und habe ihn gefragt ob es sich um einen Glioblastom oder eine andere Art von Tumor handelt.
"Aha, da hat jemand recherchiert", war grinsend seine Antwort.
Nach kurzem Zögern bejahte er diese Frage. Ein Schlag ins Gesicht. Ein riesen Stein im Herz, der sich noch mehr vergrößert hatte.
Nicht mehr "Bösartiger Hirntumor" "Hirntumor" "Tumor" und ähnliche Suchwörter wurden gegoogelt. Es war nur noch "Glioblastom".
Und was man da liest... reißt jedem Menschen den Boden unter den Füßen.
6-12 Monate, 12-15 Monate Lebenszeit.
Mein Vater war 52 Jahre alt..... "Niemals, niemals", sagte ich immer und immer wieder innerlich. Doch es war leider so. Mein Vater war Patient mit einem Glioblastom...
Recherchen nach Behandlungen, Gespräche mit Betroffenen, mit Freunden und Bekannten, sogar Gespräche mit meinem Chef.
Stundenlang saßen wir im Büro und haben recherchiert, bestimmt über 50 verschiedene Seiten durchgestöbert, durchgelesen.
vorklinische Studien durchgelesen, Wort für Wort, Zeile für Zeile.
Als ich mich am Tag darauf mit dem Arzt unterhielt meinte er, dass man merkt, dass ich mir einiges angelernt habe, er mir aber bestätigen kann, dass es sich um 12-15 Monate handeln wird...
Zum ersten Mal bin ich auf Cannabis als Heilungsmethode gestoßen. CBD Öl, Rick Simpson Öl. Methadon war ein Thema und und und.
Mein Vater mittlerweile wieder aus dem Krankenhaus entlassen, daheim. Viel Zeit habe ich dort verbracht. Stundenlang haben wir über die alte Zeiten gesprochen. Von 12-15 Monaten hatte ich ihm nichts erzählt. Ich wollte ihn nicht kaputt machen, ihn nicht traurig sehen oder sonstiges. Ich habe es ihm verschwiegen und wollte das noch vor mich hin schieben, schließlich komme ich zu diesem Zeitpunkt noch selbst nicht damit klar... Für mich zu diesem Zeitpunkt die einzig richtige Entscheidung.
Nur mit meinem kleinen Bruder sprach ich Klartext, da er zu dem Zeitpunkt eine neue Freundin hatte und sehr viel Zeit mit ihr verbrachte und ich nicht wollte, dass er es irgendwann bereuen wird oder sauer mit mir ist, weil ich ihm nichts gesagt habe und er die Zeit nicht genießen konnte.
Chemo, Strahlentherapie wurden seitens der Ärzte angesprochen. Ich hatte nur schlechtes über die Chemo gehört, gelesen.
Haare die ausfallen, das Immunsystem das darunter leiden wird, man geht kaputt daran hatte ich gelesen. Also diskutierten wir ewig rum, ob wir die Chemotherapie anwenden oder nicht.
Mein Vater übergab mir die Verantwortung und meinte , dass ich entscheiden solle, dass ich entscheiden soll.
Schließlich lies ich mich dazu überreden, eher sogar überzeugen.
Jeden Tag, jeden Morgen, 20 Tage lang morgens ins Krankenhaus. 10 Minuten Kopf bestrahlen und wieder heim. So verging der 1. Monat. Anschließend wurden wir an einen Arzt weitergeleitet, der sich um die Chemotherapie kümmern sollte. Ein älterer, super sympathischer Mann, der sich 1,5h Zeit genommen hatte und den Fall an sich nahm. Er war jetzt "zuständig" für meinen Vater. Mein Vater war in unseren und seinen Händen.
Er verschrieb uns Chemotabletten, Temozolomid.
Er rechnete aus welche Dosis zu meinem Vater passt und gab ihm noch Übelkeittabletten mit. Wir sollen in 3-4 Wochen wieder kommen. Montag, die 1. Tablette Chemo stand bevor.. Ein Anruf aus der Türkei brachte uns wieder auf den Boden.. Mein Opa vaterseits verstarb. Er hatte Darmkrebs. Auch das verheimlichen wir meinem Vater. Seit 5 Jahren war mein Vater nicht mehr in der Türkei, ich wollte verhindern, dass mein Vater die Chemo ablehnt, weil mein Opa daran gestorben ist. Also erzählten wir ihm, dass sein Vater an einem Herzstillstand gestorben ist. Zur Beerdigung konnte er nicht, der Druck des Fluges könnte den Tumor reizen.
Viel Trauer, viele Tränen sind geflossen. Aber wir haben ihm Mut zugesprochen und haben weitergemacht.
2 Kuren Chemo hatte er in der Zwischenzeit genommen als das 1. MRT nach der OP bevorstand. Anschließend das Gespräch mit dem Chefarzt und die Analyse der MRT Bilder.
Der Tumor war weiterhin zu sehen, gleiche Größe, gleiche Form. Genau wie auf dem MRT Bild nach der OP.
Ich redete mir ein, dass dies ja kein Wunderheilmittel ist und das noch dauern wird. Ich war damals nämlich noch der Ansicht man könne den Tumor heilen. Erst nach mehreren Wochen wurde mir bewusst, durch viel darüber lesen, viele Unterhaltungen später. Innerlich wünscht man sich natürlich was anderes, aber irgendwann holt es einen ein.
2. Termin beim neuen Arzt. Er verschrieb uns wieder 2 Kuren Chemo, ich voller Energie, hatte über Cannabis, CBD und Methadon gelesen.
Fragte ihn vorerst nur über Cannabis aus, dies stritt er aber ab und meinte es bringen nichts. So typisch 'alte Schule' halt, halten nur was von Chemo, gemäß der alten Schule.
12-15 Monate schwirrten mir einige Tage durch den Kopf, worauf ich mich dann entschied, illegal an das Zeugs zu kommen, da mir niemand Cannabis verschreiben wollte. Dass es CBD legal gab, wusste ich damals noch nicht.
Nach etlichen Stunden Recherche mit meinem Chef stieß ich auf das Rick Simpson Oil. Hatte mir stundenlang seine Videos angeschaut, wie er seinen eigenen Krebs mit Cannabis heilte. Bei 12-15 Monate Lebenszeit hast du nichts mehr zu verlieren. Zu diesem Zeitpunkt war mir bewusst, dass wir den Glioblastom nicht vernichten können, es aber rauszögern können und das das Einzige sein wird, was wir machen können. Ich also in die Illegalität, CBD und THC Mischungen gekauft und es meinem Vater in Kapseln umgefüllt und ihm gegeben.
Mein Vater lachte damals noch und sagte ich mache ihn noch zum Junkie.
So verlief der zweite und dritte Monat bis der neue MRT Termin anstand.
Auf den Bildern war zu sehen, dass der Tumor sich minimal vergrößert hatte. Wieder ein Schlag ins Gesicht. Mein Vater wollte damals nicht kapieren, dass wir den Tumor nicht mehr heilen können und vernichten können, wir nur seinen Wachstum verringern können. Als der Arzt eine 2. OP vorschlug "solange es noch ginge" um das, was nachgewachsen ist, sogar vielleicht noch etwas mehr vom Tumor herauszunehmen, stimmten wir zu.
Die 2. OP. 6 Stunden im Wartezimmer. Dasselbe Spiel. Keiner gibt uns Bescheid, kein Lebenszeichen, nichts.
Wir wieder am PC auf der Station, er wird gerade noch genäht, die OP ist aber schon fertig. In der Akte meines Vaters steht zu 1000% drin, dass der Sohn ein nerviger Typ ist, der ständig alles wissen will. Das garantiere ich Euch. 5x habe ich auf der Intensiv nachgefragt ob er denn endlich fertig ist.
Eine halbe Stunde später war es soweit. Er hatte die OP gut überstanden und müsse noch 2-3 Tage auf der Intensivstation liegen. Ich bewunderte ihn so sehr. 2 OPs am Hirn, am nächsten Morgen lag er auf Station.
Am nächsten Morgen ging ich ihn besuchen. Klingelte auf der Intensivstation, mein Vater war gar nicht mehr da, ihm ging es so gut, dass sie ihn nach nur einem Tag auf die normale Station brachten. Meine Mutter und ich schauten uns an und waren verwundert wie stark er doch ist.
Wir sagten ständig er tut das für uns, für seine Enkelin, meiner Tochter. Er kämpft für uns.
Den Tumor konnten sie weitestgehend entfernen. Man habe ich mich gefreut. Kann das gar nicht in Worte fassen. Endlich wieder ein Anhaltspunkt.
Ich hatte viel über den operierenden Arzt gehört. Dr. Lange war sein Name. Viele Tumor Operationen hinter sich, ein wahrer Held in meinen Augen.
Nach 1-2 Tagen haben sie dann ein MRT Bild gemacht, das ich sehen durfte. Kaum was zu sehen, ein kleines sichelförmiges Leuchten war zu sehen. Das war der restliche Tumor. Aber man hatte mir schon gesagt, dass sie nicht alles rauskriegen können ohne meinem Vater zu schaden.
Nach einem Gespräch kam ein Thema auf, von dem ich weder gelesen hatte noch gehört hatte. Die tt-f Therapie. Neu zugelassen, mit klinischen Studien und und und.
Eine Hoffnung für uns. Die Ärztin riet uns dazu, wir stimmten zu.
Kurzgefasst, 4 Pflaster, die auf seinem Kopf kleben, die magnetische Strahlen oder ähnliches ausstrahlen und den Tumor dabei behindern zu wachsen.
Ab und an kam dann eine Frau, die in dieser Firma arbeitete und las das Gerät ab. Wie viel % hatte er es an, wie oft wurde es aktiviert und und und. Es war Sommer. Die Pflaster wurden warm bis heiß. Klar, sie erzeugten ja auch Strahlen. Das war uns bewusst. Aber meinem Vater hatte das nicht so ganz gepasst. Sogar die Polizei hielt ihn 2x an, als er mit diesem Gerät durch die Stadt spazierte. Ein riesen Gerät bei sich, an dem die Pflaster dran hingen. Sie wollten wissen was das ist.
In der Zwischenzeit konnte ich unseren behandelnden Arzt überzeugen und Methadon zu verschreiben, da ich den Beitrag auf Stern TV gesehen hatte, dass Methadon in Kombination mit der Chemo stärkere Auswirkungen hat. Wir hatten sowieso nichts zu verlieren. Also haben wir uns das verschreiben lassen und wollten experimentieren. Die Tropfenmenge haben wir versuchsweise rausgefunden, mal wars zu viel, dann hatte er Verstopfungen, mal gings. Langsam, in kleinen Schritten erhöhten wir die Tropfen. Nun nam er Chemo, hatte die tt-f Therapie auf dem Kopf und nahm nebenher noch Methadon. Das Cannabis mussten wir aufgrund seiner Zuckerkrankheit wieder einstellen, da es seinen Zucker in die Höhe schoss.
Mittlerweile ist es Oktober, mein Vater hatte eine hohe Lebensqualität, war zwar etwas verwirrt aber er konnte noch alles tun und machen. Die MRTs waren sauber, kein Wachstum, aber auch keine Verringerung des Tumors. Scheint als würde irgendwas wirken, man wusste nur nicht was. Was uns aber egal war, Hauptsache etwas wirkt.
25. November, er wird 53 Jahre alt. Wir hatten Geburtstage nie riesig gefeiert, mit der Familie Kaffee und Kuchen und gut war. Nur den 50. Hatten wir größer gefeiert.
Was sich aber geändert hatte, da ich damit gerechnet hatte, dass dies sein letzter Geburtstag werden könnte, er hat es richtig genossen. Das war seine Ablenkung von dem Ganzen in diesem Jahr. Dass es sein letzter Geburtstag werden könnte, das wusste er aber nicht. Dazu aber später mehr.
Alles wie gehabt, mein Vater nahm täglich seine Tabletten, seine Chemo, die tt-f Therapie und das Methadon. Mittlerweile 14 Tropfen morgens, 14 abends.
Es ist Silvester. Wir sind bei unserem Onkel und feiern dort. Plötzlich wird meinem Vater ganz komisch, er musste brechen. Er hatte seine Tabletten nicht mehr nehmen können, weil er sie nicht mehr runtergekriegt hatte. Die waren aber auch riesig. Wir zerkleinerten diese immer und gaben sie ihm da. Er brach in Schweiß aus und musste brechen. Wir dachten aber nur, dass es ihm zu viel wurde, waren schließlich 12 Leute in einem Raum.
Als dasselbe 2 Tage später wieder passierte, fuhr ich ihn ins Krankenhaus.
Da die Tabletten ihre Wirkung nicht erzielen konnten, hatte er einen kleinen epileptischen Anfall bekommen. Das war die Ursache. Also bekam er 5 Tage lang seine Tabletten IV.
Danach war wieder alles beim Alten.
MRT war wieder gleich, keine Vergrößerung des Tumors, keine Verkleinerung. Erst im Oktober 2018 gab es eine Vergrößerung, worauf die 3. OP folgte. Auch diese hatte er überstanden, aber dieses Mal nicht so gut wie die letzten 2 OPs. Sein linker Arm und das Bein machten nicht mehr richtig mit, sie waren schwach, gegen Ende dann sogar so gut wie gelähmt. Er konnte sie kaum bis gar nicht mehr bewegen.
Seine Blutwerte wurden schlechter, aber er war stabil. Nur die Chemo mussten wir lassen, die durfte er nicht mehr nehmen. Für eine weitere Strahlentherapie war zu wenig Zeit vergangen, die tt-f Therapie wollte er nicht mehr bei sich tragen, es war ihm zu lästig. Also brachen wir auch diese Therapie ab.
Heißt, der Tumor war in diesem Zeitpunkt unbehandelt. Ergotherapie und Krankengymnastik folgten. Seinen Geburtstag feierten wir wieder riesig. Meine Freundin hatte die Idee, wir können Video Grüße aus der Türkei zusammenschneiden und ihn vorspielen, da er ja nicht mehr in die Türkei konnte und so seine Familie nicht mehr gesehen hatte. Statt glücklich hat es ihn natürlich traurig gemacht. Er weinte. Seit meiner Erinnerung sogar das allererste Mal vor uns.
Weiterhin war der Tumor unbehandelt, erst im Januar 2019 hatten wir die nächste Strahlentherapie. Eine Woche lang wurde er bestrahlt. Meinem Anschein nach ging es ihm danach aber immer und immer schlechter. Er lag nur noch auf dem Sofa rum, konnte weder alleine aufstehen, noch alleine laufen. Er war zwar davor schon ein Pflegefall, ab da an wurde es aber immer schlechter und schlimmer.
Wir, mein Bruder, meine Mutter und ich arbeiteten morgens, da konnte niemand auf ihn aufpassen, also beschlossen wir uns eine Tagespflege zu suchen. Taten dies auch erfolgreich. Sie holten ihn ab und brachten ihn uns am Mittag wieder zurück.
So verging dann die weitere Zeit.. Bis am 15. Februar. Alles war wie gewohnt, die Ergotherapie kam, Krankengymnastik. Alles war "in Ordnung".
Meine Mutter ging am Abend ne Stunde arbeiten, währenddessen hatte mein Bruder auf meinen Vater aufgepasst, da ich auch auf der Arbeit war.
Wir haben eine Familiengruppe, in der wir alle 4 drin sind. Mein Bruder schrieb, dass mein Vater extreme Kopfschmerzen habe. Die hatte er immer wieder. Nach den Kopfschmerztabletten und eine Runde Schlaf gingen diese aber wieder weg.
So war es dieses Mal aber leider nicht. Meine Mutter ruf mir um 22 Uhr an, dass er sich ständig hin und her dreht, sich an und auszieht, aufsteht, sich hinlegt. Zappellig, wie ein Fisch meinte sie.
Ich natürlich direkt nach Hause. Mein Vater am zappeln, seine Hände zitterten. Ich dachte zuerst an einen Anfall, rufte den Krankenwagen. Ständig sagten wir zu ihm er solle die Augen schließen und einschlafen, er meinte er kann nicht. Es geht einfach nicht.
Als die Sanitäter da waren, schließt er seine Augen. Dieses Mal riefen wir er solle seine Augen öffnen, bitte. Papa, bitte.. Er konnte sie aber nicht mehr öffnen
In der Notaufnahme verbrachten wir einige Stunden. Bis 4 Uhr nachts. Wir beschließen nach Hause zu gehen, da wir sowieso nichts mehr hätten tun können. Die Ärzte sprachen von Palliativmedizin, man würde ihn am nächsten Morgen dahin bringen. Sie können nichts mehr für ihn tun. Der Tumor sei stark nachgewachsen und sitzt nun am Zentrum des Hirns. Er höre uns noch, aber antworten wird er uns nicht mehr können.
Alles, was uns auf der Seele brannte, unseren Abschied nahmen wir, er drückte als Antwort nur unsere Hand.
Am 16.2. rief man uns dann an und teilte uns mit, dass mein Vater in Frieden eingeschlafen sei und verstorben war.
22 Monate hatte er durchgehalten, für uns gekämpft. Gott sei Dank ohne größere Schmerzen oder ähnliches friedlich eingeschlafen.
Ruhe in Frieden Papa. Wir lieben Dich!
Bei Fragen, Anliegen oder ähnlichem stehe ich gerne zur Verfügung. Ebenfalls über einen Erfahrungsaustausch oder man sich einfach über das Thema unterhalten möchte.
Der Text soll dazu dienen gegebenenfalls Angehörigen oder Patienten über einiges aufzuklären oder offene Fragen zu klären. Vielleicht auch um Ratschläge oder Hilfe anzubieten.
Kamil S.