Liebe Katl,
Du gehörst leider zu der Gruppe Meningeom-Betroffener, die einen sehr langen Leidensweg durchmachen mussten, bis dieser bereits entartete "atypische" Tumor endlich erkannt wurde, weil er sich bereits durch deutliche Symptome bemerkbar machte, die man (ja, wer eigentlich ...) nicht hätte übersehen dürfen.
Rückwärts schauen nützt nun nichts, aber sehr dankbar kannst Du dem Augenarzt sein, der Dich zu einem MRT mit Kontrastmittel schickte.
Dass Du von der Diagnose im November 2020 bis zum März 2021 bereits dreimal operiert werden musstest und immer noch nicht alles entfernt werden konnte, spricht für die sehr problematische Lage des Tumors, die Du ja auch so beschreibst.
Da das Gamma-Knife-Zentrum in Hannover die Radiochirurgie wegen des zu großen Tumorvolumens ablehnte, bedeutet ja auch, dass der verbliebene Resttumor immer noch mindestens 3 cm im Durchmesser hat, also ein Volumen von fast 30 ccm.
Das bedeutet aber auch, dass es für die Protonenbestrahlung ganz gut wäre, den Tumor zu verkleinern, wenn das ohne Risiko insbesondere für den Hirnstamm möglich ist.
Aber nun zu Deiner Frage:
Die Protonenbestrahlung ist die derzeit beste Methode, um Tumoren in sehr riskanten Hirnregionen zu bestrahlen.
Ihr Erfolg, die Tumorzellen an ihrer Teilung zu hindern und sie also abzutöten, ist genauso groß wie bei der konventionellen Bestrahlung mit Photonen.
Aber die Schäden, die die Strahlen auf dem Weg zum Tumor anrichten können, sind wegen der schwereren Teilchen geringer. Das ist besonders wichtig für Patienten, deren Tumor nicht zu einem baldigen Tod führen.
In Dresden bist Du in guten Händen, dort ist eines der Protonenbestrahlungszentren, die sehr viel Erfahrung mit den verschiedenen Bestrahlungsarten haben.
Es gibt nicht sehr viele Meningeom-Patienten, die überhaupt nach einer Operation bestrahlt werden, deswegen hat hier wohl noch niemand geantwortet.
Ich bin so eine Betroffene. Ich wurde nach meiner 2., 5. und 6. Meningeom-OP mit Photonen bestrahlt. Es waren anaplastische (WHO III) Meningeome, das letzte war atypisch (WHO II). Sie traten in Abständen von mehreren Jahren als neue Tumoren oder als Rezidive auf.
Jedesmal wurde die maximal mögliche Strahlendosis genutzt, aber es wurde strikt darauf geachtet, dass sich keine der bestrahlten Regionen überschneidet.
In einer solchen Situation stecke ich jetzt, da mein 6. Meningeom nur teiloperiert werden konnte, es wurde bestrahlt, dann wieder teiloperiert und nun kann es wegen möglicher Strahlenfolgen nicht mehr bestrahlt werden.
Ich weiß nicht, welche Strahlendosis bei der Protonenbestrahlung verwendet wird. Bei der Photonenbestrahlung ist die maximale Dosis 60 Gy, die bei Hirntumoren verwendet wird, nur selten wird eine höhere Dosis genutzt. Wenn der Tumor nahe an eloquenten Bereichen liegt, dann wird die Dosis für den Tumor individuell geringer berechnet.
(Eloquente Bereiche sind Bereiche, die auf keinen Fall oder nur mit einer bestimmten Strahlendosis bestrahlt werden dürfen, da sie eine wichtige Funktion haben.)
Bei der Photonenbestrahlung ist es mittlerweile möglich, die Strahlenintensität an den Tumor anzupassen. Das heißt, je nach Aktivität der Tumorzellen wird eine höhere oder etwas geringere Strahlendosis genutzt. Im Inneren braucht man meist eine höhere Dosis, nach außen hin kann sie etwas geringer werden. Man nennt diese Methode „IntensitätsModulierte RadioTherapie“ (IMRT). Ob das bei der Protonenbestrahlung auch möglich ist, weiß ich nicht.
Auf jeden Fall wird angestrebt, einen Bereich von 2 cm um den Tumor herum mit zu bestrahlen, damit die dort befindlichen nicht sichtbaren Tumorzellen nicht zu Rezidiven heranwachsen. Wenn das nicht möglich ist, weil eloquente Bereiche in der Nähe sind, dann wird die Dosis dem angepasst, was genau dieser Bereich aushält. Oder/und es wird dieser „Sicherheitssaum“ verringert.
Bei mir lag bei meiner letzten Bestrahlung ein Sehnerv in der Nähe. Deswegen wurde der Sicherheitssaum auf 1 cm verringert und die maximale Strahlendosis betrug nur 54 Gy. Dem betreffenden Auge wurde nicht geschadet.
Bei Dir wäre es der Hirnstamm, wieviel Gy (benannt nach Louis Harold Gray) er schadlos aushält, weiß ich nicht, aber das wissen die Radioonkologen in Dresden.
Fraktioniert (üblich sind 30 Arbeitstage mit Fraktionen von je 2 Gy) wird bestrahlt, weil die Tumorzellen während ihrer Teilung getroffen werden müssen, was sie nicht immer tun. Außerdem wird den von den Photonen oder Protonen durchquerten gesunden Zellen Zeit gegeben, sich selbst zu reparieren. Und Du darfst Dich auch erholen, insbesondere auch an den Wochenenden.
Ich selbst habe die dreimal erfolgten Bestrahlungen gut überstanden.
Die erste betraf einen recht großen Bereich von etwa 15cm x 10cm im linken oberen Kopfbereich. Dort befindet sich der „Persönlichkeitsbereich“. Sie begann etwa 6 Wochen nach der OP und ich war bereits wieder recht fit. Im Laufe der 6 Wochen wurde ich nach und nach müder, was damit zusammenhängt, dass die Bestrahlung eine enorme Leistung ist, der sich der Körper zu stellen hat. Ich habe mich so viel es ging, bewegt, aber der Unterschied war deutlich spürbar. Es dauerte über die 4-wöchige Rehazeit hinaus wenige Monate, bis die körperlich Fitness wieder hergestellt war. Probleme bereiteten mir noch wenige Jahre lang ein verringertes Kurzzeitgedächtnis, Konzentrationsprobleme und ähnliche als kognitiv bezeichnete Folgen. Ich konnte damit gut umgehen, indem ich mir viele Merkzettel überall hinlegte und mehrere Kalender nutzte. (Ein Handy mit all diesen Hilfen gab es noch nicht.) Ich arbeitete aber 6 Monate nach dem Ende der Bestrahlung wieder als Ma-Ph-Lehrerin und das gelang immer besser.
Die zweite Bestrahlung betraf einen kleineren Bereich, der sich in nur geringer Tiefe über dem rechten Ohr befand. Sie war weniger problematisch, da dort keine eloquenten Bereiche bestrahlt wurden. Da sich die Erkrankungsdauern gehäuft hatten, wurde ich danach aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt.
Die dritte Bestrahlung betraf ein Gebiet in/bei der Augenhöhle nahe eines Sehnervs. Auch diesmal gab es kaum Nebenwirkungen, die ich benennen könnte. Allerdings war ich durch die bereits 22-jährige Zeit (seit 1995, da war ich 37 Jahre) mit mehreren Meningeom- und Folge-OPs nicht mehr so fit in die Bestrahlung hineingegangen.
Bei mir waren nie Ödeme aufgetreten und deswegen habe ich im Zusammenhang mit den Bestrahlungen auch nie Cortison bekommen müssen. Meine Radioonkologin hat dessen Nachteile gut gekannt und hätte es nur eingesetzt, wenn ein akuter Bedarf eingetreten wäre.
Ich kann jetzt nur von mir berichten. Ich habe aber in dieser sehr langen Zeit viel gelesen, viele Facharztvorträge (auch aus Dresden) gehört und die Erfahrungen sehr vieler Betroffener mit gelesen und begleitet.
Mir ist nur selten aufgefallen, dass von Spätfolgen geschrieben wurde.
Ich selbst habe keine Spätfolgen, die ich als solche erkenne und den Radioonkologen nennen kann, bei denen wenigstens 5 Jahre lang eine regelmäßige Wiedervorstellung wegen möglicher Spätfolgen erfolgt.
Direkte Nebenwirkungen gibt es, aber so fit, wie Du vor der Bestrahlung warst, wirst Du nach einigen Monaten wieder werden. Naja, ich hoffe es sehr für Dich, denn wie sich eine Bestrahlung am Hirnstamm auswirkt, weiß ich nicht.
Ich bin mir aber recht sicher, dass die Ärzte, die Deine Bestrahlung planen und durchführen, genau wissen, wie hoch die Strahlendosis sein darf und muss, denn eine Wiederholung an derselben Stelle ist, glaube ich, auch bei der Protonenbestrahlung nicht möglich. Sie wissen auch, dass Du ein langes Leben haben wirst. Sie werden alles tun, um den Tumor so viel wie möglich zu schädigen, aber Deine Lebensqualität so gut wie möglich erhalten.
Ich denke, dass eine Bestrahlung in der Nähe des Hirnstamms sicherer ist als eine OP, bei der am Tumor „herumgezupft“ wird, was auch den Hirnstamm sehr viel länger „beleidigen“ könnte, als es durch die Strahlen geschieht.
Da durch den Hirnstamm sämtliche Nervenbahnen verlaufen, die den gesamten Körper steuern, kann und vermutlich wird es zu Störungen kommen. Du wirst in einer Rehaklinik bei Deiner Genesung von vielen Fachkräften begleitet werden, um alle Funktionen wieder herzustellen. Das kann dauern, denn Nerven erholen sich nur langsam, wenn sie geschädigt wurden. Aber sie erholen sich.
Es wird noch ein langer Weg von Dir zu schaffen sein und dafür wünsche ich Dir viele gute Fachkräfte sowie Angehörige und Freunde an Deiner Seite, die Dir immer ein Gefühl geben, dass Du sehr gut verstanden wirst, damit Du Dich in jeder weiteren Phase der Therapien wirklich wohl fühlst. Du brauchst diese Zuwendung für den Erfolg Deiner Genesung. Du brauchst viel Kraft, aber dulde auch die Schwäche. Du wirst immer wieder aufstehen und nach vorn sehen. Daran glaube ich ganz fest.
Alles Gute auf diesem Weg!
KaSy