www.hirntumorhilfe.de
Herzlich willkommen im Forum der Deutschen Hirntumorhilfe!

Thema: Der Tumor infiltriert das Sprachzentrum

Der Tumor infiltriert das Sprachzentrum
GabrielaV
01.04.2018 18:52:49
Mein Mann lebt bereits seit 3/2011 mit einem Glioblastom und gehört damit zu den Langzeitüberlebenden. Im September vorigen Jahres hat ihn das Monster wieder eingeholt, ausgerechnet in dem Moment, wo er über ein Absetzen der Therapie nachgedacht hat. Seit dem ist der Tumor sehr schnell gewachsen, so dass eine Entfernung notwendig wurde, die im Februar erfolgte. Leider konnte das DING nicht vollständig entfernt werden, da es dem Sprachzentrum gefährlich nahekam. Seit einigen Tagen werden die Auswirkungen sehr deutlich. Während er zuvor nur gelegentlich mal einen falschen Begriff in seine Sätze einfügte, kommt es jetzt vor, dass ganze Sätze keinen Sinn mehr ergeben. Es passiert mehre Male am Tag, meistens merkt er es gar nicht. Ich kenne ihn gut genug, dass ich meistens verstehe, was er sagen will. Es kam jedoch schon zu mehren Missverständnissen.
Wird er eines Tages gar nicht mehr sprechen können? Er weiß genau was er sagen will, es kommt jedoch was völlig anderes heraus. Auch Erinnerungen vermischen sich jetzt zunehmend. Manchmal passen diese zeitlich nicht zusammen. Ich korrigiere das nicht mehr, weil ich ihn nicht demotivieren will.
Welche Möglichkeiten haben wir zur Kommunikation, wenn er sich nicht mehr klar ausdrücken kann? Gibt es andere Areale im Gehirn, über die man mittels anderen Möglichkeiten kommunizieren kann, Bilder, Gesten usw. ??
Hat jemand Erfahrungen mit dem Thema?
GabrielaV
Peachy
02.04.2018 11:21:09
Bei meiner Mutter ist auch das Sprachzentrum betroffen. Ich glaube früher oder später läuft es darauf hinaus, dass sie zwar wissen wird, was sie sagen möchte, ihr aber die passenden Worte nicht einfallen. Momentan verschwimmen nur ab und an die Worte, nach der OP (vor 1/2 Jahr) bekam sie jedoch keinen geraden Satz heraus.

Wir haben dann sozusagen "durchgeraten", was sie sagen wollte und sobald sie das Wort dann wieder gehört hatte, konnte sie es auch sagen. Ansonsten hat uns die Logopädin ein Büchlein mit den wichtigsten Sachen in Bildern gegeben, dass sie darauf zeigen kann, wenn ihr die Worte fehlen. Besonders schlimm ist es, wenn sie nervös ist.

Ob es sonst noch eine Möglichkeit gibt zu kommunizieren weiß ich leider nicht, würde mich aber auch interessieren. Schreiben geht ja auch nicht, wenn die Sprache betroffen ist.

Alles gute!
Peachy
GabrielaV
02.04.2018 14:58:04
Vielen Dank,
vll. ist es ja auch nur durch die Op so schlimm, die ist gerade mal 4 Wochen her. Ich hoffe auch, dass es sich mit der Zeit wieder bessert. Ist schon schlimm mit anzusehen.
Euch auch alles Gute
GabrielaV
Lady_Like
03.04.2018 16:22:18
Hallo GabrielaV,

ich bin selbst Betroffene und auch bei mir ist das Sprachzentrum von Bedeutung. Aus persönlichen Gründen ist das für mich auch sehr wichtig. Nach der OP war das mit dem Wortefinden bei mir auch sehr schwierig. Eine Wärmflasche war beispielsweise immer eine Badewanne. Der Kopf hat einfach die falschen Schaltungen vorgenommen - wie eine Schienenweiche, die falsch gestellt wurde. Mir hat das auch sehr große Sorgen bereitet und tut es bis heute. Aber mein Arzt hat gesagt, dass das Sprachzentrum ein eher "weicher" Bereich sei. Das heißt: Das Hirn kann bei entsprechendem und längerem Training wieder neue Wege suchen, sich Wörter zu speichern und wieder zu merken - da es einmal links und einmal rechts im Gehirn ein Sprachzentrum gebe. Diese Neukoordinierung gelinge aber nicht immer. Und es dauert halt.

Leider musste ich auch feststellen, dass das eine eher lange dauert. Aber es wird langsam besser und inzwischen kann ich auch schon wieder Wärmflasche sagen, wenn ich mich konzentriere ;-). Soll heißen: Verlier die Hoffnung nicht. Vier Wochen nach einer OP sind wirklich sehr kurz. Es kann alles wieder besser werden. Das schlimmste ist erst einmal überstanden.

Liebe Grüße
Lady_Like
Lady_Like
GabrielaV
03.04.2018 19:18:45
Liebe Lady_Like,
Du hast ja Recht, das Sprachzentrum hat zwei Lappen, die durch eine Brücke miteinander verbunden sind. Das könnte deiner Theorie recht geben. Hast du eine Logopädische Therapie gemacht?
Ich wünsche Dir alles Gute und ein noch langes und schönes Dasein.
Für uns ist die Krankheit nicht nur Fluch, sie war bislang auch viel Segen. Mein Mann lebt nun schon seit 3/2011 damit und hatte wirklich ein paar sehr schöne Jahre geschenkt bekommen, die er ohne den Tumor nie erlebt hätte.
Nun hoffen wir, noch etwas schöne Zeit genießen zu können, bevor es endgültig nicht mehr geht.
Alles Gute für Dich
Gabriela
GabrielaV
Lady_Like
04.04.2018 12:07:34
Hallo Gabriela,

nein, ich habe keine Logopädie gemacht. Aber für mich war es sehr wichtig, dass mich meine Umwelt lieb und auch auf leicht witzige Art immer auf falsche Wörter hingewiesen hat. Mein Mann hat mir dann das richtige Wort auch nicht immer sofort gesagt, sondern mir immer "Tipps" gegeben, wie es heißen könnte. Wie ein Rätsel. Das hat - aus heutiger Sicht - sehr gut geholfen. Denn dadurch war das Wort nicht einfach nur kurz da, sondern wurde sich durch das Rätsel neu erarbeitet. Darauf konnte ich dann immer wieder aufbauen.

Aber ich bin, was das angeht, auch ein pragmatischer Mensch, der es gerne ehrlich und direkt raus mag. Außerdem ist mein Sprachzentrum für mich existenziell. Entsprechend bin ich auch bestrebt, alles zu tun, um es wieder bestmöglich in Ordnung zu bringen.

Sicher gibt es auch Menschen, die das nicht so sehen und die das gar nicht mögen, wenn man ihnen ständig sagt, dass etwas nicht stimmt. Und einen so herausfordern. Das ist wirklich eine Typsache. Da kennst du deinen Mann besser als ich ;-). Und ich würde immer (!) nach dem gehen, was der Betroffene sagt/mag/nicht mag. Nichts ist schlimmer, als ständig irgendwelche Ratschläge zu bekommen, die man selbst aber gerade nicht umsetzen mag oder kann. So eine Diagnose haut einen wirklich aus den Latschen.

Aber was die Sprache angeht, kann ich wirklich sagen, dass es hilft, wenn man die richtigen Wörter immer und immer wieder verwendet.

Das, was du über deinen Mann und seine schöne Zeit schreibst, liest sich sehr anrührend. Und das freut mich. Ja, durch so eine Diagnose nimmt man das Leben auch plötzlich anders wahr. Es ist irgendwie wertvoller. Ich wünsche euch von Herzen, dass ihr noch eine schöne Zeit habt.

Liebe Grüße
Lady_Like
Lady_Like
Piazzolla
04.04.2018 14:17:19
Hallo GabrielaV, mein Mann hat seit 2 Wochen einen Sprachcomputer. Wir und seine Logopädin müssen in den nächsten Wochen entscheiden, was da drauf soll und was weg kann. Viel Arbeit wird das. Und ob er ihn denn letztendlich benutzt, ich hoffe es sehr. Er kann fast gar nichts mehr sagen, nur kleine Wörter wie: nein, ja, wie, was. Grausam, aber ich habe mich inzwischen damit abgefunden. Das hat allerdings Jahre gedauert.
4 Wochen nach der OP damals, da waren noch mehr Wörter da, über die Jahre und nach dem, was alles passiert ist, bleiben kaum mehr Worte.
Wünsche euch, dass es besser wird!
Liebe Grüße
Piazzolla
GabrielaV
04.04.2018 16:42:54
Ohhh, liebe Piazolla, das ist in der Tat grausam und tut mir ganz schrecklich leid. Ich hoffe, dass ihr bald einen Nutzen vom Sprachcomputer habt. Das Leben ist schwer, wenn man nicht mehr äußern kann, was man will und was nicht.
Wir hoffen auch, das uns noch eine schöne Zeit bleibt. Und es ist noch nicht jeden Tag ganz schlimm. Wenn er entspannt ist, klappt es noch ganz gut.
Ich wünsche euch auch, dass es euch gelingt trotz allem noch was draus zu machen. Man hat sein Leben nur einmal und jeder hat ein Recht darauf, es so schön wie möglich zu gestalten.
Ganz liebe Grüße und festes Daumendrücken
Gabriela
GabrielaV
GabrielaV
08.04.2018 01:14:25
Die letzten Tage liefen ganz gut, es gab keine schlimmen Sprachausfälle mehr, nur immer mal ein paar falsche Worte, was manchmal recht putzig ist. Die starken Kopfschmerzen und die Schwellung im Gesicht sind auch zurückgegangen, er benötigt kein Schmerzmittel mehr. Am Montag beginnt die neue Chemotherapie, der Horror für mich. Ich muss sie nicht einnehmen, aber ich fürchte mich ganz schrecklich davor. Gerade ging es meinem Mann ein paar Tage ganz gut. Darüber bin ich sehr froh. Ich freue mich über jeden guten Tag, den er hat. Mal sehen, was jetzt kommt und wie er es aufnimmt.
GabrielaV
LinaK
09.04.2018 18:23:10
@ LADY_LIKE: ich bewundere dich! Habe nach der Op in der Klinik eine einzige Logopädie-Stunde bekommen. Die Logopädin hat mit mir Stadt, Land, Fluss gespielt. Ich hab das Spiel damals in der Schule gehasst wie die Pest, war schon immer in Erdkunde schwach! Aber so ohne Zeit- und Erfolgsdruck und nicht um die Wette geht es eigentlich.
Ich spiele es immer noch für mich alleine. Auch das Gefühl in meinen Fingern trainiere ich einstweilen allein. Man muss aufpassen, dass man sich nicht überfordert. Trotzdem hoffe ich, dass ich nach der Radio-Chemo fitt genug für eine "offizielle " Reha bin.

@PIAZOLLA: Ist schon toll, dass es sowas inzwischen gibt! Kommt ihr damit schon zurecht? Ist bestimmt gar nicht so einfach!

@GABRIELA V: Ich fange nächste Woche mit Radio-Chemo an. Hab schon ein bisschen Bammel. Aber ich sage mir ganz fest, dass das schlecht für die Krebszellen ist und der Rest meines Körpers schon damit fertig werden wird. Ich drücke uns die Daumen, dass es gut geht
LG
Lina
LinaK
GabrielaV
09.04.2018 22:31:19
Liebe Lina, die Radio Chemo hat mein Mann auch ganz gut in den Griff bekommen. Schließlich haben die ihm 7 Jahre gutes Leben beschert. Inzwischen muss er mit einen Rezidiv kämpfen und wühlt sich durch eine neue andere Chemo. Wir hoffen, dass er auch dieses mal wieder als Sieger hervorgeht.

Nur Mut. Die Reha wird dir auch gut tun.
LG Gabriela
GabrielaV
LinaK
10.04.2018 11:53:04
Ich denke an euch!
Lina
LinaK
Ena78
11.04.2018 14:53:22
Hallo zusammen, nur ein kurzer Lesetipp, wer es noch nicht kennt (ein frei zugänglicher Aufsatz):
https://www.theguardian.com/books/2010/nov/07/tom-lubbock-brain-tumour-language
Tom Lubbock war Kunstkritiker und hat als wahrer Sprachkünstler ebenfalls einen Tumor am Sprachzentrum gehabt. Sicher nicht ganz einfache Kost, zumal auf Englisch, aber mir (mein Papa hat ebenfalls einen Tumor am Wernicke-Areal, das für Verstehen und Formulieren zuständige Sprachzentrum) hat es sehr geholfen. Eine sprachlich tolle und sehr intime Einsicht in seine Krankheitsverarbeitung. Ich habe mir auch die lange Version (das Buch "Until further notice, I am alive" von Tom Lubbock) geholt und fand es wahnsinnig bereichernd.
Wünsche allen das Allerbeste, danke fürs Teilen, ich lese hier sehr gern mit!
Ena78
Ena78
11.04.2018 15:25:53
Auch diese Seiten finde ich sehr hilfreich für Informationen zu Hirnfunktionen, was passiert bei Schädigungen an welchen Stellen, was kann man tun,...:
http://www.ratgeber-neuropsychologie.de/index.html
Ena78
NACH OBEN