Bei meinem Vater (61) hat uns die Diagnose letztes Jahr im Juni erschüttert. Er wurde operiert, bestrahlt und bekam eine Chemo, die war im Oktober vorbei. Da hatte er schon seit Wochen Schmerzen im Bein. Er wollte das den Ärzten, bei denen er noch zur Chemo war, nicht sagen. Schließlich mochte mein Vater nie jammern oder über Krankheiten reden. Außerdem machten ihm da Sprachstörungen schon wieder sehr zu schaffen, bei ihm sitzt der Tumor nämlich im Sprachzentrum. Meine Mutter und ich hatten diese Bein-Schmerzen bei der betreuenden Ärztin angesprochen: Muskelzerrung hieß es lapidar, aber die Ärztin hat sich das Bein nicht mal angesehen. Wir haben meinen Vater schließlich zu einem Gefäßspezialisten geschleppt und von dort gings gleich mit Tatütata in die Klinik: Thrombose über drei Etagen. Ich bin heute noch so wütend... Zusätzliche Krankenhaus-Erfahrungen, tägliche Spritzen und reichlich Schinderei mit den Stützstrümpfen, genau das, was man als Hirntumor-Patient noch braucht. Inzwischen waren wir auch völlig fertig, weil mein Vater kaum noch reden konnte. Das MRT im November ließ uns noch Hoffnung: kein Tumorwachstum, "nur" ein Ödem. Mein Vater kam wieder für eine Woche ins Krankenhaus an einen Osmofundyn-Tropf. Das hat sofort geholfen. Schon am nächsten Tag hat er wieder erzählt und erzählt... Dann im Dezember hatte er plötzlich ganz große Schmerzen im Rücken. Bei uns schrillten sofort alle Alarmglocken - ein Arzt hatte uns mal etwas von Abtropf-Methastasen an der Wirbelsäule erzählt. Nach quälenden Wochen Wartezeit brachte das MRT dann Entwarnung: "nur" Abnutzung, problematisch sicher durch den Muskelabbau durch das hochdosierte Cortison. Im Februar dann ein kleiner Infekt - wir hatten ihn alle - nur mein Vater bekam ein Antibiotikum und er reagierte mit einer fürchterlich juckenden Allergie am ganzen Körper. Das dauerte ewig. Im nachhinein ist mir mein Zeitgefühl etwas verloren gegangen, aber es waren bestimmt zwei Wochen und das war die einzige Zeit, in der er wirklich jammerte. Sonst hat er immer alles ganz prima weggesteckt, obwohl er oft schwach und müde war. Ich überlege gerade, ob Claudias Beobachtungen sich vielleicht verallgemeinern lassen und Glioblastom-Patienten generell ein "eingeschränktes Beurteilungsvermögen" bekommen. Wäre mir ein Trost. Mein Vater hat nie über seine Krankheit oder über den Tod sprechen wollen. Naja. Seit Ende März ging es dann bei uns ziemlich schnell bergab, erst Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen, dann sind schnell alle Funktionen schwächer geworden, erst konnte er nicht mehr laufen, dann nicht mehr aufstehen, dann nicht mehr schlucken. Nur sein Wille all das zu tun blieb stark und hat uns die Betreuung schwer gemacht. Heute vor einer Woche haben wir ihn ins Hospitz gegeben. Und meine Mutter hat große Schuldgefühle, obwohl sie den ganzen Tag dort bei meinem Vater sitzt. Er kann uns jetzt nicht mehr zeigen, was ihm gut tut und schläft fast die ganze Zeit. Die Arme und Beine tun ihm sehr weh, darum bekommt er Morphium. Anja