Liebe Edheldre,
ich wurde hier angesprochen, weil ich mich "bestens auskennen" würde.
Eigentlich halte ich mich bei einer Lage am Hirnstamm heraus. Diese Lage ist schwierig.
Der Neurochirurg Deines Mannes hat operiert und mit gutem Grund hat er all das verschont, was zu dauerhaften Beschwerden führen könnte. Deswegen hat er nur den halben Tumor entfernt.
Da Du von keinen deutlichen Beschwerden Deines Mannes geschrieben hast, gehe ich davon aus, dass er in der Rehaklinik ist, weil er wieder zu Kräften kommen soll und damit die vorübergehenden Probleme mit Hilfe von Profis angegangen werden.
Mit Deiner "Übersetzung" des pathologischen Befundes hast Du Recht. Einige Zellen teilen sich schneller als es bei einem gutartigen Meningeom (WHO I) üblich ist. Allerdings ist das überhaupt nicht unnormal.
Tumoren entstehen, weil sich aus irgendeinem Grund eine Zelle "denkt", ich teile mich jetzt mal, obwohl ich das gar nicht sollte. Und dann teilen sich die zwei Zellen wieder. Irgendetwas hemmt sie nicht am "sich teilen", also teilen sich die nun vier Zellen weiter. Die Teilungsgeschwindigkeit (Proliferationsrate) nimmt nach und nach zu. Irgendwann wird der Tumor im MRT entdeckt.
Bei vielen wird er heutzutage zufällig gefunden, weil es ein Symptom gab, der Arzt lässt ein MRT machen und - da ist ein Tumor, der aber nichts mit dem Symptom zu tun hat. Diesen Patienten wird angeraten, zu warten, ob der Tumor überhaupt wachsen wird. Denn bei ihnen wächst der Tumor nicht sichtbar, also sehr langsam.
Bei Deinem Mann wurde er in einem Stadium entdeckt, wo er die für ein gutartiges Meningeom typische Teilungsrate hat, aber es gibt bereits einen minimalen Übergang in das Stadium WHO II ("atypisch").
Du fragst nun nach Bestrahlungsmöglichkeiten. Ich nehme an, dass der Neurochirurg bereits davon sprach und Deinem Mann empfohlen hat, sich mit Experten für Bestrahlungen zu treffen und abzuklären, welche Bestrahlungsart in Frage kommt.
Das muss auch ein solcher Experte tun!
Es handelt sich um ein Meningeom, das von seiner Größe her vermutlich nicht für eine "Radiochirurgie" (also weder für Gammaknife noch für Cyberknife) geeignet ist. Aber das weiß ich nicht wirklich.
Ich habe nachgelesen, was das für ein Meningeom sein könnte und stieß auf die Bezeichnung Chordom. Nun weiß ich aber überhaupt nicht, ob diese Bezeichnung zutrifft. Wenn ja, dann könnte der Strahlenarzt eine Bestrahlung mit Protonen anraten.
Wenn nicht, dann hat die Bestrahlung mit Photonen eine genauso gute Wirkung gegen den Tumor.
Ob mit Protonen oder Photonen bestrahlt wird - der Ablauf ist vergleichbar. In einem Linearbeschleuniger wird üblicherweise an 30 Tagen (Mo-Fr, Sa-So nicht) täglich mit einer Strahlendosis von 2 Gy bestrahlt, insgesamt ergibt sich innerhalb von 6 Wochen die Gesamtdosis von 60 Gy.
Es wird intensitätsmoduliert bestrahlt, das heißt, die Zellen, die sich schneller teilen, erhalten eine höhere Dosis, die anderen eine geringere Dosis. Die Umgebung, in der sich Tumorzellen befinden können, wird mit bestrahlt, aber nur, wenn sich keine wichtigen ("eloquenten") Bereiche dort befinden, also bei Deinem Mann der Hirnstamm.
Die Aufteilung der Strahlendosis in 30 Teile (= Fraktionen, "fraktionierte Bestrahlung") dient dazu, die sich teilenden Zellen möglichst alle zu "erwischen" und sie am weiteren Teilen zu hindern. Ihre DNA wird gestört. Da die Strahlung auch durch gesunde Zellen hindurch muss, kann die DNA gesunder Zellen selten auch gestört werden. Aber die gesunden Zellen haben einen Reparaturmechanismus und haben zwischen den Bestrahlungen fast 24 Stunden und das Wochenende Zeit, sich zu reparieren.
Zur noch besseren Schonung der gesunden Zellen wird heutzutage aus verschiedenen Richtungen bestrahlt, um den Tumor immer zu treffen, aber die gesunden Zellen in geringerem Ausmaß.
Nun hast Du auch über Deine große Angst geschrieben, dass Dein Mann nicht mehr lange leben wird. Ich weiß nicht, woher Du diese Angst hast. Wenn der Neurochirurg das so sagte, dann sind meine folgenden Worte sinnlos.
Ich kenne sehr viele Menschen, die sehr viele Jahre mit Meningeomen leben und sie sterben nicht am Meningeom. Eventuell kann ihre Lebensqualität etwas geringer sein.
Ich selbst hatte meine erste WHO-I-Meningeom-OP im Jahr 1995. Das Rezidiv im Jahr 1999 war WHO III ("anaplastisch"), es wurde operiert und bestrahlt. 2007 wurde an einer ganz anderen Stelle ein WHO-III-Meningeom operiert. 2011 wurde ein Rezidiv und ein Meningeom an einer weiteren Stelle gefunden. Beide wurden operiert, eines wurde bestrahlt.
Bis zu dieser Zeit habe ich immer wieder arbeiten können!
Dann wurde 2016 ein weiteres Meningeom ganz woanders gefunden, es konnte nur teiloperiert werden und es dauerte wegen mehrfach zu operierender Wundheilungsstörungen ein Jahr, bis es (weil es schnell gewachsen war) bestrahlt werden konnte. (Es lag nahe einem Sehnerv, ich habe auf diesem Auge meine volle Sehkraft!)
Jetzt ist das Jahr 2019 fast vorbei und ich lebe, zwar mit einer eingeschränkten Lebensqualität, aber ich habe meine drei Kinder allein groß gezogen, sie haben eigene Familien und ich genieße ab und zu die fünf Enkelkinder (meist nicht alle auf einmal).
Und das ist für Euch beide wichtig: Euer Baby gibt Lebensmut! Dein Mann wird es aufwachsen sehen. Er wird es wickeln und mit ihm spielen. Ihr werdet ganz sicher viele gemeinsame Jahre haben.
Ansonsten hätte doch der Neurochirurg gar nicht erst mit einer Therapie angefangen! Seid dankbar, dass der Tumor überhaupt entdeckt wurde! Es gibt Möglichkeiten, ihn zu stoppen. Und vielleicht kann Dein Mann so wie ich wieder arbeiten gehen. Das wünsche ich ihm und Eurer kleinen Familie sehr. (Ein "Gutes" hat es ja auch: Wenn er zu Hause ist, muss er nicht mal Elternzeit nehmen, um bei Euch zu sein ...)
Beste Grüße
KaSy