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Thema: Es ging nicht mehr...

Es ging nicht mehr...
Rainman
01.12.2017 00:25:56
Hallo,
ich wollte mich hier bei allen bedanken, die mich unterstützt haben mit ihren Beiträgen. Mein Mann ist am 5.3.2017 im Altern von 55 Jahren an seinem Oligoastrozytom zuhause verstorben. Die letzten Monate waren ein Kampf. Dazu später mehr.
Auch wenn der seltsame Heiler aus München am 21.1.2017 behauptet hat, der Tumor wäre nicht mehr nachweisbar, ist die medizinische Wirklichkeit anders. Ein echter Scharlatan, der Geld abzockt mit der Not kranker Menschen, deren Vertrauen er erschleicht.
Ich habe euren Rat befolgt und mich an die Heilpraktikerverbände gewandt. Er ist weder im deutschen Verband, noch im bayrischen Verband Mitglied. Wen wundert es. Die konnten deshalb nichts für mich tun, außer zu sagen, dass ich zivilrechtlich einen Anspruch auf Rechnungen habe.
Aber wer will schon Rechnungen einklagen.
Meine Tochter hat die Rechnungen nach Papas Tod bei ihm angefordert. Zurück kam eine Lüge: Er habe keine Unterlagen mehr von 2015. Eine glatte Lüge. Ich arbeite u.a. auch freiberuflich und man muss da alles 10 Jahre aufheben. Auch das zuständige Finanzamt München hat nur gesagt, ich kann die Rechnungen einklagen. Dafür habe ich keine Nerven.

Bisher hatte ich noch nicht die Kraft, hier zu erzählen, wie das Ende war und habe deshalb nichts mehr geschrieben.

Viereinviertel harte Jahre nach der Erstdiagnose Oligoastrozytom WHOIII liegen hinter uns. Erstdiagnose 11/2012. Inoperabel. 2013 Chemo (PC), 32 Wochen, 4 Zyklen, dann Leberprobleme, Abbruch.
Rezidiv im Januar 2014, wieder 4 Zyklen PC-Chemo, wieder Abbruch wegen Leber, es waren je 6 Zyklen geplant gewesen.
Januar 2015 wieder Rezidiv6 Wochen täglich Ganzhirnbestrahlung (bzw. v.a. die betroffene rechte Seite). Im heißen Sommer 2015.

Vom ersten Tag an große Persönlichkeitsveränderungen, dazu gestörtes Kurzzeitgedächtnis. Der Mann an meiner Seite, mit dem ich 34 Jahre zusammen war, davon knapp 30 Jahre verheiratet, war ein anderer Mensch. Und im Rückblick war das das Schlimmste an der Krankheit: Du kannst dich nie mehr so austauschen und miteinander sprechen wie in all den Jahren zuvor.

Im Lauf des Jahres 2016 zunehmende Verschlechterung. München bot nochmal Chemo an, Temodal. Tübingen bot eine Studie an, IDHI-Hemmer-Medikamentenstudie.
Für beides gabe es Vorgespräche. Beides war mögich, auch die Studie passte. Ende Oktober 2016 war ich beruflich ein paar Tage weg. Als ich zurückkam, bekam ich - noch nicht richtig in der Tür - von ihm mitgeteilt, dass er beides abgelehnt habe.
Es war ein Schock, aber ich habe es respektiert. Die Kinder haben gekämpft, versucht, ihn zu überzeugen zur Studie, das ist ja ein anderer Ansatz als Chemo oder Bestrahlung. Ohne Erfolg.

Weihnachten 2016 begann die Endphase: Vermehrt Anfälle, ein Bein voller Thrombosen, Gleichgewichtsprobleme, Sehstörungen, sichtbar steigender Hirndruck...
Er wollte zuhause bleiben, das war eine echte Herausforderung. Ich war 80% berufstätig, die Kinder waren alle drei auswärts bei Studium und Ausbildung (19, 21, 23 Jahre) und nur am Wochenende da.
Von Weihnachten bis zum Tod habe ich zwei Nächte mehr als 4 Stunden geschlafen. Das war alles.
Wir mussten 24 Stunden abdecken, ich habe Schichtpläne geschrieben, um zu arbeiten und alles abzudecken, wenn ich außer Haus war.
Ende Januar weitere Verschlechterung, wir mussten nun immer zwei Personen gleichzeitig da sein. Pflegestufe zog sich hin, Bürokratie...

Wir haben Freunde und Familie eingebunden, alle, die Hilfe angeboten haben, wurden eingebaut. Weitere Verschlechterung, wöchentlich, täglich.
Extreme Unruhe, Hirndruck, zentrales Erbrechen,...
Immer schlimmer...

Die letzten 4 Wochen hatten wir endlich die Palliativversorgung im Boot (SAPV), ohne die es nicht gegangen wäre. Schmerzpumpe, Morphine, ...Die volle Ladung eben, aber auch die haben es nicht in den Griff bekommen. Wir mussten ständig erhöhen. Es war ein harter Kampf. Die letzten Nächte hat keiner mehr ganz gepackt, wir waren 4 Personen pro Nacht und haben uns immer - je 2 Leute - abgewechselt. Es war nicht auszuhalten. Die Unruhe, seine Versuche aufzustehen, die Schmerzen, ...
Voll bettlägrig war er nur 7 Tage, aner die letzten 4 Wochen oft im Pflegebett mitten im Wohnzimmer. Das war gut so.

Es war ein harter Kampf. Trotz seiner Entscheidung wollte er leben und hat dem Heiler geglaubt...
Der hat sich bis heute übrigens nicht einmal auf unsere Todesanzeige gemeldet. Kein Wort der Anteilnahme.
Ganz anderes in München in der Uniklinik: Ich hatte ein langes Nachgespräch in der LMU. Dort waren wir all die Jahre gut betreut und auch das war auch noch menschlich klasse, trotz Riesenbetrieb und Wartezeiten. Denen bin ich auf ewig dankbar. Medizinisch und menschlich.

Wir haben viel Hilfe und Unterstützung erfahren, ein Freund und Kollege hat uns seelsorgerlich unterstützt. Wir haben am Bett Gottesdienst gefeiert, in kleiner Runde, als er noch lebte. Das tat gut.
Am Todestag zuhause - mein verstorbener Mann lag im Pflegebett im Wohnzimmer - haben wir Freunde und Familie eingeladen und eine kleine Andacht gehalten mit unserem Seelsorger. Jeder, v.a. auch die, die mitgeholfen hatten, konnten hier Abschied nehmen. Wir hatten ihn noch einen Tag zuhause, auch das war gut so.
Die Beerdigung war unvorstellbar groß: Familie, Kollegen, Freunde. Auch das hat unser Freund als Seelsorger (Pastoralreferent) gut begleitet.

Hilfe anzunehmen ist unendlich wichtig und offen kommunizieren, was man braucht. Wir sind damit gut gefahren.
Jetzt, knapp 9 Monate später, versuchen ich, wieder ins Leben zu finden.
Es ist schwer. Wir haben unser ganzes Erwachsenenleben geteilt. Die Lücke ist nicht zu schließen.
Zum Glück habe ich drei tolle Kinder, eine hilfreiche Großfamilie, einen guten Beruf, ein Zuhause und gute Freunde. Und trotzdem:
Die Lücke bleibt.

Macht's alle gut in all euren schwierigen Situationen.

Unser Abschied war heftig und schwer und ein hartes Sterben, das wir mit ansehen mussten. Manchmal war es zum Davonlaufen. Es ist das bisher Härteste, was ich mitgemacht habe in meinem Leben.
Und ich habe den Vergleich, denn ich verlor meinen Vater plötzlich als Kind - Herztod. Mein Bruder verunglückte - ohne eigenes Verschulden - mit 42 Jahren tödlich. Meine Mutter haben meine beiden Schwestern und ich bei ihrer Bauchfellkarzinomerkrankung begleitet und es war ein schwerer, aber guter, gemeinsamer Weg.

Die Persönlichkeitsveränderung durch den Hirntumor ist wirklich unbeschreiblich, Ich dachte nicht, dass es so hart wird. Ich bin eigentich ein optimistischer und fröhlicher Mensch - gewesen?
Mein Spruch war immer: Schlimmer geht's nimmer. Wir halten durch.
Irgendwann in den letzten Wochen vor dem Tod musste ich mich korrigieren: schlimmer geht immer. Leider.

Gottes Segen für euch alle, zumindest, wenn ihr daran glaubt. Mich hat mein Glaube getragen. Gott sei Dank.
Rainman
Mayla
01.12.2017 10:56:46
Guten Morgen Rainman,

Neu anfangen in Zeiten, die dafür unmöglich erscheinen,
weil ich keine Kraft habe,
weil ich kein Ziel vor Augen habe,
weil ich nicht weiß, wo der Weg hinführen soll.

Neu anfangen, da mich Menschen (physisch) verlassen haben.

Neu anfangen mit Dingen, die ich wieder für mich entdecken will,
die mir mal wichtig waren,
die ich schon immer mal erlernen wollte.
die mir Freude machen und meiner Seele Flügel verleihen.

Neu anfangen und dabei fasziniert sein von dem,
was kommen wird;
Lust auf Veränderung haben;
meine Spur der Wünsche und Träume finden;
offen bleiben mit Neugier und Lebenslust -
einfach Sehnsucht nach Leben.

Unvertrautes, Ungewohntes, Fremdes zulassen,
den Aufbruch in eine neue Freiheit wagen,
Grenzen durchbrechen,
dabei ungeahnte Möglichkeiten entdecken,
aber auch beschwerliche Wege auf sich nehmen.

Das erfordert Mut!
Mut steht an jedem Anfang, jedem Neuanfan,
denn der Abschied von Vertrautem und Gelebtem
macht Platz für Wünsche,
offnet den Blick für Dinge, die vorher verborgen blieben.

Neuanfang:
darin steckt ein Zauber,
es braucht auch Vertrauen.
Lass mich meine Möglichkeiten erkennen
damit ein Neuanfang immer wieder gelingen kann.

° diese Zeilen habe ich soeben gelesen und möchte sie gerne mit dir teilen.

Keine Zeit im Jahr ist so dunkel wie die im Advent. Es ist die Zeit der längsten Nächte und der kürzesten Tage. So ist der Advent auch eine Zeit der Sehnsucht nach dem Licht. Die Aussage von Weihnachten lautet: Das Licht besiegt die Finsternis. Das bedeutet auch: Liebe ist stärker als Hass, das Leben ist größer als der Tod. Materielles kann ich verlieren, aber das Gute was im Herzen tief verankert ist, das geht niemals verloren.
Du hast viel Zeit, Kraft, Fürsorge und Liebe deinem Mann geschenkt, ich vertraue das er dir dankbar dafür ist und nun möchte dass du die kommende Zeit für dich und deine Bedürfnisse nutzt, glücklich und zufrieden bist und die schönen Momente genießen kannst.

Alles Liebe
Mayla
Mayla
Rainman
01.12.2017 18:00:22
Hallo Mayla,
vielen Dank für Deine tröstenden Worte. Wer ist der Autor des Textes (oder die Autorin?).
Alles Gute
Rainman
Rainman
Mayla
01.12.2017 18:31:05
bardeler adventsmeditation 2017
Mayla
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