Ich hatte verdrängt, wie schlimm es damals bei meinem Mann war...nun das alles nochmal bei meinem Sohn erleben zu müssen, gleicht einer Achterbahnfahrt an Gefühlen...ich habe hier in mehreren Beiträgen gelesen, wie sehr man sich wünscht, daß es schnell gehen solle, daß der geliebte Mensch nicht lange leiden und es bald hinter sich haben möge, doch mein Sohn leidet nicht...noch nicht.
Für den Fall der Fälle habe ich Morphin da, doch bis jetzt nimmt er nur das Keppra gegen eventuelle Anfälle und etwas Cortison, das ihm gegen die Übelkeit und Erbrechen hilft.
Er trägt nun Windeln und endlich glaubt er mir, daß es mir nichts ausmacht, diese zu wechseln, weil ich ihn unendlich liebe und ich ihn ja als Baby auch gewickelt hätte, also wäre das für mich nichts Neues und am allerwenigsten unangenehm...ich sitze tagsüber längere Zeit an seinem Pflegebett, es steht in unserem kleinen Wohnzimmer und er kann aus dem Fenster sehen, wenn die Sonne aufgeht.
Seine Zustände wechseln jetzt öfters, er redet mit Menschen, die nur er sieht und sieht auch Gegenstände, die nicht da sind.
Manchmal erzählt er mir, wo er gerade war, z.B. auf dem Friedhof, aber er erinnert sich nicht, wen er dort besuchen wollte, dann war er im Krankenhaus an einem Kinderbettchen, was ihm gefallen hat, weil es dort so friedlich gewesen sei.
Wenn er klarer ist, will er immer wieder bestätigt wissen, daß er zuhause bleiben kann und niemand ihn abholt. Ich schwöre es ihm immer und immer wieder und auch, daß seine Patientenverfügung bindend sei und niemand sich darüber hinwegsetzen könne und ich mit der Vollmacht dafür Sorge trage.
Sein Atmen wird immer schlimmer, manchmal denke ich, es dauert nicht mehr lange, doch dann funktioniert es wieder einigermaßen. Sein Schluckauf wird schlimmer, ein Rezidiv sitzt genau dort, wo die Atmung beeinträchtigt wird, er braucht einen Ventilator, damit er das Gefühl hat, frische Luft zu bekommen.
Ich bin im Moment dankbar, daß er keine Schmerzen hat und vollkommen egoistisch denke ich mir, daß ich nicht will, daß er sterben muß mit seinen erst 24 Jahren, er hat noch nicht viel erleben können und natürlich ist es verdammt unfair.
Dann redet er davon, völlig bewusstseinsklar, daß er denke, in wenigen Tagen würde er gehen und es wäre bald vorbei. Er meint, er spüre das...
Er hat seit 2 Wochen fast nichts mehr gegessen, Flüssigkeit nimmt er nur noch zum Schlucken seiner Tabletten zu sich.
Ich halte es nicht aus, ihn sterben zu sehen, aber ich würde ihn niemals alleine lassen oder seiner Bitte nicht entsprechen, ich funktioniere einfach und weine im stillen Kämmerlein.
Wir haben uns verabschiedet, wir haben getrauert, wir haben gelacht, wir haben geweint, es ist alles gesagt und alles geregelt, jetzt bin ich einfach nur für ihn da und höre seine phantastischen Geschichten, die er erlebt und manchmal bezieht er mich mit ein und ich darf mitphantasieren...
Die SAPV Ärztin meinte, es dauere wohl nicht mehr allzu lange ( was auch immer das bedeuten mag ), aber von Rasselatmung und marmorierter Haut ist noch nichts zu sehen, er wird einfach immer weniger, psychisch wie physisch...es ist, als wolle er sich auflösen...nur der Husten und der Schluckauf machen ihm zu schaffen, aber wie gesagt, ohne Schmerzen...ich hoffe so sehr, daß er friedlich einschlafen kann und bin in Gedanken bei allen, die Ähnliches miterleben und viel Kraft brauchen, diesen so schweren Weg mitzugehen.
L.G.