Hallo Peter, die Therapie mit Nanopartikeln ist noch nicht spruchreif. Wurde denn überhaupt schon jemals ein Mensch mit Hirntumor damit behandelt? Den folgenden etwas aktuelleren Artikel fand ich in der Zeit.
DIE ZEIT Wissen 09/2002
Heilen mit feinem Korn
Nanopartikel transportieren Gene und Medikamente zielgerichtet in erkrankte Gewebe
von Achim Wüstho
So sollen Nanomedizin bei Hirntumor wirken: Eisenbeladene Partikel wandern
in die Geschwulst und dienen zu deren Überhitzung
Winzige Teilchen machen Fensterscheiben auf Knopfdruck undurchsichtig, verwandeln Stroh und Hanf in knüppelharte Baustoffe, verleihen Kunststoffen und Lacken kratzfeste Hüllen, lassen Tablettenpulver besser fließen, bevor es gepresst wird. Feinste Partikel, nur wenige milliardstel Meter (Nanometer) klein und erst unter dem Elektronenmikroskop sichtbar, gewinnen nicht nur als Werkstoffe in Chemie und Technik ( ZEIT Nr. 8/02: "Goldgräber im Zwergenreich" ) an Bedeutung, sondern auch in der Medizin. Richtig eingesetzt, können die Nanopartikel Medikamente oder neues Erbgut in kranke Zellen und Gewebe schleusen, Tumoren zerstören oder Krankheitserreger frühzeitig entdecken helfen.
"Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Nanotechnologie. Jetzt liegen wir plötzlich im Trend", freut sich Claus Michael Lehr, Biopharmazeut von der Universität des Saarlandes, über das Lob, das Ende Dezember die Fachzeitschrift Science verteilte: Sie feierte die Nanotechnik schlicht als "Durchbruch des Jahres". Lehr experimentiert mit Nanoteilchen und sieht in der pharmazeutischen Nanotechnologie ein vielversprechendes Konzept für die Gentherapie. Seine Partikel sollen heilende Gene in kranke Zellen schleusen. "Wir verwenden ganz profane Silikapartikel, auf die sich die DNA wie Spaghetti aufrollen lässt", erklärt er. Die so beladenen Nanopartikel dienen dann als Taxi oder Fähre. In Versuchen an Ratten schmuggelten sie jedenfalls DNA erfolgreich ins Zellinnere.
Die smarten "Staubkörner" bezieht Lehr vom Saarbrücker Institut für Neue Materialien (INM). Chemische Tricks sorgen dafür, dass die winzigen Partikel DNA magisch anziehen - sie sind positiv geladen, die Erbsubstanz negativ. Aus den befrachteten Partikeln bilden sich kleine "Knäuel", und die machen sich als so genannte Nanoplexe auf die Reise in den Zellkern. Elektrostatische Effekte helfen auch hier - doch wie das alles genau vonstatten geht, kann Lehr selbst nicht erklären. Die Methode funktioniert. Davon zeugen Teströhrchen, die sich bei der Untersuchung der Zellen blau färben. Und das tun sie nur, wenn ein Enzym richtig arbeitet. Genau das zugehörige Gen für dieses Enzym hatte Lehr mit den Nanopartikeln in die Zellen geschleust.
Solches Einschleusen von DNA mit dem Ziel einer Gentherapie ist heute noch ein Wagnis. Ein Versuch in den USA, der Viren als Genfähren benutzte, um eine Erbkrankheit zu kurieren, endete mit dem Tod des Patienten. Seitdem sieht Lehr wachsende Chancen für seine Methode: "Viren sind zwar beim Transport von Genen effizienter, aber viel gefährlicher." Allerdings räumt er ein, dass er die Risiken seiner Nanotechnik auch noch nicht voll überschaut. Seinen Zellkulturen schadet es jedenfalls nicht, wenn sie DNA-beladene Staubkörnchen in sich aufnehmen. Dies deutet auf gute Verträglichkeit hin. Wie jedoch der menschliche Organismus darauf reagiert, ist noch unklar, zumal die Substanzen kaum abgebaut oder ausgeschieden werden. Manchmal kann es sogar vorteilhaft sein, wenn Nanopartikel lange im Körper verweilen.
So hofft der Neurochirurg Klaus Maier-Hauff vom Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, mit eisenbeladenen Partikeln bösartige Hirntumoren künftig besser zu bekämpfen. Zusätzlich könnte das Anreichern der Krebszellen mit Eisenpartikeln beim Aufspüren von Metastasen helfen. Immerhin gelingt es, jeder Zelle rund eine Million Partikel einzuschleusen. Und die Tumorzellen geben bei ihrer Teilung das Metall an Tochterzellen weiter - alle folgenden Generationen sind markiert und lassen sich auf ihrem Weg durch den Körper verfolgen.
Angeln in der Blutprobe
Die Therapie mit den Eisenteilchen soll wie folgt verlaufen: Meist kommen die gefürchteten Rückfälle aus Randgebieten des Tumors, wo das Skalpell die bösartigen Zellen nicht vollkommen entfernt hat. Maier-Hauff spritzt bei Versuchstieren eisenbeladene Partikel in dieses kritische Gebiet - während einer Operation oder, vom Computer geleitet, durch den Schädel in den Tumor selbst. Dann setzt er den Kopf seiner Ratten oder Hunde einem starken Wechselmagnetfeld aus. Das versetzt die magnetischen Eisenteilchen kräftig in Bewegung, die Temperatur der eisenhaltigen Zellen klettert auf 42 bis 47 Grad - eine so genannte Magnetic Fluid Hyperthermia (MFH). "Die zerstört zwar nicht den Krebs, doch die bösartigen Zellen werden empfindlicher für die anschließende Chemo- oder Radiotherapie", sagt Maier-Hauff. Ende des Jahres soll die Nanotherapie in die klinische Erprobung gehen. Er kooperiert dabei eng mit dem Biologen Andreas Jordan, der zusammen mit dem Saarbrücker INM diese Therapie bis zur Einsatzreife entwickelt hat. Jordan hat jetzt in Berlin das Centrum für Biomedizinische Nanotechnologie (CBN) und zwei Firmen gegründet, um das Verfahren voranzubringen.
Ein diagnostischer Durchbruch mit magnetischen Nanopartikeln ist Forschern von Roche Diagnostics und vom Saarbrücker INM gelungen. Sie erhielten im vergangenen Jahr ein US-Patent für den empfindlichen Nachweis von Erbmaterial in Blutproben. Das Verfahren kann Aids-Viren oder Tumorzellen nachweisen. Die Schlüsselfrage lautete dabei: Wie lässt sich Erbgut, sei es DNA oder RNA (von Aidsviren), in extrem geringen Mengen möglichst rein aus einer Blutprobe fischen? In jahrelanger Kooperation entwickelten die Saarbrücker Forscher und ihre Kollegen bei Roche winzige gläserne Partikel, die DNA- oder RNA-Stücke an sich ziehen. Sechs sorgfältig komponierte Metalloxide auf der Partikeloberfläche bewirken das, und auch hier bleibt ein Schuss Quantenmagie. "Wie das Phänomen genau zustande kommt, ist noch unklar", sagt Roche-Chemiker Herbert Harttig. "Da wirken chemische und physikalische Bindungskräfte zusammen." Nach dem Einfangen der Genketten spielen die Teilchendompteure ihren zweiten Trumpf aus. Sie können die Partikel auf Knopfdruck magnetisch machen. Dadurch lassen sie sich samt ihrer Fracht aus der Blutprobe fischen und so von Verunreinigungen trennen. Forscher können die Entwicklung schon heute nutzen: Roche Diagnostics bietet Automaten und Reagenzkits an, mit denen sich nicht nur Aids-Viren, sondern eine breite Palette weiterer Krankheitserreger bis hin zu Tumorzellen sehr empfindlich nachweisen lassen.
Inzwischen kann man Nanopartikel auch so herrichten, dass sie eine besondere Vorliebe für eine spezifische Umgebung entwickeln und Medikamente gezielter an ihren Einsatzort bringen. Der Biopharmazeut Lehr setzt Polymer-Nanopartikel als Transportsystem für entzündungshemmende Arzneimittel ein. Schon jetzt zeigt die Nanotechnik bei Ratten mit chronischer Darmentzündung so gute Erfolge, dass eine versuchsweise Anwendung beim Menschen vorgesehen ist. "Wir konnten eine deutliche Verbesserung der Wirkungsdauer des Medikamentes erzielen, ohne dass die Dosis erhöht wurde", sagt Lehr. Die wirkstoffbepackten Partikel lagern sich bevorzugt an jenen Stellen ein, wo der Entzündungsprozess wütet.
Mit ähnlichen Hintergedanken versuchen Forscher der Universität Frankfurt winzige medikamentenbeladene Polymer-Partikel durch die Blut-Hirn-Schranke zu schleusen. Diese Barriere erschwert oft massiv eine effektive Behandlung des Gehirns oder macht sie gar unmöglich. Wissenschaftler der Freien Universität Berlin wollen die Transporteigenschaften von Lipiden (Fetten) nutzen, um Medikamente wirksamer einzusetzen. "Die großen Erfolge sind jedoch erst in einigen Jahren zu erwarten", sagt Uwe Hartmann, Experimentalphysiker an der Universität des Saarlandes.
Kein Wunder, dass die Nanotechnik vielerorts massiv gefördert wird. Japan und die USA schütten hierfür jeweils etwa eine halbe Milliarde Dollar jährlich aus - fast dreimal so viel wie Deutschland.
Mitarbeit: Franz Frisch