Lieber Tomas,
ich habe heute morgen deine Mail gelesen und möchte sehr gern darauf antworten.
Zuerst einmal möchte ich sagen, wie leid es mir tut, dass du dein Kind verloren hast. Ich kann den Schmerz nicht ermessen, aber ich kann es mir vorstellen.
Auch ist es mir sehr wichtig, dir zu sagen, dass man NATÜRLICH NICHT zu dumm, oder schuld ist, wenn man diesen Kampf verliert.
Die Situation erinnert mich an einen Bestrahlungstag im März im Wartezimmer. Ich unterhielt mich fröhlich mit anderen Patienten, fast alle älter als ich und wir machten Witze. Am Ende sprach mich eine ältere Dame wütend an: Na, Sie sind ja wohl so ganz positiv! Wahrscheinlich weil Sie so jung sind!
Ich habe ihr geantwortet: Glauben Sie, dass es schöner ist einen Hirntumor zu haben, wenn man jung ist?
Ich BRAUCHE meine Positivität, um nicht verrückt zu werden.
Mir ist sehr bewusst, was für eine Krankheit ich habe. Eine Freundin ist Anfang letzten Jahres mit 31 Jahren und nur einem Jahr Krankheit an einem Glioblastom gestorben.
Das hatte ich vor Augen, als bei mir der Tumor 20 Tage später festgestellt wurde.
Bei ihr waren jedoch die Chancen von Anfang an gleich Null, da der Tumor trichterförmig ins Gehirn gewachsen war und man nicht operieren konnte.
Bei mir lag er rechts temporal und ich konnte ohne Schäden operiert werden, der Tumor sogar vollständig entfernt.
Ich weiß, dass er deswegen nicht besiegt ist.
Ich habe Chemo und Bestrahlung gemacht.
Ich setze mich von Anfang an sehr wohl damit auseinander, dass mein Leben sehr sehr kurz sein kann. Ich bin 35, habe seit 5 Jahren MS und dachte, damit auch bedient zu sein.
Nun habe ich diese neue Herausforderung.
Ich habe häufig Schnappatmung vor Angst. Es ist keine Todesangst. Es ist Verlustangst. Ich habe Angst, mein Leben zu verlieren. Ich liebe mein Leben.
Wenn ich hätte wählen können, hätte ich mich nicht für den Tumor entschieden, dieses neue Leben auf Raten, immer nur bis zum nächsten MRT.
Ich bin 5 Tage vor der Diagnose nach Hamburg zu meinem Freund gezogen, weil wir so langsam eine Familie gründen wollten. Stattdessen lernte ich das UKE von innen und außen kennen. Dann lauter nette Taxifahrer mit spannenden Geschichten, die mich zur Bestrahlung fuhren.
Selbst mein Neurochirurg, der wirklich ein knochentrockener Wissenschaftler ist, sagte mir am Anfang: Die Psyche ist essentiell wichtig. Die muss oben bleiben, zu Not mit Antidepressiva. Man darf nicht unterschätzen, was es ausmacht, positiv zu denken. Wie Dinge passieren können - einfach nur, weil man so fest daran glaubt. (Wie bei Placebo)
Und nochmal: Dies bedeutet nicht, dass man in irgendetwas versagt hat, wenn man an der Krankheit stirbt. Meine Freundin hatte von Anfang an keine Chance. Das gibt es auch.
Aber selbst, wenn es nur ist, um das Restleben in einigermaßen fröhlicher Grundstimmung zu leben, hat es doch schon seinen Sinn. Soll man sich ins Bett legen und warten, bis der Tod kommt?
Ich habe mal eine Doku über einen terminalen 20jährigen gesehen, der mich sehr beeindruckt hat. Er sagte: 'The decision to be positive is not one that disregards or belittles the sadness that exists. It is rather a conscious choice to focus on the good and to cultivate a genuine happiness. Happiness is not a limited resource. '(Christopher Aiff)
Die Fröhlichkeit ist nicht etwas, das das Schlimme ignoriert. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich auf das Gute zu konzentrieren.
Ich habe am Anfang immer versucht, mir einzureden, ich leb eh nicht mehr lang. Neue Jacke? Lohnt sich das?
Weil ich Angst hatte, so enttäuscht zu sein, falls der Tumor wiederkommt.
Aber was bringt das?
Mich auf den Tod vorbereiten in all seiner Tiefe werde ich, wenn mir jemand sagt: es ist vorbei, es gibt keine Hoffnung mehr.
Und selbst dann werde ich noch ein bisschen hoffen.
Ich halte auch nix von purer Esotherik STATT Schulmedizin.
Ich mache alles, was die Medizin mir bieten kann. Ich nutze nur AUCH mein Unterbewusstsein.
Es ist wie eine weitere (kleine oder große) Waffe/Ressource.
Es ist übrigens wissenschaftlich anerkannt, dass der Körper über Selbstheilungskräfte verfügt. Das ist keine verzweifelte Einbildung
Ob all meine kleinen Waffen helfen weiß ich nicht.
Aber ich wäre doch blöd, eine nicht zu nutzen aus Angst, lächerlich zu erscheinen...
Und ich finde es schade, Tomas, dass du hier im Forum herumstreifst und Leuten sagst: Ihr werdet eh alle daran sterben.
Warum machst du das? Wem tut das gut?
Ich gehe vom Guten aus und denke, du willst uns vor Enttäuschung bewahren.
Aber, wenn ich tot bin, bin ich auch nicht mehr enttäuscht.
Und es schadet niemandem, fest an einen guten Ausgang zu glauben, wenn es seiner Seele gut tut. Und wenn es nur das ist: die verbleibende Zeit nicht nur erträglich, sondern schön zu machen.
Das ist gar nicht so wenig.
Noch einmal mein herzliches Beileid für deinen Verlust.
kathi