Hallo Sira,
Bei einer bestimmten Lage des Meningeoms im Gehirn kann es bereits vor der OP, aber auf jeden Fall nach der OP zu Wesensveränderungen kommen.
Hirnregionen, die die Persönlichkeitsstruktur bestimmen, befinden sich (meist?) im vorderen Hirnbereich, also etwa hinter der Stirn, im vorderen Oberkopf.
Zur Persönlichkeitsstruktur gehören auch solchen Fähigkeiten wie Orientierung, Aufmerksamkeit, Antrieb, Sprache, Kommunikation, Kurz- und Langzeitgedächtnis, Wahrnehmung, Reaktion, Planen, zielgerichtetes Handeln und - bei Deiner Mutter wohl besonders - die Einsicht und die Stimmungslage.
Bei manchen Patienten ändert sich ihr Wesen von einem dominanten und mitunter aggressiven Verhalten zu einem ruhigen, einsichtigen Wesen, bei Deiner Mutter scheint es leider umgekehrt zu sein.
Sie ist vorwurfsvoll, beleidigend, uneinsichtig, mitunter aggressiv geworden. Für ihren Mann und ihre Familie ist das sehr schwer zu ertragen, weil keiner sie bisher so kannte und es für all diese Reaktionen keinen Anlass gibt.
Die Ursache ist der Tumor und seine Entfernung!
Das dürft Ihr nie vergessen!
Ich denke, dass sie psychotherapeutisch langfristig betreut werden muss.
Da es meist nicht schnell geht, selbst einen Psychotherapeuten zu finden, der sich gut auf Deine Mutter einstellen kann und sie ihn auch akzeptiert, wäre die Hilfe durch den Hausarzt und die Krankenkasse (und evtl. einen Neurologen) der erste Schritt.
Das Problem kann sein, dass Deine Mutter keine solche Therapie möchte, weil sie es nicht einsieht, nicht einsehen kann (!), dass sie diese Unterstützung braucht.
Dann dürft Ihr sie keinesfalls dazu zwingen.
Ein Arzt als "fremde Person" könnte ihr das vielleicht anders und erfolgreicher vermitteln.
Wie geht man mit Eurer so veränderten Mutter, die immer noch Eure liebe Mutti und Ehefrau ist, um?
Versucht, alle Äußerungen zu ignorieren, die aus Eurer Sicht grundlos vorwurfsvoll, uneinsichtig oder aggressiv sind.
Auch wenn sie Sachen nicht findet, geht darüber hinweg, holt sie oder zeigt sie ihr, wenn sie darauf besteht.
Reagiert immer ruhig, rücksichtsvoll und vergesst nie, dass dieses Verhalten vom Tumor erzeugt wurde.
Sie kann nichts dafür.
Sie hat keine Schuld!
Solange sie "nur" mit Worten so anders reagiert, ist es schwer genug, es auszuhalten, aber es ist möglich. Vielleicht muss man sich manchmal der Situation entziehen, indem man das Zimmer verlässt oder die Wohnung.
Das sollte man ohne schlechtes Gewissen wirklich tun und sich woanders, allein oder bei Freunden aussprechen und sich dadurch abreagieren.
Woanders seinen eigenen Interessen mit anderen Menschen nachgehen ist ganz wichtig, ob Sport, Chor, Werkstatt oder etwas Neues beginnen.
Gute Bekannte sollten gebeten werden, sich ( falls es nötig ist), sich für einige Zeit bei ihr aufzuhalten, damit man selbst "raus kann".
Und zwar nicht erst im "Ernstfall", sondern so als Regelmäßigkeit, damit sie sich darauf einstellen kann.
Versucht, einen ganz normalen Tagesablauf einzuhalten, ihr schöne Dinge hinzustellen und mitzubringen, nette Sachen zu sagen, sie oft zu loben und ihr für die kleinste Kleinigkeit zu danken.
Schwierig würde es werden, wenn sie körperlich aggressiv reagiert.
Dann muss man es ihr sagen, dass sie gerade unangemessen agiert. Denn es kann eine Gefahr für alle, auch für sie selbst, daraus entstehen.
War sie eigentlich in einer Rehaklinik?
Gerade diese Wesensveränderung ist ein ganz wichtiger Grund, sie in einer (unbedingt!) psychosomatischen Reha "auf den Weg zu bringen", psychotherapeutische Hilfen in den verschiedensten Varianten kennenzulernen, auszuwählen und sie zu akzeptieren.
(Ich selbst habe damit äußerst gute Erfahrungen gemacht, benötige aber tatsächlich dauerhafte psychische Unterstützung, 1-2mal wöchentlich.)
Eine solche Reha kann über den Hausarzt oder einen Facharzt beantragt und begründet werden. Dort können auch die Angehörigen "Hilfe zur Selbsthilfe" erhalten.
Schaut auch in Eurer Umgebung, ob es Hilfsangebote gibt, z.B. Selbsthilfegruppen für psychisch Erkrankte, für Hirntumorbetroffene, evtl. für Demenz. Dort können auch immer Angehörige teilnehmen.
Ihr könnt auch die DHH kontaktieren. (Kontaktdaten: www.hirntumorhilfe.de)
(Diese erhöhte Geräuschempfindlichkeit kenne ich auch. Mitunter denke ich draußen, es geht jemand hinter mir, dabei höre ich mich selbst. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich daran gewöhnen könnte.)
Ich wünsche Euch enorm viel Kraft für den Umgang mit Eurer veränderten, aber immer noch Eurer lieben Mutti und Ehefrau!
KaSy