Glioblastom: Hype um Methadon
4. Juli 2017, dockcheck news
Glioblastome gehören zu den Krebserkrankungen mit besonders schlechter Prognose. Medienberichte wecken in Patienten nun die Hoffnung, Methadon könnte ihnen helfen. Sollten Ärzte einen Behandlungsversuch wagen oder besser auf neue Studien warten?
In den letzten Monaten haben etliche Formate, darunter BR, NDR, Tagesschau.de oder Stern TV, von sensationellen Behandlungserfolgen durch Methadon berichtet. Dabei ging es häufig um Glioblastome, bei denen Onkologen kaum Möglichkeiten zur Intervention haben. Patienten klammern sich an jeden Strohhalm. Wie sollten Ärzte jetzt handeln?
Dr. Julia Onken von der Charité Berlin und Dr. Claudia Friesen von der Uniklinik Ulm haben Daten von 27 Patienten mit Gliom ausgewertet. Sie erhielten neben Temozolomid, Lomustin (CCNU) sowie Bevacizumab im Rahmen eines individuellen Heilversuchs Methadon zur Unterstützung der Chemotherapie. Die Dosis wurde von fünf auf bis zu 35 Milligramm pro Tag gesteigert.
Vegetative Nebenwirkungen wie Tachykardie oder Unruhe oder Interaktionen traten nicht auf. Hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens innerhalb von sechs Monaten sehen Onken und ihre Kollegen keine Unterschiede, verglichen mit älteren Daten ohne Methadon.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Dr. Reddy Akhila vom University of Texas MD Anderson Cancer Center. Sie verglich bei einer retrospektiven Studie das Gesamtüberleben von 164 Patienten. Teilnehmer erhielten Methadon oder andere Opioide. Signifikante Unterschiede ließen sich auch hier nicht nachweisen. Sowohl Onken als auch Akhila schreiben einschränkend, dies sei aufgrund des retrospektiven Studiendesigns, der geringen Patientenzahl und der heterogenen Population auch kaum möglich.
Mit der Thematik befasst sich Friesen schon seit Jahren. Bei einer Arbeit im Labor mit Glioblastoma-Zellen zeigte sie, welche Effekte auftraten. Ausgangspunkt war, dass Methadon als Agonist an µ- und κ-Opioid-Rezeptoren wirkt. Deren Aktivierung kann zur Apoptose führen. Zwar haben viele Tumorentitäten eine erhöhte Rezeptordichte. Für die Behandlung sind es jedoch zu wenige Bindungsstellen. Setzen Onkologen Chemo- und Strahlentherapien ein, erhöht sich die Rezeptordichte allerdings, und Methadon kann wirken.
Bindet das synthetische Opioid an Rezeptoren, werden diese aktiviert. Das führt zur vermehrten Aktivität des Gi-Proteins und zur verminderten Aktivität der Adenylatzyklase. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Konzentration an zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP) verringert sich. „Dadurch werden Krebszellen empfindlicher gegenüber der Chemotherapie“, schreibt Friesen im Artikel. Methadon hemmt ebenfalls das P-Glycoprotein-abhängige Ausschleusen von Zytostatika aus Krebszellen und beugt damit Resistenzen vor. Im Labor wirken Zytostatika besser. Wie es bei Patienten aussieht, bleibt offen.
Daten nicht automatisch auf Patienten übertragbar
Angesichts der fehlenden Daten aus klinischen Studien bemüht sich die Uniklinik Ulm, Sachverhalte klarzustellen. In einer Meldung heißt es: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von der Arbeitsgruppe der Molekularbiologin Frau Dr. Friesen am Institut für Rechtsmedizin der Universität Ulm erhoben wurden, beziehen sich ausschließlich auf vorklinische Experimente entweder mit Zellkulturen oder tierexperimentellen Studien. Diese Daten lassen sich nicht automatisch auf die Situation beim Patienten übertragen.“ Man halte den „unkritischen Einsatz von Methadon außerhalb klinischer Studien für nicht gerechtfertigt“.
Professor Dr. Wolfgang Wick warnte bei Stern TV Ärzte, Betroffenen vorschnell falsche Hoffnungen zu machen: Berichte von Krebspatienten, denen mit Methadon geholfen wurde, seien „kritisch zu betrachten“, sagte der Experte der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft in der Deutschen Krebsgesellschaft. „Um Methadon flächendeckend einzusetzen, fehlt die Grundlage.“ Zusammen mit Professor Dr. Ralf Gold von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat Wick deshalb eine Stellungnahme veröffentlicht. Beide Fachgesellschaften raten vom Einsatz des vermeintlichen Wundermedikaments ab.
Zu einem ähnlichen Fazit kommt die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO): „Die vorgelegten Daten zur Wirksamkeit von Methadon bei Patienten mit Gliomen beruhen auf einer einzigen, unkontrollierten Studie. Diese Daten müssen in kontrollierten Studien überprüft werden, idealerweise in einer randomisierten Studie, alternativ in einer Fall-Kontroll-Studie.“ Auf Basis der vorliegenden Daten sei eine unkritische Off-Label-Anwendung von Methadon nicht gerechtfertigt.
Patienten leben zwei bis drei Jahre länger
Dr. Hans-Jörg Hilscher vom Hospiz Mutter Teresa in Iserlohn teilt diese Skepsis nicht. „Die Menschen in meinem Hospiz leben dramatisch viel länger als in anderen Hospizen und ich habe überlegt, woran das liegen könnte“, erklärt er gegenüber Medscape. „Bei etwa zwei Drittel der Patienten gehen die Tumoren zurück oder verschwinden sogar. Bei dem anderen Drittel steigen zumindest Überlebenszeit und Lebensqualität.“
Patienten mit Glioblastomen seien bislang nach rund zwei Jahren gestorben. Unter Methadontherapie lebten sie nun vier bis fünf Jahre und würden im Zweifel an radiogener Demenz sterben. „Es ist schon bitter, zu sehen, dass die Patienten keine Tumoren mehr haben, aber dann an den Nebenwirkungen der Radiotherapie sterben“, ergänzt Hilscher. Hier handelt es sich nur um Fallberichte, nicht um klinische Untersuchungen.
Mit dem Rücken zur Wand
Damit ist die Sachlage mehr als verzwickt. Einerseits fehlen hochwertige Studien, andererseits deuten Labordaten und Fallberichte auf mögliche Effekte hin. Wick: „Die vielen Patientenberichte rechtfertigen, dass wir uns Gedanken machen, wie wir das Ganze klinisch weiterentwickeln.“ Er ergänzt: „Die Studie haben wir beantragt.“ Dann habe man „hoffentlich in drei Jahren seriöse Daten für die Therapie.“
Der Aktionismus zum jetzigen Zeitpunkt überrascht. Vor rund zehn Jahren fand Friesen erste Erkenntnisse, dass Methadon Krebszellen absterben lassen könnte. Seither ist wenig passiert. „Wenn Methadon seine zwölf Euro für vier bis sechs Wochen kostet und in Konkurrenz zu einem Medikament mit 20.000 oder 25.000 Euro steht, kann ich mir vorstellen, dass Methadon keine Chance hat“, sagt die Wissenschaftlerin. Das Opioid ist nicht mehr patentfähig und damit für „Big Pharma“ uninteressant.
Betroffene werden Ergebnisse der geplanten Studie kaum erleben. Beim Glioblastom schwankt die mittlere Überlebenszeit zwischen acht und 17 Monaten. Angesichts mangelnder Alternativen haben Ärzte jedoch die Möglichkeit, Methadon off label einzusetzen. Um später den Vorwurf eines Behandlungsfehlers zu vermeiden, sollten sie zu Beginn die medizinische Begründung und das Einverständnis ihrer Patienten dokumentieren. Später können sie Erkrankte auch für klinische Studien vorschlagen.
Bei Methadon, einem alten, gut untersuchten Wirkstoff, ist das medizinische Risiko verglichen mit neuen Molekülen als gering einzustufen. Auch die Kosten halten sich im Rahmen, falls GKVen keine Kosten übernehmen sollten.
Quelle: http://news.doccheck.com/de/179188/glioblastom-hype-um-methadon/