So – jetzt hatte ich ein paar mal eine gute Phase nutzen können und meine Fatigue-Problematik beschrieben:
Das Schlimme ist die Antriebslosigkeit und das geringe Maß an Energie, was mir zur Verfügung steht. Das bin nicht ich – ich war immer voller Energie und Lebensfreude und hatte mental und körperlich sehr viel Ausdauer und Geduld.
Und nun bekomme ich meinen Alltag kaum geregelt…
Ich schildere einfach mal meinen Tagesablauf:
Wenn ich Glück habe, kann ich mit meinem Mann zusammen frühstücken. Wenn nicht, ist es schon anstrengend, wirklich alles auch zu machen: Tee und Müsli zubereiten und möglichst danach auch wieder wegräumen. Oft fällt zum Beispiel der Tee weg – statt dessen ein Glas Wasser – und das Geschirr findet anschließend den Weg in die Geschirrspülmaschine nicht.
Meistens muss mein Mann recht früh zur Arbeit. Dann kann ich leider nur mit aufstehen, falls ich ausgeschlafen bin. Sonst bin ich nach dem Frühstück wieder müde und verschlafe einen Großteil des Vormittags.
Morgens versorge ich meine Tiere – das stellt zum Glück sicher, dass ich auch aufstehe, falls mein Mann schon aus dem Haus ist. Ansonsten wäre es sehr schwer, die Antriebslosigkeit zu bezwingen.
Das Frühstück zieht sich ziemlich in die Länge – ich habe morgens eine lange Anlaufzeit (früher war ich begeisterte Frühaufsteherin mit viel Tatendrang).
Dann kommt meine gute Zeit, die so in der Zeit von 9:00-11:30 liegt. Manchmal fühle ich mich da richtig gesund, habe Lebensfreude und bin motiviert – kann gar nicht glauben, wie eingeschränkt ich bin – fange an, etwas zu machen – und mit viel Glück klappt das sogar auch mal für ein bis zwei Stunden. Aber mit etwas Pech ist schon nach wenigen Minuten Schluss. Schlagartig bin ich kraftlos, meine Arme und Beine sind unendlich schwer, ich kann gar nichts mehr machen, lege eine Pause mit einem kleinen Snack ein. Mit etwas Glück kann ich nach einiger Zeit wieder was machen – dann aber mit Sicherheit wieder nur kurz. Das Ganze wiederholt sich eventuell sogar noch ein weiteres mal.
Dann kommt die Mittagszeit. Wenn ich nichts esse, werde ich besondere planlos. Ich esse möglichst leichte Kost, da ich sonst meist mehrere Stunden nach dem Essen schlafe. Wenn ich alleine koche, kann ich nur sehr einfach kochen (z. B. Rührei). Für mehr fehlt mir der Plan und die Energie. Küche nach dem Essen/Kochen aufräumen geht fast nie. Fast immer brauche ich einen Mittagsschlaf. Ich stelle mir den Wecker so, dass ich ca. eine halbe Stunde schlafe. Meistens kann ich dann aufstehen – manchmal bin ich dafür zu müde und muss weiter schlafen. Ich brauche Tee oder Kaffe, um – nach entsprechender Anlaufzeit - noch mal aktiv werden zu können. Mit diesen Aufputschmitteln muss ich aber sorgsam umgehen, da ich sonst am nächsten Tag merke, dass ich meinem Körper Energie geraubt habe, die nicht zur Verfügung stand. Nachmittags fühl ich mich in der Regel irgendwie – wie soll ich sagen – matschig in der Birne. Abends fühle ich mich zumeist körperlich fit – größere Konzentrationsleistungen sind dann aber nicht mehr möglich.
Hinzu kommt ein – nicht immer, aber zeitweise – beunruhigend schlechtes Kurzzeitgedächtnis. Und eine extreme Geräuschempfindlichkeit – insbesondere bei Geräuschen, die mir im Krankenhaus den Schlaf geraubt haben (Piepsen, Maschinen, die unregelmäßig anspringen und wieder ausgehen etc.). Das geht soweit, dass der Alltag für mich zum Spießroutenlauf werden kann und ich im Extremfall gar nicht mehr denken kann und kopflos die Flucht ergreifen muss (es gibt so durchdringliche Pieptöne, dass selbst Finger in die Ohren stopfen nicht hilft).
Aber: Ich bin sportlich aktiv. Ich brauche einen heftigen Schwung an Koffein als Initialzünder – aber dann bin ich ähnlich ausdauernd und fit, wie in gesunden Zeiten. Voraussetzung ist, dass mein Kopf absolut frei ist und ich mich nicht konzentrieren muss. Muss ich mir zum Beispiel einen Punktestand merken, kann es sein, dass der berüchtigte Schalter sich wieder umlegt und ich – auch körperlich – plötzlich wieder erschöpft bin.
Auch sehr schön ist, dass ich Urlaub mit meinem Mann genießen kann – vorausgesetzt ich strenge mich ausschließlich körperlich an und es gibt keinen Lärm.
Prinzipiell habe ich den Eindruck, dass ich noch alle Fähigkeiten habe, alles zu machen. Das macht es so schwierig, das Fatigue zu akzeptieren. Das Problem ist, dass die Ressourcen so gering und nicht zuverlässig abrufbar sind.
Wenn ich mit Menschen kommuniziere, ist das zwar sehr kräfteraubend für mich. Aber der Schalter legt sich in dieser Zeit nicht um. Die Quittung für diese Anstrengung kriege ich in den Tagen danach – oder wenn ich weit über meine Grenzen gegangen bin – direkt danach und auch die folgenden Tage bis hin zu Wochen bis hin zu dauerhafter Verstärkung der Einschränkungen. In einem solchen Fall bin ich direkt danach ziemlich orientierungslos – und wenn ich mich dann schließlich hingelegt habe, bis hin zur Bewegungsunfähigkeit erschöpft. Selbst ein Gang zur Toilette oder das Jucken an der Nase ist dann nicht mehr möglich.
Mein geliebter Beruf (Unterricht) bereitet mir nach wie vor riesige Freude. Deswegen arbeite ich noch zwei bis drei Stunden im Monat – mehr ist leider nicht mehr möglich. Ich musste über die Jahre immer weiter reduzieren und hoffe sehr, dass mir wenigstens das erhalten bleibt. Nach der OP in 2011 hatte ich versucht, meine Arbeitszeit langsam hochzufahren. Ich war sehr optimistisch – immerhin hatte man mir gesagt, dass alles entfernt ist (Zyste mit Raumforderung im Temporallappen) und die Untersuchung ergeben habe, dass das entfernte Gewebe nicht bösartig war. Man machte mir sogar die Hoffnung, dass meine Epilepsie geheilt sein könnte. Stattdessen habe ich die ersten vier Jahre nach der OP wahnsinnig viel geschlafen – bis zu 20 h am Tag. Ich war andauernd fürchterlich erschöpft. Das Arbeitspensum, das ich geleistet habe, lag weit über meinen Kapazitäten. Aber kein Arzt bremste mich, obwohl ich verzweifelt von meiner starken Erschöpfung berichtete. Ich weitete also langsam meine Arbeit aus – schaffte in einem Monat sogar fast 60 Stunden (insgesamt in dem Monat) – verbrachte aber die restliche Zeit zumeist schlafend im Bett und bekam schließlich Grand Male Anfälle. Ein größerer Urlaub brachte keine Verbesserung. Ein fürchterlicher Kreislauf begann: Ging ich über die Grenze meiner Belastbarkeit, so war die bittere Konsequenz oft, dass diese Grenze weiter sank. Passte ich mein Arbeitspensum weiter an, lag dies trotz Reduktion plötzlich wieder über dieser neuen niedrigeren Grenze und löste eine weitere Verschlechterung aus usw..
Ich habe in den letzten Jahren gelernt und auch akzeptieren gelernt, dass ich nichts erzwingen kann. Sobald gerade etwas geht, nutze ich die Zeit entsprechend. Erzwinge ich etwas, so ist die Konsequenz, dass ich über den Tag deutlich weniger erledigen kann.
Ich habe bei alledem sehr viel Glück: Mein Mann, der mir trotz meiner Veränderungen die Treue hält. Er entlastet mich, wo er nur kann, da er weiß, dass meine Ressourcen arg begrenzt sind und selbst das Aufhängen von Wäsche und das Ausräumen des Geschirrspülers schon meine verfügbare Tagesenergie auffressen können. Das bedeutet, dass er neben einem Vollzeitberuf und 2 h täglichem Pendeln auch noch so weit wie möglich den Haushalt macht. Ich mache mir wirklich Sorgen, da er absolut am Limit agiert. Von der Pflegekasse (Pflegestufe 1) bekommen wir für zwei mal zwei Stunden im Monat eine Haushaltshilfe. Eine weitere Haushaltshilfe einstellen ist für mich schwierig, da ich so gesund aussehe und dann faul wirke, während jemand anderes den Haushalt schmeißt. Zudem ist es für mich sehr anstrengend, jemand um mich herum zu haben, zu koordinieren, was getan werden sollte und gegebenenfalls zu kommunizieren, obwohl ich gerade dringend schlafen müsste, was evtl. gar nicht geht, wenn gerade jemand im Haus ist.
Des weiteren hat mein Mann – ohne mir je ein schlechtes Gefühl zu geben – finanziell alles übernommen, als mein Einkommen mehr und mehr wegbrach. Da ich lange an der Hoffnung festgeklammert habe, wieder (ausreichend) gesund zu werden und die Vorstellung von Berufsunfähigkeit für mich der größte Horror war, habe ich Berufsunfähigkeitsrente erst sehr spät beantragt. Und die Versicherung hat nachdem alle Unterlagen vorlagen noch anderthalb Jahre verstreichen lassen, bevor sie die erste Zahlung geleistet hat.
Aber ich habe eine sehr gute Hilfe für die Versorgung meiner Tiere (was ich früher mit Freude selber gemacht habe). Sie hat selber schon einmal ein Burnout gehabt und hat echtes Verständnis für meine Situation.
Ebenfalls als großes Glück sehe ich es, dass ich Sport treiben kann, Urlaub machen kann und dass ich meine Tiere habe.
Die größte Belastung für mich ist meine Berufsunfähigkeitsversicherung, mit der ich wegen Nachzahlungen vor Gericht bin. Ich war neun Monate nach Vorlage aller Unterlagen begutachtet worden und die Versicherung hat – nach monatelanger weiterer Verzögerung vor dem Leistungsentscheid – den Tag der Begutachtung als Anerkennungszeitpunkt festgelegt. Das, was mir meine Versicherung seit über vier Jahren an Stress bereitet, raubt mir deutlich mehr Energie als ich zur Verfügung habe und war in den letzten Jahren der wesentliche Faktor, der meine Gesundheit weiter zerstört hat. Leider ist nach wie vor kein Ende abzusehen. Die Zahlung im Erfolgsfall kann nicht mal ansatzweise aufwiegen, was mich der Stress gesundheitlich gekostet hat.