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Thema: Erfahrungen mit einem Medulloblastom mit Mitte 20

Erfahrungen mit einem Medulloblastom mit Mitte 20
Gigi90
24.02.2017 12:13:08
Hallo,
wegen diagonalen Doppelbildern(Diagnose von Augenärztin: "ist halt so, Pech"), Kopfschmerzen, Übelkeit+Erbrechen, Blackout bin ich damals zum Arzt (Diagnose Allgemeinmediziner: "Migräne"). Es hat zwar zwei Monate gedauert, bis ich von Massagen und angeblicher Migräne zum Radiologen gegangen bin. Da ich als Säugling Gehirnblutungen hatte, hat man mich in ein CT gesteckt und wollte mal nachschauen, wie es so in meinem Kopf aussieht.
Ich war zur Diagnose (Hirntumor) November 2015 25 (ich bin männlich) und wurde sofort operiert, ich hatte nicht einmal die Chance Sachen einzupacken. Von der Radiologie ging es direkt mit einem Krankentransport in die Notaufnahme. Nach ca. einem Jahr war die Therapie vorbei. Nun bin ich 27 und gehe wieder zur Uni.
Der Tumor wurde in einem CT gefunden und von dem Operateur fast vollständig entfernt. Damals hat man noch nicht gewusst, was für ein Tumor es überhaupt ist. Insgesamt hat die Operation 10 Stunden gedauert. Zu Weihnachten kam ich wieder nach Hause. Die Zeit bis dahin verbrachte ich im Krankenhaus. Essen selbst essen war zuerst wirklich schwer. Manchmal musste mir die Krankenschwester das Essen schneiden, laufen war in den ersten Wochen auch nicht möglich. Waschen und Toilettengang auch nicht. Also war erstmal ein Katheter angesagt. Zuerst konnte ich auch besser Spanisch uns Englisch sprechen, als mein Muttersprache Deutsch. Das hat sich dann aber wieder gelegt.
Als ich Weihnachten wieder zu Hause war, konnte ich wieder ok-sprechen und musste mich an dem Möbeln und Wänden festhalten, um durch die Wohnung zu gehen. Nach Weihnachten kam eine Reha. Es war immer noch gesagt, dass es ein gutartiger Tumor sei.
In der Reha lief alles gut. Ich habe mich mit vielen Leuten angefreundet und Silvester habe ich auch dort verbracht. Hier wurde dann auch die Info über den Tumor weitergereicht, dass er bösartig sei. Also haben die Ärzte mich verlegen lassen. Ich hatte damals gar nicht realisiert, dass bösartiger Tumor = Krebs ist... Also alles halb so wild ;D
Nach Hamburg wurde ich verlegt, da sie dort sehr gut mit Hirntumoren umgehen können. Dort habe ich dann nach zwei Wochen ein Zimmer auf der Krebsstation bekommen – nach der Nachricht, dass ich noch eine Gehirnmetastase habe. Da habe ich dann auch realisiert, dass ich echt am Arsch bin und ab Mitte-Ende Februar konnte ich auch einigermaßen wieder selbstständig denken. Vorher war ich mehr Gemüse bis hin zu geistig schwerbehindert.
Also: Chemotherapie, Radiotherapie. Das War das angedachte Programm. Nach zwei Zyklen Chemotherapie – acht Medikamenteneinnahmen-Zyklen, die jeweils 3-5 Tage dauerten, wurde ich wieder nach Hause entlassen und durfte zwei Wochen bei meinen Eltern verbringen. Nach den ersten vier Therapiegaben, wurde ein MRT gemacht und geschaut, wie der Tumor anschlägt. Er schlug an, die Metastase war weg. Ein zweiter Zyklus wurde gegeben und anschließend war kein Tumor mehr zu sehen. (Für mich als Leihen konnte ich auch nach dem ersten Mal nichts sehen, aber in Hamburg gucken sich die Bilder immer gleich ein Ärzteteam an, also hatte ich da Vertrauen) Die Chemotherapien habe ich gut vertragen. Das Haupthaar habe ich komplett verloren, den Bart auch Arm und Beinhaare nur zum Teil. Manchmal hatte ich Verstopfung. Meist kamen die Beschwerden nach meinem Aufenthalt im Krankenhaus. Während der Therapien habe ich körperlich abgenommen, zu Anfang konnte ich mit Koffer zu meinem Taxi laufen, auf dem Rückweg musste mir die Taxifahrerin den Koffer tragen, da es sehr anstrengend war, ihn alleine zu tragen. In der Zeit zu Hause (naja in der gesamten Zeit) musste ich auch mein Blut testen lassen, da meine Chemo die Abwehrkräfte besonders runtergezogen haben. Die Zeit zwischen den Therapiesitzungen haben sich meine Blutwerte nach unten und wieder nach oben entwickelt. Manchmal musste ich 3-5 Tage länger auf die nächste Therapiesitzung warten, da ich noch nicht ausreichende Blutwerte hatte. Die Abwehrkräfte waren in der Zeit echt miserabel, also habe ich das Haus fast nie verlassen – was bei starken Doppelbildern und Gleichgewichtsstörungen (was ich die ganze Zeit hatte) keine gute Idee gewesen wäre. Fahrrad fahren, Auto fahren war unmöglich (Mittlerweile vielleicht wieder möglich). Freies Laufen habe ich erneut gelernt. Gymnastikball + Linie auf und ab laufen + auf einem Bein stehen, später auf einem Trampolin auf einem Bein stehen und sich bewegen. Gegen die Doppelbilder habe ich zuerst eine Augenklappe getragen (mit einem Auge konnte ich ohne Probleme sehen) später habe ich vom Augenarzt eine Prismenbrille bekommen. Das Bild verschob sich mit der Zeit immer ein bisschen zum Positiven und je nach Tagesform ist es mal extremer und mal weniger.
Nach den zwei Zyklen Chemotherapie gab es die Radiotherapie mit Chemotherapie. Insgesamt 72? Termine Radiotherapie, an den Wochenenden war frei. Jede Woche gab es eine Spritze Chemotherapie obendrauf. Die vertrug ich aber gut und ich konnte jeden Tag einen Spaziergang machen. Nachdem ich las, das von der Spritze schon Patienten gestorben sind, habe ich an den Tagen mit Radio+Chemotherapie dann keine Ausflüge mehr gemacht... :) Während der Radiotheherapie verlor ich meinen Geschmackssinn fast komplett und nur noch Dinge mit Fleisch konnte ich schmecken, der Rest schmeckte wie Pappe. Trockene Dinge waren auch schwierig. Appetit hatte ich nur wenig bis gar nicht. Morgens aß ich meistens ein Croissant mit Butter+Marmelade, mittags Suppe mit Fleisch und abends bin ich von Schwarzbrot zu Graubrot zu Weißbrot gewechselt. Insgesamt habe ich vieeeel getrunken. 2-3,5 Liter am Tag, auch schon bei der Chemotherapie. Insgesamt habe ich trotzdem 20 kg verloren, da ich das nach der OP auch durch ein unstillbaren Hunger zugenommen hatte, war das halb so schlimm.
Sobald ich Zeit und Lust hatte, habe ich immer meine Selbsttherapie gemacht, also auf einer Linie laufen, auf einem Bein stehen.
Da ich im Krankenhaus keinen Internetzugang hatte, musste ich meinen Laptop vorbereiten und hab das dann auch gemacht. Musik, offline-Spiele, Serien usw. Habe ich alles zwischendurch auf meine Festplatte geladen und dann während meine Infusion lief, konsumiert.
Mittlerweile bin ich Krebsfrei (ja, das darf hier groß!). Zwei Nachuntersuchungen habe ich schon hinter mir. Jedes Vierteljahr darf ich ins MRT. Geblieben sind Doppelbilder und ein Schaden vom Gleichgewichtssinn wenn ich sitze, merke ich von dem Schaden beim Gleichgewichtssinn nichts. Beides bessert sich, aber benötigt viel Zeit und wahrscheinlich wurde durch die Therapien das Knochenmark geschädigt und ich habe seit sechs Monaten schlechte Blutwerte. Meine Leukozyten sind sehr niedrig. Jede Woche darf ich ein Blutbild machen lassen. Vielleicht regeneriert es sich auch wieder, aber da mag ich noch keine Prognosen machen. Die Haare auf dem Kopf wachsen langsam um bescheiden, soweit ich weiß, liegt das haarwachstum mit dem Knochenmark zusammen. Also ich habe mittlerweile eine Krone, wie man es bei älteren Männern so kennt und in der Mitte wächst es auch, aber dünner. Da ich auch zwei Implantate auf dem Kopf habe, trage ich immer eine Mütze.
Was ich aus dem ganzen Theater gelernt habe? Joa, also es ist wirklich schön, wenn man ohne Hilfe duschen kann! Sich die Socken anziehen kann, ohne sich hinzusetzen, sich die Hose anziehen kann, ohne sich hinzusetzen. Sich selbst ein Getränk einschenken kann, ohne alles daneben zu schütten! Mittlerweile denke ich über Dinge viel mehr nach und lebe nicht mehr in den Tag hinein. Und Taxifahrer, die einem krebskranken Mitte 20 sagen, mit 30 fängt man als Mann das Leben erst an, können mir gestohlen bleiben! :)
Mein Vater hatte auch Krebs. Es wurde auch im Dezember 2015 entdeckt. 50% Überlebensrate in der Familie... Darmkrebs ist auch nicht schön und äußert sich ganz anders. Er hat auch ganz anders auf seine Chemo reagiert.

Wenn ihr Fragen habt, einfach Pm.
Gigi90
KaSy
17.03.2017 19:57:50
Lieber Gigi90,
ich habe erst jetzt Deinen Bericht hier gelesen.
Du bist so stark!
Ich wünsche Dir, dass Du aus Deinem Leben noch ganz viel machen kannst und wirst!
Alles Gute
KaSy
KaSy
Marienkäfer2
18.03.2017 00:03:35
Toll
Marienkäfer2
Marienkäfer2
18.03.2017 00:06:56
So ein ein starker Lebenswille und es ist auch ein toller Text. Daran sehen wir mal das Dinge die wir als selbstverständlich nehmen , mal zu schätzen lernen !

Ganz toll . Ganz viel Kraft weiterhin und liebe Grüße Marienkäfer2
Marienkäfer2
Gigi90
20.03.2017 10:25:03
Danke für die positiven Rückmeldungen. Ich bekomme keine Mail vom Forum und darum schaue ich unregelmäßig einfach mal rein...
Gigi90
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