Ihr Lieben,
ich lese seit der Diagnose Menigeom (re hochpartietal, Durchmesser im März 1,7cm) immer wieder im Forum. Nun muss ich doch einmal selbst schreiben, denn ich soll bald operiert werden.
Mir steigt das alles über den Kopf.
Ich bin 30, bin Ingenieurin und habe eine kleine wunderbare Tochter (noch nicht ganz 2 Jahre alt).
Vor 6 Jahren hatte ich einen Radunfall und habe mir einen Schädelbasisbruch zugezogen. Ich hatte großes Glück – und habe das Ganze (körperlich) innerhalb von ein paar Monaten überstanden. Von dem großen Glück, überlebt zu haben ist meine Stimmung gekippt – nach oben! Ich erlebte zum ersten Mal eine Hypomanie (die leichte, etwas sozialverträglichere Form der Manie, das war mir damals aber noch nicht klar, ich dachte einfach, ich sei sehr sehr energiegeladen und froh).
Nach Monaten der Hochstimmung kam dann die erste schwere Depression. Gottseidank bin ich rechtzeitig in eine Klinik gekommen und konnte mich langsam wieder aufrappeln.
Nur leider wieder zu sehr, denn das von den Ärzten dort verschriebene Antidepressivum katapultierte mich nun wieder hoch, in eine Manie. Die erste richtige Manie. Bis 5 Uhr wach sein, denken, basteln, schreiben, malen – kreativ sein. Pläne schmieden, Action, Action, Action. Ich bin spontan und ungefragt mit dem Auto meiner Eltern in verschiedene Nachbarländer gefahren – für Wochen. Über etwa 4 Monate habe ich kaum geschlafen, unfassbare Dinge erlebt und selbst getan. Manie ist ein unglaublicher Zustand. Großartig und unfassbar zerstörerisch. Quasi körpereigenes Kokain. Man fühlt sich wie auserwählt, als etwas ganz Besonderes – dazu kommen phasenweise Aggression, Reizbarkeit. Man wird arrogant und überheblich – fast alle Angehörigen und engen Freunde waren mir plötzlich zu langsam, konnten meine grandiosen Ideen nicht nachvollziehen und erschienen mir nicht mehr passend zu meinem neuen Leben. Ich stritt mich, ich beendete eine Beziehung… Die Manie hinterließ einen Scherbenhaufen. Mein Konto (komplett leergeräumt) und mein Körper völlig am Ende ohne Schlaf und mit zu wenig essen.
Es gab im folgenden Jahr noch eine weitere Depressive und eine Manische Episode.
Nun bin ich seit etwa 4 Jahre endlich STABIL - gut medikamentös eingestellt, seit Jahren bei einer großartigen Therapeutin und durch meine kleine Familie zusätzlich geerdet.
Ich habe es geschafft, nach etwa 2 Jahren Pause durch meine aktiven Erkrankungsphasen mein Studium doch noch abzuschließen und arbeite nun als Ingenieurin auf einer halben Stelle. Den Rest des Tages betreue ich meine Tochter.
Sie schläft noch nicht durch, dh. oft schlafe ich schlecht und erlebte es in den letzten Monaten schon als Grenzerfahrung, Familie, Arbeit und die Selbstfürsorge wegen meiner Erkrankung (um um jeden Preis weitere Episoden zu verhindern) unter einen Hut zu bringen.
Durch Corona fällt seit einem Jahr das Einkommen meines Mannes zum Großteil aus, der seinen kleinen Laden über weite Teile des letzten Jahres schließen musste. Zusätzlicher Druck.
Trotzdem. Ich war, ich bin stabil. Ich versorge meine Familie, ich kümmere mich um meine süsse Tochter und bekomme Hilfe von meinen Eltern, um ab und zu etwas für mich machen zu können.
Nun war ich im März beim MRT zur Kontrolle des Meningeoms und mir wurde eröffnet, dass das, was letztes Jahr als Zufallsbefund entdeckt wurde („Wenn‘s nicht wächst, kanns drin bleiben, nur die Ruhe“) nun doch gewachsen ist. Und dass ich wahrscheinlich im Herbst/Winter 2021 operiert werden muss. Der genaue Zeitpunkt wird sich nach dem nächsten Kontroll MRT im Juni ergeben.
Und ich muss sagen. Ich kann einfach nicht mehr.
Ich habe das Gefühl die mühsam aufgebaute Stabilität entgleitet mir komplett. Ich habe Angst, über 2,3 Wochen von meiner kleinen Tochter getrennt zu sein, wenn wegen Corona niemand ins KH darf…
Ich habe Angst vor Komplikationen, vor Nebenwirkungen, Spätfolgen, Verlust von Gedächtnis, Persönlichkeitsveränderungen – aber auch einfach davor, dass die OP und die Vorbereitungen und Nachsorge solch einen seelischen Stress erzeugen, dass ich wieder krank werde.
Eine Manie oder schwere Depression jetzt mit Kind will ich um jeden Preis verhindern.
Ich weiß, die Chancen stehen gut. Und höchstwahrscheinlich wird nichts von dem oben Genannten passieren. Ich werde es überleben und ich werde vielleicht sogar nie wieder Probleme mit Meningeomen haben, wenn sie es ganz herausbekommen.
Aber seit der OP-Ankündigung habe ich immer wieder so Momente der totalen Überforderung und Trauer. Vor allem bei positiven Erlebnissen. Wenn meine Tochter und mein Mann sich käbbeln und sie kreischt und lacht… Da könnte ich einfach nur sofort losheulen, weil ich so Angst habe, das alles zu verlieren. Ihm geht es glaube ich auch so.
Ich weiß, ihr seid alle keine PsychologInnen (und ich habe eine ganz tolle). Aber irgendwie wollte ich das Ganze was mir im Kopf herum spukt einmal aufschreiben.
Auf der Arbeit weiß z.B. niemand von meiner bipolaren Störung (früher nannte man es manisch-depressiv) und auch vom Tumor wissen nur ein paar Leute. Das belastet mich sehr, denn ich habe das Gefühl, dass ich mich den ganzen Tag nur zusammenreiße und versuche alles zu verdrängen - und ich merke schon beim Schreiben, dass mir das hier irgendwie hilft.
Vielleicht hat ja jemand von euch auch vor der OP schon mit schweren psychischen Erkrankungen zu kämpfen gehabt – oder einE von euch musste OP-Nachsorge/Reha und Kleinkindbetreuung irgendwie unter einen Hut bringen.
Ich würde mich freuen von euch zu lesen,
JaneJacobs