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Thema: Er wächst viel zu schnell..

Er wächst viel zu schnell..
Lunamelanie
02.05.2017 11:30:11
Hallo ihr lieben,
Ich muss mir hier mal einiges von der Seele schreiben.

Ende 2015 wurde bei meiner Mama 52 Jahre jung ein Astro III diagnostiziert und operiert. Zwischenzeitlich waren einige MRTs dabei, die Rezidive zeigten. Meine Mama bekam nun CCNU. Das erste kontroll MRT (letzten Donnerstag) nach acht Wochen CCNU zeigte, dass es nicht angeschlagen hat.
Die Ärzte der Uni Mainz rieten uns zu Avastin (soll am Freitag das erste mal gegeben werden). Um Palliative Betreuung sollen wir uns auch kümmern. Am Donnerstag haben wir eigentlich einen Termin in der Uni Heidelberg bezüglich einer eventuellen Protonenbestrahlung.
Jetzt hat sich der Zustand meiner Mutter so drastisch verschlechtert, dass sie heute nicht mehr laufen/ aufstehen kann und hat wieder heftige Kopfschmerzen.
Vorher waren Sprach- und Wortfindungsstörungen da und ihre Hand zitterte häufiger. Lesen und schreiben ging kaum noch bis garnicht mehr.
Wieso geht das so verdammt schnell??

Ich habe zwei Kinder im Alter von zwei und vier. Wie bereite ich sie auf das was noch kommt vor? Sie wissen dass omi Kopfaua hat aber wenn das jetzt alles so schnell geht habe ich Angst, dass sie das ganze nicht richtig verarbeiten.
Meine Mutter war immer eine gestandene Frau. Alleinerziehend und selbstständig. Sie nun so hilflos zu sehen nimmt mich sehr mit. Meine Schwiegermutter verschlimmert das ganze mit ihren mitleidigen blicken die sie mir ständig zuwirft und das tausend mal gefrage was denn los sei... sie weis um die aktuelle Situation, da finde ich solche Fragen überflüssig.. ich weis sie meint es nur gut aber es ist unerträglich für mich.
Auch die Eltern meiner Mutter und ihr Bruder sind nicht wirklich für sie da was mich sehr ärgert. Als sie Op bedingt im Krankenhaus lag kamen alle total oft vorbei.. jetzt wo sie wieder zuhause ist kommt es selten vor dass mal jemand der Herrschaften zu ihr kommt.. meine Wut über solch ein Verhalten der eigenen Eltern oder des Bruders ist so groß.. wie geht man damit um? Ich habe gerade keine Kraft das anzusprechen weil ich mich voll und ganz auf meine Mutter konzentrieren möchte..
Auch die Wesensveränderung ist erschreckend..
ich dachte nach der Diagnose letzten Donnerstag bleibt mir noch ein bisschen Zeit mich etwas mehr drauf einzustellen, insofern man das kann.. aber dass es so schnell geht hätte ich nie gedacht.
Meine Mutter bekommt alles nur noch so halb mit, da das Kurzzeitgedächtnis sehr gelitten hat. Wir werden morgen zusammen mit ihrem Mann das Gespräch mit ihr suchen, um ihr klar zu machen wie ernst die Lage ist..
Ich weis nicht wie sie es auffassen wird oder ob sie es überhaupt begreift was hier gerade passiert.
Es ist einfach so schlimm... ich habe Angst vor diesem Gespräch..
Lunamelanie
alma
02.05.2017 12:44:24
Liebe Luna,

ich kann nur einiges beantworten.
Idee: vielleicht hat sie den Tumor schon lange vor der Erstdiagnose gehabt, ohne Symptome, und jetzt nimmt die Krankheit Fahrt auf.
Es ist häufig bei Hirntumoren, dass in der letzten Zeit alles recht schnell geht. Irgendwo ein Glück, weil es nicht so langes Siechtum bedeutet, aber in eurem Fall schwer zu begreifen. Obwohl auch ein halbes Jahr mehr vielleicht nicht helfen würde, weil man von der Hoffnung auf Besserung so schwer lassen kann.
Das gilt für alle.
Verarbeiten kann man das nicht so schnell. Schon gar nicht die Kinder. Was ihr für die Kinder tun könnt, ist Angst und Trauer zuzulassen. Das sie ihre Gefühle zeigen und auch konfus sein dürfen.
Ärgere dich nicht mit der Familie deiner Mutter herum. Sie sind, wie sie sind. Man ändert sich nicht in einer Zeit der Krise. Dafür ist keine Kraft.
Und du verschleudere deine nicht dafür.
Such dir Unterstützung. In der behandelnden Klinik gibt es vielleicht eine/n Psychotherapeuten/in oder Seelsorger. Die Krebsgesellschaft hat in manchen ihrer Niederlassungen (nach Bundesländern) eine psychoonkologische Beratung. Es gibt die Caritas. Es gibt den Hausarzt.
Ich würde auch nicht davor zurückschrecken, die Telefonseelsorge anzurufen. Menschen, die zuhören und reden lassen. Alles, was entlastet.
Möglich, dass das Gespräch morgen schon Entlastung bringt. Du weißt nicht, was im Kopf deiner Mutter jetzt vorgeht. Wenn man spürt, dass man abrutscht, tut nichts besser, als mit jemandem darüber zu reden, der für die schlimme Erkenntnis erreichbar ist.

Viel Kraft.
Alma.
alma
Muschelsucherin
02.05.2017 15:17:16
Liebe Lunamelanie,
ich grüße Dich ganz herzlich und kann dich so gut verstehen.
Der Krankheitsverlauf meines Mannes war zwar insgesamt viel langsamer, aber dann doch sehr rasant.
und alles, was Du da beschreibst, habe ich auch erlebt, diese Hilflosigkeit, Wut, Angst und Trauer. Ich konnte auch nicht verstehen, dass man mir sagte, holen sie sich den Palliativdienst, lassen sie sich helfen.
Alle Familienmitglieder habe ich informiert, wer sich nicht wieder meldete, wurde von mir ignoriert, auch in meinen Gedanken, Du brauchst Deine Kraft für deine Mutter und Deine Kinder.
Mir haben die Gespräche mit dem Palliativdienst und dem Hospizdienst unglaublich geholfen. Sie sind professionell und hören zu, lassen einen weinen und haben mir die Angst genommen, vor dem, was kam.
Ich habe zwei Enkel im gleichen Alter wie deine Kinder, allerdings wohnen sie nicht am Ort, so dass sie nicht ständig mit der Krankheit konfrontiert wurden.
Dem Großen habe ich gesagt, was mit Opa passiert ist, ohne es groß auszumalen. Der Kleine erzählt von Opa, aber so richtig versteht er es nicht, es belastet ihn aber auch nicht, das merkt man ihm an.
Ich glaube, Kinder gehen damit unbefangener um in dem Alter, als wir denken. Allerdings vermeide ich es auch, jetzt in ihrer Gegenwart ständig über meine Traurigkeit und die Krankheit zu sprechen.
Ich wünsche dir viel Kraft und hoffe, dass es Deiner Mama noch wieder besser gehen wird.
Liebe Grüße
Muschelsucherin
Muschelsucherin
Josh
02.05.2017 15:25:07
" Wir werden morgen zusammen mit ihrem Mann das Gespräch mit ihr suchen, um ihr klar zu machen wie ernst die Lage ist..
Ich weis nicht wie sie es auffassen wird oder ob sie es überhaupt begreift was hier gerade passiert.
Es ist einfach so schlimm... ich habe Angst vor diesem Gespräch.."

Mal eine Frage: Beschäftigt sich Deine Mutter überhaupt mit ihrer Krankheit oder verdrängt sie diese? Will sie überhaupt aufgeklärt werden? Hat sie selbst schon nach ihrer Prognose gefragt?

Viele Grüße
Josh
Josh
Lunamelanie
03.05.2017 08:46:02
Vielen Dank für eure Antworten.

@muschelsucherin: danke für deine lieben Worte. Gut zu wissen dass es dir ähnlich geht. Auch das die Kinder es so gut aufgenommen haben beruhigt mich sehr.

@alma: auch dir lieben Dank für deine netten Worte. ich habe ein paar Psychoonkologen in meiner Nähe angeschrieben und hoffe bei einem sehr bald einen Gesprächstermin zu bekommen.

@Josh: ja sie hatte danach gefragt. Gestern war ein ganz schlimmer Tag. Sie konnte nicht selbst laufen und gesprochen hat sie auch fast garnicht. Ich hatte den Eindruck dass sie nicht mitbekommen hat das ich da war. Das Problem ist auch, dass das Kurzzeitgedächtnis so gelitten hat, dass sie es gleich wieder vergisst. Einen Tag nach dem MRT fragte sie was gestern passiert ist.. wir erklären es ihr natürlich immer wieder.

Ich hoffe nur dass es ihr heute wieder besser geht. Sind das eine Art von Schüben? Sie hatte auch heftige Kopfschmerzen. Komischerweise ist es meistens dienstags wo es ihr schlechter geht aber so schlimm wie gestern war das noch nie. Kennt das jemand von euch?
Lunamelanie
Andrea 1
05.05.2017 10:33:32
Liebe Lunamelanie,
aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Kurzzeitgedächtnis einem extrem zusetzen kann, für extrem viele Funktionen im Gehirn superwichtig sind, das heißt aber noch lange nicht, dass es deine Mama vielleicht nicht mehr mitbekommt, vielleicht geht es ihr da, wie mir damals, dass sie einfach nur sehr verlangsamt reagieren kann, weil sich ihr Gehirn auch mit sich selbst beschäftigt.
Schwer zu beschreiben.
Bei mir war es damals nach der OP so, dass ich vereinfacht gesagt milliarden von Gedanken gefühlt gleichzeitig im Kopf hatte und selbst irgendwie eine Lücke finden musste, um etwas von außen aufnehmen zu können, meine Antwort dazu für mich zu hinterfragen, zu finden oder zu formulieren und dann musste ich noch eine Lücke finden, um es an meine Lieben weitergeben zu können. Im Nachhinein kam ich mir schon ein bisschen so vor, als würde ich den Hang zum Wachkoma haben. Ich konnte sehr viel aufnehmen und verstehen, nur negative Infos gingen nicht an mich heran. Die filterte mein Hirn scheinbar vorab aus.
Nun kannst Du dir sicherlich vorstellen, dass ich ziemlich lange brauchte, um mich auf das (für mich aktuelle) Thema zu äußern. So kam es des Öfteren dazu, dass ich noch beim Thema "A" war und meine Familie war schon beim Thema "Z". Die Blicke, welche ich dann bekam, waren für mich schlimm, weil ich mir vorkam, als sei ich geistig völlig umnachtet. Erst nach und nach konnte ich es ihnen mitteilen, dass ich nur sehr sehr viel mehr Zeit für alles brauchte.
Es war heftig für mich. Meine Familie gab mir dann die Zeit, dass ich in Ruhe antworten konnte. Kleinste Störungen und seien es nur optische Reize, brachten mich von meinen ursprünglichen Vorhaben ab. Das war für mich zusätzlich extrem belastend, denn ich bekam das ja irgendwann wieder bewusst mit/es fiel mir irgendwann wieder ein, dass ich es machen/sagen/tun wollte und trotzdem davon abkam.

Heftige Kopfschmerzen hatte ich damals, als ich auf Keppra/Levitiracetam eingestellt wurde, da hätte ich auch die Wände hochgehen können. Glücklicher Weise gab sich das nach 1 Woche oder so, aber bei mir waren diese Symptome damals und kurz vor und kurz nach der OP.
Auf Grund meiner heftigen Anfälle vor der OP, hatte ich im Nachhinein tatsächlich große Gedächtnisausfälle, weil es Situationen gab, an die ich mich bis heute nicht mehr erinnere oder nur deshalb, weil man es mir nachher immer wieder erzählte. Anhästesiegespräch hatte ich nie... ;-)
Meine Familie sagt aber, dass es sogar sehr sehr lange dauerte. 1,5h. Die fehlen mir völlig. Besucher, hm... keine Erinnerung daran.
Aber, sehr wichtige Faktoren, wie meine Familie, die hatte ich nicht vergessen. Wobei ich da sehr viel aus meinem Langzeitgedächtnis nahm. "In alten Zeiten schwelgte".
Ich war in der Lage Momentanentscheidungen zu treffen, welche meinen grundsätzlichen Ansichten entsprachen, konnte mich aber teils nur schwer oder gar nicht mehr daran erinnern.

Ganz ganz wichtig, macht mit ihr eine Patientenverfügung, falls ihr noch keine habt und eine Betreuungsvollmacht. Das erleichtert euch eure Entscheidung für den schlimmsten Fall.

Zur Zeit scheint viele Hirntumorpatienten zusätzlich das "wilde Wetter" sehr zu schaffen. Müdigkeit, Druck im Kopf, ab und an Schwindel und einige sogar Antriebslosigkeit, welche bei mir zum Glück nicht so stark ist.
Bei mir ist es mehr Müdigkeit, schlecht schlafen, Druckefühl und etwas Schwindel.

In Mainz fühle ich mich sehr kompetent und herzvoll aufgehoben. Da ist man nicht nur Patient Nr. XY... Da ist man in erster Linie Mensch.
Alles Liebe für euch und vor allem für deine Mama
LG Andrea
Andrea 1
Lunamelanie
08.05.2017 11:51:18
Vielen Dank Andrea für deine Antwort.
Meine Mama geht es besser dank einer Erhöhung vom cortison was die Schwellung etwas abklingen lässt. Sie kann wieder mit Hilfe laufen und sprechen klappt auch jeden Tag besser :)
Ich habe sie gefragt was sie mitbekommen hat... sie meinte, dass sie schon einiges mitbekommen hat. Aber wenn ich zum Beispiel erzähle, dass ich sie an dem einen Tag geduscht habe, habe ich den Eindruck das weis sie nicht mehr.. ich finde auch dass sie noch etwas "weg" ist und hoffe das gibt sich in den kommenden Tagen wieder. Am Dienstag war sie wie weg getreten und konnte nichts mehr.

Eine Patientenverfügung haben wir gleich nach Entdeckung des Tumors Ende 2015 gemacht. Zum Glück...
Morgen kommt ein Arzt vom Palliativ Team der sich mit Methadon auskennt.. noch hat sie CCNU im Körper was ja in Verbindung mit Methadon einen Versuch wert wäre und wenn es nur ihren Allgemeinzustand verbessert.. leider glaube ich, dass wir in Mainz keine weitere CNNU bekommen werden, da diese ja nicht angeschlagen hatte. Ich finde es etwas schade das man sich dort nicht auf einen Versuch einlässt.. wenn man von Methadon oder cannabisöl spricht, wird das immer abgeblockt, weil es keine Studien gibt. Ich verstehe nicht warum man sich so auf Studien versteift... zumal sie uns zu Avastin raten, wo die Studie auch sehr schlecht ausgefallen ist. Schade dass man es nicht wenigstens versucht bei Menschen, die austherapiert sind.
Lunamelanie
Andrea 1
11.05.2017 17:26:21
Die Verfügungen und Vollmachten müssen jedes Jahr erneuert werden. Heißt soviel, dass Ihr jedes Jahr die Unterschriften mit Datum drauf erneut dazuschreibt, dass es aktuell bleibt.
Mit den verschiedenen Therapien und Entscheidungen Seitens der Ärzte ist eine sehr schwieirge Sache, denn letztich tragen sie die volle Verantwortung, wenn etwas "schief geht". Es könnte ihnen ihre Zulassung als Arzt kosten und dafür haben sie bestimmt nicht so viele Jahre studiert, geforscht und gelernt, dass sie Arzt werden durften. Es ist schon berechtigt, dass es da recht strenge Vorschriften gibt. Sonst hätten viele Scharlatane leichtes Spiel und könnten sich locker flockig aus der Affähre ziehen, wenn...
Von daher verstehe ich es auch, dass sich die Ärzte an ihre Vorgaben halten müssen. Für uns, als Betroffene und Angehörige eine sehr schwer zu begreifende Angelegenheit, weil man in solch verzweifelten Momenten jeden nur denkbaren Strohhalm ergreifen möchte. Aber ab einem gewissen Punkt sollte man sich tatsächlich fragen; zu welchem Preis man das oder jenes noch versucht. Schließlich geht jede aggressive Therapie oft auf die Lebensqualität. Gehe ich von mir aus, dann würde ich schon sehr gerne tumorfrei sein, aber auch meine Sinne noch beisammen haben wollen, mein Leben bewusst genießen können und nicht nur vor mich hinsiechen oder nichts mehr mitbekommen und als "emotionsloses Wesen notdürftig versorgt werden". Mag sein, dass sich das gerade krass anhört, aber wenn ich leben darf, dann richtig und mit möglichst wenig Einschränkungen.
Mir ist meine Selbstbestimmung mit am wichtigsten, dass ich entscheiden kann, was mit mir passiert.
Ich bin sehr froh, dass ich die ärztlichen Behandlungswege nicht entscheiden muss. Das dürfte wohl mit das Allerschwerste überhaupt sein.
Von Herzen wünsche ich euch und eurer Mama, dass sie noch eine lange Zeit voller Lebensqualität mit euch haben darf.

Wegen des Cannabisöls, da gibt es hier schon einige Themen dazu. Versucht euch darüber zu belesen und entsprechende Ärzte zu finden, welche ech sehr gute Auskünfte darüber geben können.

LG Andrea
Andrea 1
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