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Baghira

Guten Morgen,
ich muss zu meiner Frage hier etwas ausholen, damit alle Punkte zu meiner Krankheit/Beeinträchtigung aufgeführt sind.
Im Mai 1994 hatte ich bedingt durch einen Autounfall ein Schädelhirntrauma. Daraus resultiert eine anerkannte Behinderung von 40 %. Die Beeinträchtigung ist wie folgt: Diskrete Halbseitensymtomatik links mit Störung der Feinkoordination, leichte Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen, Sensibilitätsstörungen der linken Unterlippe, Aufhebung des Geruchsvermögen.
Nach 1,5 Jahren Krankenstand war ich damals wieder in der Lage einer Vollzeitbeschäftigung nachzugehen. Habe gelernt mit meinen Beeinträchtigungen zu Leben und sogar in 2008 meine Prüfung zur Bilanzbuchhalterin IHK erfolgreich abgelegt. Die Lernerei ist zwar eine Qual für mich, aber ich kann meine Kräfte gut einteilen und dann funktioniert fast alles. Bin zur Zeit in einer Firma als Leitung Finanz- und Personalwesen tätig. Im Dezember 2014 wurde bei meinem Ehemann (wir hatten erst im Oktober 2014 geheiratet) Krebs diagnostiziert. Nach einem schlimmen Jahr hat er Ende November 2015 den Kampf gegen diese Krankheit verloren.
Ich wollte zeitnah wieder berufstätig sein und habe bereits Anfang Januar mit der Wiedereingliederung begonnen. Es hat aber nichts funktioniert; ich konnte meine Arbeit nicht mehr erledigen. Es war als müßte ich in einer fremden Sprache arbeiten. Das war mir bereits im Vorjahr aufgefallen, ich habe dies aber auf die außergewöhnliche Belastung durch die Krebserkrankung und das langsame Sterben meines Ehemannes geschoben. Hinzu kam, dass ich oftmals Probleme mit dem Lesen hatte und alles nur noch verschwommen sah. Mein Hausarzt hat mich zum MRT geschickt um körperliche Ursachen auszuschließen, aber dort wurde das Meningeom links frontal im März 2016 diagnostiziert. Die OP fand im April 2016 statt und ich war danach 8 Wochen in Reha. Bereits dort habe ich festgestellt, dass ich nicht auf die Füße kam. Ich war ständig Müde und Erschöpft. Nach 45 Minuten Ergotherapie wa ich nicht mehr in der Lage die Treppen in die 5. Etage zu laufen. 3 Monate nach der OP habe ich mit der beruflichen Wiedereingliederung begonnen. Diese hat die Krankenkasse im Dezember 2016 als erfolglos beendet, weil ich die Stundenzahl nicht auf 4 Stunden täglich anheben konnte. Da ich keinesfalls zu Hause bleiben wollte, habe ich meine Arbeitszeit verkürzt und wollt nach und nach wieder zur Vollzeitbeschäftigung zurückkehren. Im Juni 2017 habe ich meine Stundenzahl auf 6 Std. täglich, aber nur für eine 4-Tage-Woche erhöht. Danach ging es „Bergab“. Ich habe auf Anraten meines Arztes noch,als eine Reha beantragt und diese Maßnahme werde ich ab 31.01.2018 antreten. Ich habe massive Probleme mit der Konzentration, der Merkfähigkeit, bin immer total schlapp & müde. Alles, was mir vor der OP leicht von der Hnad ging, artet jetzt als Schwerstarbeit aus. Die Ärzte haben mir immer gesagt, dass das eine kleine OP sein, der Tumor „gut sitzt“ und ich spätestens in 6 Monaten wieder fit sei. Ich bin bei einer Psychologin und auch 1 x die Woche in Ergotherapie. Beide Therapeuten kennen mich mittlerweile so gut, dass sie merken, dass im Moment garnichts mehr geht.
Gibt es hier jemand, der auch noch so massive Probleme nach der OP hat. Ich habe noch die Vorgeschichte aus 1994 und der Tod meins Ehemanns. Aber ich wehre mich gegen die Diagnose „Depression“, sondern bin der Meinung dass meine Probleme mit den Folgen der OP zu tun hat.
Wer kann mir hier von seinen ähnlichen Erfahrungen berichten.
Vielen Dank für das Lesen des langen Textes.

alma

Hallo Baghira,

warum wehrst du dich gegen die Dg. "Depression"? Für eine von der KK bezahlte Psychotherapie braucht man m.E. eine klinische Diagnose.
Du hast eine Hirn-OP hinter dir, die ihre Tücken erst später offenbart. Für die Ärzte ist wichtig, dass die OP gelungen ist, doch die Patienten klagen häufig über die Nachwirkungen - unspezifische Symptome, für die des meistens keine Diagnose gibt.
Möglicherweise ist es Fatigue, ein Erschöpfungssyndrom, das noch nicht so recht in den Fokus ärztlicher Aufmerksamkeit gerückt ist, so meine Erfahrung. Da gibt es ein Phänomen, dass man sich plötzlich fühlt, als wäre einem der Stecker gezogen, und dann geht gar nichts mehr, nur noch liegen und warten, bis der Impuls des Weitermachens - ebenso plötzlich - erscheint. Danach aber solltest du dich mit dem Thema befassen, wie du deine Energie am besten aufteilst. Das Pensum, das du schilderst, ist meiner Meinung nach mit einer Fatigue nicht zu bewältigen.
Ich kann nur von meiner Warte aus antworten und deine Situation nicht wirklich beurteilen, denn du beschreibst weniger deine Symptome als deinen Leistungswillen. Ich kann dir nur den Begriff "Fatigue" in die Hand geben, vielleicht kannst du etwas damit anfangen. Findest du hier (vorige Seite oben rechts ist eine Suchmaske) oder bei Google.

Bruja

Hallo Baghira,

auch ich hatte ein großes Meningeom links frontal und auch ich kämpfe mit etlichen Nachwehen, obwohl meine OP schon deutlich länger her ist als deine. Ca. sechs Monate nach der OP startete ich meine Wiedereingliederung. Es ging mir in der Zeit wieder deutlich schlechter als in den letzten Wochen vor der Wiedereingliederung, aber ich wollte nicht vorschnell aufgeben, wollte es unbedingt durchziehen. Ich habe mir immer eingeredet, ich müsste mich erst wieder an die beruflichen Herausforderungen gewöhnen, zusätzlich zu Haushalt und Kind. Letztendlich habe ich noch über drei Jahre gearbeitet, aber es ging mir immer schlechter. Im Laufe dieser drei Jahre musste ich meine wöchentliche Arbeitszeit erhöhen und das hat mir den Rest gegeben.

Man wird schnell auf die Psyche reduziert, es ist erstaunlich wie schnell manche Ärzte mit der Diagnose Depression zur Stelle sind und meinen, man müsste nur das richtige Antidepressivum nehmen und schon sei alles wieder im Lot, so dass man auch wieder arbeiten könne. Glücklicherweise habe ich einen sehr, sehr guten Neurologen, der mit mir über das Erschöpfungssyndrom gesprochen und mir wirklich hilfreiche Entspannungsübungen empfohlen hat. Wenn ich regelmäßig und rechtzeitig meine Übungen mache, komme ich wesentlich leichter durch den Tag und liege nicht spätestens am früher Nachmittag völlig erledigt in der Ecke. Mein Neurologe konnte auch anderen Ärzten neurobiologische Zusammenhänge aufzeigen, so dass das Thema Depressionen und Medikamente doch tatsächlich vom Tisch ist.

Du hast viel durchgemacht, die Krebserkrankung und der Tod deines Mannes haben auch bei dir viel angerichtet, kaum verheiratet erkrankt der Partner so schwer, das hinterlässt Spuren. Dann ein Meningeom, das zwar glücklicherweise in den allermeisten Fällen gutartig, aber alles anderes als harmlos ist. Das muss alles erstmal verarbeitet werden. Und so sehr ich es hasse, wenn alles auf die Psyche geschoben wird, so darf man die Psyche trotzdem nicht außer acht lassen. Eine Therapie kann da sehr hilfreich sein. Vielleicht sind auch Medikamente für eine gewisse Zeit genau das richtige. Meiner Meinung nach kann man nicht strikt zwischen Körper und Psyche trennen, das eine beeinflusst das andere, alles greift ineinander.

Nimm jede Hilfe an, die du bekommen kannst. Wie alma schon geschrieben hat, befasse dich mal mit dem sog. Erschöpfungssyndrom oder Fatigue, es gibt ganz gute Infos dazu im Netz. Sprich deine Ärzte darauf an. Und vor allem gib dir selbst die Zeit, die du nach all dem, was du erleben musstest, brauchst. Wenn du zu viel willst, dich selbst zu sehr unter Druck setzt, geht das Ganze nach hinten los. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Alles Gute für dich!

Bruja

alma

Mir ist es nach schweren Verlusten durch Tod häufig so gegangen, dass ich mich in diverse Tätigkeiten gestürzt habe, praktisch als Selbstrettung, um nicht im Kummer zu versinken.
Vielleicht ist es mit deiner Trauer über den Verlust deines Mannes noch schwerer, die Erschöpfung zuzulassen.
Die Fatigue wird zwar nicht besser, wenn man sich schont, aber sie wird schlimmer, wenn man sich überfordert.
Ich war auf einem Workshop darüber, veranstaltet von der Krebsgesellschaft, und eines der Programmpunkte war, den Energiehaushalt nach seinem Bedarf aufzuteilen, nicht nach dem, was zu tun ist. Das haben wir alle nicht gelernt. Wer arbeiten kann, gilt als gesund. Wer nicht, rutscht damit gleich in das Reich der Kranken.
Ja, es nervt, immer gleich die Dg. Depression zu bekommen. Von einem Psychotherapeuten aber ist es etwas anderes. Das ist eine Formsache und man kann sicher verhandeln, ob man das abschwächt. Reaktive Depression und Erschöpfungszustand z.B. Die Therapeutin hat sicher noch andere Diagnosebausteine im Ärmel. (Wenn das überhaupt in Zusammenhang mit dem Therapie-Antrags steht.)
Zur Fatigue gibt es auch Bücher. Und die Deutsche Fatiguegesellschaft oder so ähnlich. CFS heißt es da: cronic fatigue syndrome.

Alma.

Baghira

Danke für eure Antworten.
Ich bin aufgrund der Länge meines Beitrages nicht ausführlich auf meine derzeitigen Probleme eingegangen. Ich habe Probleme mir Namen und Zusammenhänge zu merken. Zum Beispiel nenne ich eine Kollegin, die ich schon 4 Jahre in meiner Abteilung habe, jetzt oft beim falschen Namen. Zum Ausgleich zu der Büroarbeit habe ich im Frühjahr mit dem Nähen begonnen. An manchen Tagen entstehen richtig gute Werke, aber danach sind die Akkus leer und ich kann an den Folgetagen keine gerade Naht mehr nähen. Zuletzt ist es mir im Kreisverkehr in der Nachbargemeinde, den ich mehr als gut kenne, passiert dass ich für einen kurzen Moment nicht wusste welche Ausfahrt ich für den Heimweg nehmen muss. Ich vergesse vieles, übersehe Hindernisse, die mir im Weg liegenund stolpere darüber, ich lese Bedienungsanleitungen von neuen Geräten und kann den Inhalt nicht umsetzen. Ich habe schon zu meinem Arzt gesagt, dass ich mir an manchen Tagen so vorkomme als sei ich nicht die Person, die gerade mal wieder „auf dem Schlauch“ steht. Ich habe immer meine „Frau“ gestanden, war belastbar und es gab keine Probleme, die nicht gelöst werden konnten.
Man sieht mir meine Probleme nicht an und auf der Arbeit habe ich wegen meiner verminderten Leistungsfähigkeit große Probleme. Ein Wechsel kommt derzeit für mich nicht in Frage, da ich die Probezeit bei einem neuen AG nicht bestehen würde.
Ich frage mich ob das jetzt für immer so bleibt oder ob sich an meinem derzeitigen Gesundheitszustand noch etwas ändern kann. Ende Januar komme ich nochmals in Reha und Mitte Januar habe ich bei einem neuen Neurologen einen Termin. Ich finde mich von den Ärzten mit meinen Problemen nicht ernst genommen. Es wäre für mich interessant, ob es hier Mitglieder gibt, die nach einer OP mit genau diesen Beeinträchtigungen Probleme hatten und ob sich diese nach 1 1/2 Jahren nochmals verbessert haben.

buttercup

Hallo Baghira,
mir geht es leider ähnlich. Meine OP liegt nun etwas über 4 Jahre zurück, das Meningeom saß an anderer Stelle, aber ich leide immer noch unter starker Erschöpfung, mein Akku ist ab nachmittag leer, ich kann Lärm, Musik etc. nicht gut aushalten. Restaurantbesuche oder Gespräche in Gruppen mit mehr als vier Personen sind eine Qual, weil ich die Hintergrundgeräusche nicht ausblenden kann. An manchen Tagen bin ich "nicht geschäftsfähig", d.h. ich bekomme nichts auf die Reihe. Telefonate sind ganz schwierig, weil ich oft Sachen verwechsle. Mein Gehirn zieht häufig die falschen Wörter aus dem Regal, wenn ihr versteht, was ich meine. Mein Reaktionsvermögen ist bescheiden.
Im ersten Jahr nach der OP habe ich häufig gestottert. Ich war, so lange die Kasse gezahlt hat bei einer Neuropsychologin in Behandlung. Das hat wirklich viel gebracht und so wie ich denke, die maximale Verbesserung erreicht. Nun ist mein Eindruck, dass nicht mehr viel möglich ist. In der Behandlung wurde mir auch klar, dass ich leider nicht mehr arbeitsfähig bin bzw. werde und bin nun mit Mitte 50 ganz zu Hause. Das ist mein spezieller Fall und muss nicht für jeden gelten, das möchte ich betonen. Ich habe zusätzlich noch fokale Anfälle und bin chronische Schmerzpatientin, meine Schmerzsymptomatik hat sich seit der OP verstärkt.
Das Verständnis bei Ärzten zu finden ist m.E. schwierig. Ich habe zum Glück eine tolle Hausärztin und bekam in der Klinik den Tipp mit der Neuropsychologin. Das kann ich nur wärmstens empfehlen. Man bekommt dort Werkzeuge an die Hand, es werden Tests gemacht, Konzentrationsübungen etc. und es wird bei allem der Blick auf die neurologische und die psychische Komponente gelegt, was ich sehr wichtig finde. Leider gibt es nicht so viele niedergelassene Neuropsychologen in Deutschland. Man muss etwas suchen, aber vielleicht wäre das eine Option für dich.
Alles gute für dich
buttercup

alma

Die Dauer war auch meine drängendste Frage. Es ist ziemlich quälend, mit Fatigue zu leben.
Viele Ärzte interessieren sich nicht für die subjektive Realität, die die von ihnen behandelten Krankheiten für die Patienten haben, musste ich häufig mit Verwunderung feststellen. Und da die Symptome recht schwammig erscheinen und kein griffiges Bild ergeben, geschweige denn ein Medikament, das sie zum Verschwinden bringt, ist das Desinteresse noch größer.
Aber Mut: langsam rückt das Syndrom in den Fokus der Mediziner. Ich habe einen Arzt gefunden, der immerhin allerhand Untersuchungen ansetzte: Belastungs-EKG, Lungenfunktion, gründliche Blutanalyse. Wo vorher nur wabernde Ungewissheit war, wird man auf einmal gesehen. Da ist man dann schon ganz zufrieden, auch wenn im Endergebnis nichts gefunden wird.

Ich hatte mehrere Episoden von Fatigue. Jede dauerte mindestens ein Jahr, die letzte 1,5.
Und kognitiv ist auch nicht mehr viel mit einem los.

Alma.

Baghira

Hallo Alma, darf ich fragen ob Du berufstätig bist. Und wenn ja, Vollzeit oder Teilzeit.

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