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Thema: Ich bin ein Diktator und Tyrann

Ich bin ein Diktator und Tyrann
Pipolino
02.08.2013 16:35:14
Seit meiner OP (Atrozytom III mit recht großem Ödem) bin ich der reinste Alfred Tetzlaff. Nicht dass ich meine Frau absichtlich tyrannisiere, aber ich bin sowas von ungeduldig, rastlos und meckere an allem herum. nichts kann sie mir recht machen. ich fange sofort Streit an, werde laut, mache sie für alles verantwortlich. In solchen Momenten bin ich auch fest davon überzeugt, dass sie nur Fehler macht.

Ich bekomme mich in diesen Situationen auch nicht beruhigt und muss echt befürchten, dass ich irgendwann einem Herzinfarkt erliege, wenn ich nicht runter komme. Zudem tut mir meine Frau gerade echt richtig leid, dass sie jetzt alles voll abbekommt. Ich weiß, dass sie es sehr gut mit mir meint. Sie kümmert sich um so viele Dinge, für die ich zu verpeilt bin oder auf die ich einfach gerade keinen Bock habe.

Ansonsten bin ich eigentlich ziemlich gut drauf, optimistisch und verkrafte die Strahlen-Chemotherapie bislang ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Weihrauch und kopmplementäre Präparate tun ihr Übriges zu meinem Wohlbefinden. Ich war auch vor der OP recht impulsiv, aber kann es sein, dass sich manche Gefühle in dieser Situation so extrem verstärken? Ich merke jedenfalls, dass nicht ich es bin, der so überreagiert.
Pipolino
wando
02.08.2013 16:50:13
Lieber Sascha,

der Alfred Tetzlaff war ja, zumindest für Außenstehende, immer recht amüsant - soviel dazu.

Ich kann Dich gut verstehen, daß Dich die ganze Situation, insbesondere Dein auch für Dich spürbare Wesensveränderung, belastet. Es ist ja auch nicht einfach, mit so einer Ausnahmesituation fertig zu werden, sowohl für den Betroffenen als auch für die Angehörigen.

Rede doch mit Deiner Frau über genau die Dinge, die Du hier schreibst. Ich bin mir sicher, sie wird das ganz bestimmt verstehen, obwohl es für sie nicht leicht ist. Oder, wenn Du nicht so gut über Probleme reden kannst und willst (da tun sich Männer ja meistens etwas schwerer), dann schreib ihr doch Deine Gedanken auf. Wenn man Zeit hat zu überlegen, was man schreibt und wie man es schreibt, schießt man oft nicht so mit seinen Äußerungen übers Ziel hinaus und verletzt den anderen nicht so schnell. Auch fällt es leichter, über bestimmte Dinge zu schreiben, als sie auszusprechen. Vor allem läßt man dem Partner auch eine gewisse Zeit, über das Gelesene nachdenken zu können und dann das gemeinsame Gespräch zu suchen, um auf einen Nenner kommen zu können. Probier es doch mal aus. Außerdem kannst Du Deiner Frau auch mal so kleine "Botschaften" zukommen lassen, wie froh Du bist, daß sie für Dich da ist, Du das aber manchmal nicht so zum Ausdruck bringen kannst, weil Du eben in allem sehr angespannt bist. Wichtig ist vor allem, daß Du Deine Lieben spüren läßt, wie dankbar Du bist und das Deine "Tetzlaff-Entgleisungen" nicht persönlich und bös gemeint sind.

Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Meine Mutti war schwer dement und die letzten zwei Jahre hatte sie eine totale Wesensveränderung und hatte sich von einer sehr ruhigen Frau zu einer richtigen "Furie" verwandelt. Was meinst Du was ich und ihre Umgebung alles abhalten mußten. Ich war auch oft verzweifelt und brauchte erst einmal Ruhe, wenn ich von ihr kam. Aber dann habe ich mir immer gesagt, daß ist ja eigentlich nicht die Mutti, die du von früher kennst.

Es wird bestimmt wieder besser.

Liebe Grüße.

Andrea
wando
Weihnacht
02.08.2013 16:57:04
Lieber Sascha,

ach, wie ich das kenne!

Vor der Diagnose dachte ich immer: Warum bin ich so böse?!
Auch andere fragten mich oft: Warum bist du nur so aggressiv?
Seit der Diagnose sage ich immer: Das bin nicht ich! ;-)

Immerhin bist du dir - und bin auch ich mir - bewusst, woher es kommt.

Lg Iz
Weihnacht
Felsquellwasser
02.08.2013 17:17:12
Diktator oder Tyrann
oh je Sascha ,
ja reden hilft ,dass du dich wie fremdgesteuert fühlst, die Kopf OP bewirkt leider einiges,was vorab nicht einzuschätzen ist,
da ist an deiner Schaltzentrale ,so nenne ich das Gehirn herum operiert worden es ist ein traumatisches Erlebnis,ob man will oder nicht ,es verändert dich.
Die Bestrahlung Chemos ,das hat Nebenwirkungen ,es sind nun mal Zellgifte --richtig geschrieben --,nimmst du Anfalls Schutz , ? das wirkt alles auf die Psyche,..
Wie stark und analytisch du auch vorgehen magst ,dagegen bist du erst mal machlos.
Der erste Schritt ist ,dass du es bemerkst und es in dein Bewußtein
kommt. Wie schlimm und belastend es für dich und euch ist ,könnt ihr selber am Besten einschätzen ,scheue nicht den Gang zum Psycho Onkolgen , kann sehr gut tun und entlasten.
Du hast die Chance wieder in deine Mittte zu kommen ,aber es braucht Zeit ,,es ist alles sehr **frisch**
schreibe aus eigener Erfahrung, bin 32 Monate drüber ,da geht ne Menge
100wasser
Felsquellwasser
Irmhelm
02.08.2013 17:18:13
Hallo Sascha,
auch ich kenne das. Mein Mann, Glioblastom, OP 16.01.2012, dann kombinierte Strahlen/Chemotherapie. In dieser Zeit war er auch unausstehlich.
Besonders mir gegenüber war er oft agressiv und sehr ungerecht. Meine Schwiegertochter (Krankenschwester) erklärte mir, daß er eigentlich nichts dafür könne, daß es die Krankheit sei und die Therapie bzw. Medikamente.
Ich kannte meinen Mann nicht mehr wieder, der bisher immer fürsorglich und lieb war. Aber ich habe versucht mit der Situation umzugehen, war schwer, und nach dem Ausschleichen des Kortisons wurde er auch ganz allmählich wieder der, der er früher war, nicht ganz, aber doch ziemlich annähernd. Es ist eine schwere Zeit. Heute, 19 Monate nach der OP sind wir wieder froh, daß er fast seinen früheren Zustand wieder erreicht hat. Sprich mit deiner Frau darüber, oder bitte sie diese und andere Zeilen hier zu lesen. Das hilft schon. Wünsche euch, daß dieser Zustand nicht allzulange anhält und alles Gute für den weiteren Verlauf
Irmhelm
Irmhelm
Pipolino
02.08.2013 17:29:10
Danke.. Drüber reden kann ich mit ihr. Sie weiß auch, dass ich es nicht so meine, hat ein gewisses Maß an Verständnis und ist zum Glück nie lange nachtragend. Um meine Dankbarkeit dafür und alles andere weiß sie auch.

Mich würde interessieren, welche Wesensveränderungen andere so durchgemacht haben. Ach so, Medikamente gegen Anfälle nehme ich nicht.
Pipolino
Irmhelm
02.08.2013 17:36:21
Hallo Sascha,
die gravierendse Wesensveränderung war natürlich die Agressivität. Besonders mir gegenüber, aber das ist, weil ich quasi seine Bezugsperson bin.
Unseren Söhnen gegenüber war er nicht so. Aber wie ich schon beschrieben habe, das hat sich gelegt, ist heute nicht mehr, worüber wir alle dankbar und froh sind, ich glaube er am meisten.
Ansonsten sind Veränderungen in der Denkweise, alles ist langsamer geworden, Kurzeitgedächtnis schlecht, Müdigkeit.Aber das betrachten wir alles unter Nebenwirkungen der Medikamente und der OP und Bestrahlung. Daran wird ich auch nichts mehr ändern.
LG
Irmhelm
Irmhelm
Weihnacht
02.08.2013 19:58:20
Cooles Profilbild, Sascha :-)
Weihnacht
Itti
02.08.2013 21:17:21
Hallo, ihr Lieben!
Auch ich kenne diese Aggressivität von meinem Mann (Glio IV)! Kann ihm momentan nichts recht machen - er geht bei jeder Gelegenheit auf die Palme!
Ich denke, die Situation ist für beide Seiten schwierig! Versuche, das im Alltagsleben (Arbeit) abzustreifen, was aber nicht immer klappt!
Ich für mich weiß, dass es ein Teil seiner Krankheit ist!! Heule mich dann aus, wenn er schon schläft - kein guter Weg, aber "einigermaßen praktikabel"!
Hab jetzt erst mal Urlaub und kann wieder hoffentlich etwas Kraft schöpfen!

LG Iris
Itti
Felsquellwasser
03.08.2013 15:51:54
-Agressivität
-Ohnmacht
-Wut
-Hilflosigkeit
-Konzentrationsschwäche
-rasche Ermüdung
-Stimmungsumbrüche
-Ungeduld
-Angst
-Ordnungswut
-Sensibiltät
*Liebe
*Dankbarkeit
*Leben wollen
*Das tun was so lange aufgeschoben ist
*z.B.--endlich nach Rom fliegen die schönste Stadt der Welt--
*Zeit nehmen für sich
*das Leben ordnen
fällt mir spontan ein:
gucken wer es wie mit einem wirklich meint
Konatkte lösen ,andere aufbauen
-Krankheit kann zu einer anderen Sicht auf die Dinge des Lebens fürhren
-das Forum kann eine wunderbare Stätte der Begegnung sein
100wasser
Felsquellwasser
Weihnacht
03.08.2013 15:54:55
Kurz: Das Leben ändern!
Weihnacht
gramyo
03.08.2013 16:55:44
Lieber Sascha,

die meisten hier im Forum nehmen einen Anfallsschutz, ebenso war es bei meinem Partner, dessen häufigste Nebenwirkung , entweder Agressivität oder auch depressive Zeiten mit sich bringen.

Das alles ist bei dir ja nicht der Grund , da du keinen Anfallsschutz nehmen musst. Gut, manche beschreiben eine Wesensveränderung auch bei Cortisoneinnahme.

Ich persönlich glaube und auch andere hier, sehen diese Wesensveränderungen als eine Situation an, die ja durch den Tumor und Operation und Chemo - Strahlenbehandlung hervorgerufen wird.

Es hat ja definitiv dein Leben und das Leben deiner Lieben vollkommen verändert. Wie 100wasser schon oben geschrieben hat, ist ja dein "bemerken" der Veränderung schon ein guter Weg !

Dass meinte ich mit "friedvoll kämpfend".
Die Situation erkennen, in sich gehen und LANGSAM einen Weg daraus finden und
NIE vergessen, dass es da Menschen gibt , die ein einfach LIEBEN.

Ein wunderschönes , entspanntes Wochenende mit nicht so heißen Temperaturen
wünschen wir dir und deiner Frau und allen die dich lieben.
Gramyo und ihr Mann, der einen wunderschönen Platz
in ihrem Herzen und Leben einnimmt
gramyo
Felsquellwasser
03.08.2013 17:00:47
@gramyo
so schön deine Worte
dir und deinem Mann,der seinen Platz in deinem Herzen hat
ein entspanntes Lebensbejahendes Wochenende
--alllen anderen --die im Schatten sitzend oder planschen oder sich sonnen--das Wochenende genießen--
Liebe Grüße
100wasser
Felsquellwasser
Medea
05.08.2013 08:35:12
Hallo Sascha,

Meine Geschichte kannst du unten lesen.
Ich nehme allerdings auch seit dem ersten Tag eine kleine Dosis Keppra, wovon man auch leicht Aggresssiv wird.

Ich bin ein ganz friedfertiger Mensch. Und muss mich seit der Diagnose und OP sehr oft am Riemen reissen. manchmal da klappt es nicht, da werde ich ungerecht und fies, etwas was ich sonst von mir nicht kannte und was mich dann auch immer wieder total erschreckt.
mein Mann geht damit ganz souverän um, obwohl er sich sicher oft ungerecht behandelt vorkommt.
Ich führe das ganze eigentlich auf vieles zurück, einmal die Chemo, das Keppra. sicher aber auch der Stress den mein Hirn durch die OP hatte. Aber vor allem auch die Belastungen die wir in den letzten Monaten durchmachen müssen. ständig Entscheidungen fällen, Ärzte aufsuchen, andere Ärzte aufsuchen...... Etc.
Allen immer berichten ( habe deshalb für meine engen Freunde einen Blog, damit ich nicht immer alle anrufen muss)

Ich arbeite voll und versuche auch sonst mein normales Leben zu führen, aber manchmal reicht die Kraft eben nicht und dannn tickt man aus....
Denke man muss das von Tag zu Tag wieder neu angehen und mit sich selbst auch Geduld haben.

Viel Kraft und vor allem auch mal Lachen, das hilft Agressionen abzubauen

Gruss Medea


oligoastrozytom III, erkannt Anfang Januar 2013' OP Februar 2013' status, geht mir aktuell sehr gut , stecke jetzt in der PCV Chemo, vertrage sie gut, arbeite voll
Medea
Geko100
05.08.2013 09:56:51
Hallo Sascha ! Ich hatte meine Wesenveränderung ( vor meiner ersten OP 2009 ) selbst nicht bemerkt , leider !! ich dachte nur , das alle anderen gegen mich sind , selbst einen Gag von meinen besten Freunden hatte ich missverstanden. Der OP-Arzt sprach dann mal mit meiner Frau , die mir dann sagte , dass sie es jetzt versteht , dass ich mich oft wie ein A...loch benommen habe. Wahrscheinlich ist jetzt alles in " Butter " . Es gab zumindest keine " Beschwerden " . Meine Frau weis jetzt , das sie nun mit mir darüber reden soll , falls ich wieder " rückfällig werden sollte. Zumindest schiebe ich es dann auf meine Tumor und spreche auch mit meinen Neurologen darüber . Versprochen !! Wünsche Dir und Deiner Familie alles Gute !!! Geko
Geko100
Kämpfernatur
05.08.2013 23:11:42
Lieber Sascha,
bevor bei meiner Mama vor 5 Wochen das Glioblastom diagnostiziert wurde, hatte sie sich schon leicht verändert. Mal abgesehen von Konzentrationsschwäche etc. pp. Empfand ich sie irgendwie ungeduldig und schnell genervt. Jetzt, nach OP und vor irgendeiner Behandlung ist der Stand so, dass sich das alles verschlimmert hat. Sie ist mega ungeduldig, pöbelt richtig wenn ihr was nicht passt, ihr ist sehr viel egal geworden wo sie "vorher" aber sehr großen Wert gelegt hat, benutzt auch Wörter, die sie in ihren 61 Jahren nie benutzt hatte und kann auch echt unfair werden.

Da sie keinerlei Medikamente nimmt, noch nicht mal Kortison, und es vor der OP in abgeschwächter Form schon anfing, kann es eigentlich nur am Tumor selbst liegen. Dieser schädigt ja gesunde Zelle und wenn das Persönlichkeitszentrum in der Nähe oder gar betroffen ist, dann tut die OP ihr Übriges.

Ich bin mir aber sicher, dass deine Frau sehr genau weiß, dass du das nicht böse meinst. Jeder Angehörige, der sich mit der Krankheit seines Lieben auseinandersetzt, kriegt das irgendwo zu erfahren. Ich kläre zum Beispiel andere auf, wo ich mir ziemlich sicher bin, dass die das nicht wissen, wenn meine Mama mal wieder "komisch" wird. Ich will ja nicht das jemand ein schlechtes Bild ungerechtfertigterweise von ihr bekommt.
Also, mach dir mal keine Sorgen - deine Liebste weiß um den Umstand, sie spürt deine Liebe und deine Hilflosigkeit dieser Sache gegenüber. Auch wenn es vielleicht manchmal weh tut, wird sie runterschlucken aber eben wissen, dass das eben nicht du sondern der Feind in deinen Kopf war!

Ich wünsche Dir und deiner Frau weiterhin viel Kraft, Verständnis, Liebe und dir natürlich vorallem Gesundheit und Wohlbefinden!
Kämpfernatur
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