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JanaimPott

Hallo ihr Lieben,

meine Mutter lebt seit 15 Monaten mit der Diagnose Glioblastom. Bisher, klopf auf Holz, ohne Rezidiv.

Wir haben als Familie einen unglaublich starken Zusammenhalt. Ich würde sagen, dass wir wie eine Familie der kitschigen ZDF Filme sind. Die ganze Erkrankung hat uns, wie jedem von euch auch, den Boden unter den Füßen weggezogen. Gerade bei mir waren häufig Wutanfälle dabei. Wut darauf, dass unsere tolle Familie mit so einer Diagnose auf eine Probe gestellt wird. In den ersten Wochen nach wer Diagnose war ich ausgelaugt. Für nichts zu gebrauchen. Jeder hat versucht für seine Mutter /Ehefrau präsent zu sein, damit sie ihre Sorgen und Ängste teilen kann.

Meine Wut wurde in all der Zeit nicht weniger. Im Gegenteil. Mir viel immer mehr auf was mich wütend machte. Teilweise so kleine Sachen, dass ich ein unglaublich schlechtes Gewissen ihr gegenüber habe. Ich fühle mich manchmal als egoistische Prinzessin die nur auf ihr Wohl bedacht ist. Dabei ist meine Mama die Person, die mit einer solch schrecklichen Diagnose leben muss. Die wirklich Angst um ihr Leben haben muss. Aufgrund meines schlechten Gewissens geht es immer schlechter als sowieso schon. Eventuell fühlt hier jemand ähnliche Sachen. Daher möchte ich kurz erklären welche Gedanken mir entweder kurz nach der Diagnose einfielen oder irgendwann danach

-auf den Hochzeiten meiner Schwestern warst du. Auf meine kommst du wahrscheinlich nicht
-meine Nichte /mein Neffe haben die tollste Oma der Welt. Meine Kinder später nicht
-Wer kocht unsere Lieblingsessen die nur du kannst. Aufschreiben wolltest du sie mir nie
-Urlaube ein Jahr vorher buchen um sie dann in Trauer stornieren zu müssen?
-wozu dir ein neuer Handy schenken, wenn du es vielleicht nur ein paar Wochen nutzt


Dies sind ein paar Gedanken die sich meiner Meinung nach lesen, als hätte sie ein gefühlskaltes egoistisches Ar***loch geschrieben. Natürlich denke ich daran, dass meine Mutter ebenso an meine Hochzeit und meine zukünftigen Kinder denkt. In den Situationen denke ich aber einfach nur daran was mir vielleicht genommen wird. Allein das ich teilweise jetzt schon schreibe, als wäre ihr Todesurteil und dessen Vollstreckung fest datiert. Direkt ist da wieder dieses böse Tier auf meiner Schulter, damit ich mein schlechte Gewissen bloß nicht vergessen kann.

Hat jemand von euch solche Gedanken oder ähnliche durchlebt? Ist es eventuell normal auch einfach mal an sich zu denken?

Mir geht es nach jedem dieser Gedanken schlechter als vorher. Natürlich teile ich meiner Mutter Diese teilweise bösartigen Gedanken nicht mit. Nein, die sind ganz alleine mein Problem.

Aziraphale

Oh nein, mit diesen Gedanken bist du keineswegs alleine. Viele dieser Gedanken entspringen der Angst vor dem Verlust. Sie sind an sich "nur" ein Verdrängungsmechanismus. Es ist leichter, sich selbst ein wenig zu hassen für diese Gedanken, als mit dem ständigen Schmerz, der ständigen Angst zu leben.

Urlaub planen z.B... Mein Mann sitzt die meiste Zeit im Rollstuhl. Ja es wird besser, aber trotzdem muss man das berücksichtigen. Und ja, da kommt genau die gleiche Frage auf, leider. Und ja auch ich hasse mich dann dafür, möchte ich doch eigentlich, dass mein Mann noch lange bei uns bleibt.

Und nein, man teilt diese Gedanken nicht mit dem Erkrankten. Wozu auch? Es ist so, wie Du schreibst. Diese Gedanken sind unser Problem. Sind sie egoistisch? Das musst Du für Dich selbst beantworten. Ich glaube aber eher nicht, denn dann würdest Du nicht schreiben, dass sie Dich belasten.

Zwuck

Liebe JanaimPott!

Ich denke, deine Wut hängt mit der Trauer zusammen, daß du einen geliebten Menschen verlierst.
Es gibt fünf Trauerstufen: 1. nicht wahrhaben wollen, 2. Zorn, aufbrechende Emotionen, 3. Verhandeln, suchen und sich trennen, 4. Depression und 5. Akzeptanz. Man kann durchaus schon mit der Trauer, dem Abschied beginnen, wenn der Mensch noch lebt, daß ist ganz natürlich. Auch Eltern, die ein ein Kind mit Behinderung bekommen trauern, bezüglich dieser Umstände. Sie müssen sich von der Vorstellung ein gesundes Kind zu haben verabschieden und die neue Situation annehmen und akzeptieren.

Diese Stufen müssen jetzt nicht unbedingt in dieser Reihenfolge stattfinden. Auch die Dauer und Intensität ist bei jedem anders.

Mein Rat wäre, die Schuldgefühle nicht zu unterdrücken, damit kannst du deine Situation besser verarbeiten. Lass die Gedanken kommen und nimm sie an, ohne darüber groß nachzudenken. Gedanken die kommen, sind nicht falsch, sie sind deine Art mit der Situation umzugehen.
Ich wünsche dir viel Kraft, für die bevorstehende Zeit.
Liebe Grüße Zwuck

Xelya

Liebe JanaimPott,

sei nicht so hart mit Dir selbst. Nicht nur Deine Mutter muss mit dieser lebensbedrohenden Diagnose leben, sondern die gesamte Familie und natürlich hat es Auswirkungen auch euch alle.

Ich bewundere Deine Ehrlichkeit und es ist toll, dass ihr als Familie so zusammengerückt seid. Was ganz häufig bei so schlimmen Erkrankungen eines Familienmitgliedes untergeht, ist die Selbstfürsorge der Angehörigen. Du bist nicht krank, aber dennoch kannst Du genauso traumatisiert sein wie Deine Mutter durch die Diagnose.

Nimm diese Gedanken nicht als Zeichen eines schlechten Charakters, sondern als das, was sie sind: Ein Ventil, Deine Hilflosigkeit und Deine Angst zu kanalisieren. Hilflosigkeit äussert sich nach außen (oder wie bei Dir in Gedanken) sehr häufig in Wut. Das ist Hinweis darauf, dass Du Dich auch (nicht nur, aber AUCH) um Dich selbst kümmern musst. Und das gilt für alle Familienmitglieder.

Ich empfehle grundsätzlich jedem Angehörigen einer sehr kranken Person, sich therapeutische Hilfe zu suchen. Es gibt auch Selbsthilfegruppen für Angehörige. Und diese Angebote gibt, weil sie wichtig und notwendig sind und gebraucht werden.

Stell Dir mal vor, Deine allerbeste und allerliebste Freundin würde in einer ähnlichen Situation stecken wie Du und Dir anvertrauen, dass Sie solche Gedanken hat. Was würdest Du ihr sagen? Ich vermute, Du würdest versuchen, ihr etwas zu sagen, damit es ihr besser geht. Versucht mal, Dir das zu sagen, was Du dieser Freundin sagen würdest statt so streng zu Dir selbst zu sein.

Fühl Dich umarmt
Xelya

Vegas

Hallo
Jaaaa, ich habe das auch durchlebt. Ich habe schreiend und weinend auf der Couch gesessen, da ich alles nicht mehr aushielt.
Ich glaube, die Reaktionen sind ganz normal und menschlich. Meine Tochter ist einen Monat nach dem Tod meiner Mutter geboren. Obwohl der Tod endgültig war und nur noch eine Frage der Zeit, hatte ich plötzlich doch noch die Hoffnung, dass sie ihre Enkeltochter kennenlernt. Leider war uns das als Familie nicht mehr gegönnt. Ich habe ihr zu Weihnachten noch Eventkarten für November geschenkt. Sie hat sich sehr darüber gefreut und ich habe mich auf diesen Tag gefreut. Den Tod, der kommen wird, habe ich verdrängt. Er kam im August.
Ich habe mir auch brutal viele Gedanken gemacht. Und mache sie mir immer noch. Das ganze Thema lässt mich immer noch nicht los. Und das wird so bleiben. Persönlich habe ich mich dadurch auch verändert. Ist man dadurch egoistischer?? Ich glaube nicht. Letztendlich versuchen wir uns selber zu helfen. Und ja, ich glaube auch, dass es ein Ventil ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass darüber sprechen doch viel hilft. Und ich habe mit einer fremden Person darüber gesprochen, die mit meiner Familie und mit meinem Umkreis nichts zu tun hatte. Das war für mich der letzte Schritt, um die Krankheit und den Tod zu "akzeptieren".
Letztendlich muss jeder seinen Weg finden. Und das werden wir auch. Aber es braucht Zeit.

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