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FF2121

Guten Tag, liebe Mitstreitende.

Ich bin neu hier im Forum und war bisher nur stiller Mitleser.

Zunächst möchte ich mich für die zahlreichen Beiträge bedanken.
Sie waren mir, in der Zeit, in welcher ich nun schon unter Euch weile, stets eine Stütze.

Ich schreibe als Angehöriger.

Bei meinem Vater wurde im Juli 2021 ein Glioblastom links frontal, IDH-Wildtyp, WHO Grad IV (MGMT-Status nicht konklusiv) diagnostiziert.

Nach bereits erfolgter OP und Resektion der RF erhielt er eine Radiochemotherapie (Bestrahlung+Temodal 150 mg).
Laut Aussagen der Neurochirurgen konnte alles Sichtbare komplett entfernt werden.

Für den 11.10.2021 ist die erste MRT-Verlaufskontrolle angesetzt.
Planmäßig soll es dann wohl, je nach Ergebnis der MRT-Bildgebung, mit der adjuvanten Therapie nach dem sog. STUPP-Schema weitergehen.

Zu meinem Erstaunen wichen die behandelnden Ärzte während der Radiochemotherapie (Bestrahlung+Temozolomid 150 mg) vom STUPP-Protokoll etwas ab und empfahlen die Einnahme des Temodals zwar morgens auf nüchternen Magen (es wurde keine feste Uhrzeit genannt, sondern lediglich nach dem Aufstehen) und eine anschließende Wartezeit für das Frühstück von ca. 30-45 min. statt der sonst üblichen Wartezeit von mind. 1 Stunde.
Hierauf angesprochen, hieß es: „Nehmen Sie alles nicht so genau.“

Sein derzeitiger Zustand ist den Umständen entsprechend gut. Er hat keinerlei kognitive und neurologische Ausfälle.
Er ist selbstständig und derzeit glücklicherweise in einem sehr fitten Zustand.
Ich bin durch Recherche auf das CUSP9v3-Protokoll von Prof. Halatsch gestoßen. Ich weiß nicht, ob mein Vater hierfür überhaupt in Frage kommt und ob ich die behandelnden Ärzte hierauf ansprechen soll.
Für Patienten ohne methylierten Status soll das CUSP9v3-Protokoll laut Angaben von Prof. Halatsch hinsichtlich der Prognose erfolgsversprechender sein.

Des Weiteren habe ich etwas Schwierigkeiten mit der Einordnung des neuropathologischen Befunds.
Der Ki67-Proliferationsindex erreicht laut Erstbefund der Neuropathologie ca. 10%.
Laut Nachtrag zum Hauptbefund (nach Durchführung der 850k-DNA-Methylomanalyse) kann im Brain Tumor Classifier das DNA-Methylierungsprofil nicht eindeutig zugeordnet werden. Die erhobenen Werte zeigen jedoch eine breite Streuung, so dass die Neuropathologie es vorzieht den MGMT-Promotormethylierungsstatus als nicht konklusiv zu werten und erteilt die Empfehlung zu einer Pyrosequenzierung.
Diese empfohlene Pyrosequenzierung wurde allerdings nicht mehr durchgeführt, da dies von den behandelnden Neurochirurgen nicht mehr angefordert wurde.
Auf meine Nachfrage hin wurde mir von den behandelnden Neurochirurgen lediglich mitgeteilt, dass die Pyrosequenzierung für die anschließende Therapie nicht ausschlaggebend sei und lediglich von wissenschaftlichem Wert sei.

Über Rückmeldungen und Einordnung des Befunds würde ich mich freuen.
Wünsche allen Betroffenen und Angehörigen viel Kraft.
Vielen Dank im Voraus.

Danielyum

Schau mal nach der CeTeG-Studie bzw. der neuesten Gliom-Leitlinie, bei MGMT-methyliert wird laut Leitlinie zusätzlich CCNU zum Temodal verabreicht. Bei der Einnahme würde ich die Differenz zwischen 30-45 und 1h tatsächlich nicht so genau nehmen, nur, dass es morgens auf nüchternen Magen ist.

Leitlinie: Achja, wenn dein Vater unter 55 Jahren ist, IDH-PCR anfordern!

In der DGN-Leitlinie steht auch der Entscheidungsbaum für die Diagnose GBM seit 2016, im Internet steht oft noch altes Zeug. Ki ist bspw. nicht wichtig für die Diagnose GBM, aber ob IDH-Wildtyp, EGFR-Expression etc. Steht im Leitfaden ganz anschaulich.

Eris

@Danielyum
Aus meiner Sicht sind die Auswirkungen der Biomarker in der DGN-Leitlinie für Patienten nicht brauchbar dargestellt. Es fehlt einfach die Übersetzung.


@FF2121
Wenn im Befund steht "GBM, MGMT-Status nicht konklusiv" bedeutet dies für mich, dass keine MGMT-Promotermethylierung bestimmt werden kann oder nicht vorhanden ist. Dies bedeutet wiederum, dass der Tumor im Vergleich zu den MGMTpositiven Tumoren nicht so gut auf Strahlentherapie und Chemotherapie mit Temozolomid anspricht und das Tumorneuwachstum mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit fünf bis neun Monate (!) nach Erstdiagnose zu erwarten ist. Tabelle 1: https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa043331 Am Ende des Tages bleibt eine Frage unbeantwortet: Warum wird Temozolomid überhaupt eingesetzt? Wenn man also den Verlauf so genau vorhersagen kann, dann würde ich mich schnellstmöglich um die Teilnahme an Studien kümmern und eine zusätzliche Behandlung außerhalb der Leitlinie gemeinsam mit dem Onkologen planen. Wir haben die Erfahrung der trügerischen Hoffnung gemacht und dachten, dass wir bestens versorgt werden, haben daran geglaubt, dass wir die Statistik Lügen strafen. Außer verschwendeter Zeit hat es nichts gebracht. Dir muss von Anbeginn klar sein, dass die Ärzte grundsätzlich großartig nach Leitlinie behandeln. Prinzipiell sehr gut, aber es gibt einen Pferdefuß. Die Therapie, die im Rahmen der Leitlinie zur Behandlung des Glioblastoms angeboten wird, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sehr, sehr, sehr begrenzt wirksam.

FF2121

@Eris
Wie komme ich an passende Studien? Welche zusätzlichen Behandlungen außerhalb der Leitline kämen in Frage?

Eris

Zuerst würde ich den behandelnden Arzt danach fragen? Welche Optionen hat er angeboten?

FF2121

@Eris
Ich habe unmittelbar nach Diagnosestellung und OP mir eine Zweitmeinung im Uni-Klinikum Frankfurt und im Uniklinikum-Heidelberg eingeholt.
Diese rieten zum Start der ohnehin vorgeschlagenen Radiochemotherapie mit Temodal 75 mg je qm Körperoberfläche.
Nun soll nach dem ersten Kontroll-MRT die adjuvante Therapie mit 150 mg je qm Körperoberfläche folgen.
Das Kontroll-MRT und den dazugehörigen Befundbericht habe ich erneut für eine Zweitmeinung im Uniklinikum-Frankfurt eingereicht. Dies wurde dort in der Tumorkonferenz vorgestellt. Die vorgeschlagene adjuvante Therapie wurde mir bestätigt und zu TTFs geraten. Mein Vater ist 63 Jahre alt. Sein Allgemeinzustand ist derzeit sehr gut. Die adjuvante Therapie soll
nächste Woche starten.

FF2121

@Eris
Als ich das CUSP9v3 oder das COC-Protokoll ansprach winkten alle gleich ab.

Danielyum

Ich finde den Leitfaden für den Stand der Dinge aufschlussreich. Man muss hier und da noch einmal nachlesen, um die Intention der Verfasser besser zu verstehen.

So bei der Wirkung von Temodal. Es gibt aufgrund der Datenlage nun einmal unklare Verhältnisse: Bringt es einen Zusatznutzen neben der Bestrahlung bei MGMT-unmethylierten Patient:innen? Wäre es womöglich als Re-Challenge beim Rezidiv angebracht? Hierzu gibt es ebenfalls Studien. Nicht geklärt ist für mich bspw. die Frage, wie Lomustin/CCNU seinen Status als Zweitlinientherapie rechtfertigt, bei der schlechten Ansprechrate und garantierten Verschlimmerung der Blutwerte. Das sollte jeder etwas recherchieren und dann bei den Ärzten ansprechen. Es ist aus meiner Sicht nicht so, dass die Chemotherapie bei dieser Erkrankungen der Gamechanger ist, es ist (der womöglich geringere) Teil einer Strategie, die aus OP, Bestrahlung und eben Chemotherapie basiert.

Was mir klar geworden ist, an FF2121 wendend, ist das Zeit und rechtzeitige Diagnose entscheidend sind. Wir haben beim Anzeichen eines Rezidivs bspw. ein 18-FET-PET-CT/-MRT machen lassen, um eine Pseudoprogression auszuschließen. Hierbei wurde ein weiteres Rezidiv entdeckt, welches später in der Re-Bestrahlung mit eingeschlossen werden konnte. Auf dem MRT hat man es schlicht nicht so entdeckt, wir standen kurz vor der OP und hatten keine Zeit mehr, ohne den Eingriff zu verschleppen (wer verantwortet das?). Wir wussten es auch nicht besser.

Man kann den Ärzten keinen Vorwurf machen, es wird alles in der vorhandenen Zeit getan, jede:r Patient:in soll gleich versorgt werden, was manchmal dazu führt, dass evtl. etwas übersehen werden kann, in Nuancen. Aber als Angehöriger (mehr noch als der Patient selbst) kann man über den Tellerrand schauen, um dann gemeinsam mit dem Ärzteteam (inkl. Zweitmeinung) Entscheidungen zu treffen. Man muss es aber nicht.

Jeder kann Überzeugungen zu bestimmten Medikamenten haben, aber für FF2121 würde ich raten, den Leitfaden als Standard anzuerkennen, sicherzustellen, dass danach gehandelt wird, Ruhe zu bewahren, und logistisch (rechtzeitig Termine arrangieren, Papierkram) die richtigen Schritte vorzunehmen. Danach kann man überlegen, wie weit man sich mit den wissenschaftlichen, auch außerhalb von Deutschland erschienenen Studien auseinandersetzen möchte, um eine individuelle Chancen-Risiko-Abwägung mit den Ärzten zu eruieren.

FF2121

@Eris
@Danielyum
Ich bedanke mich für Eure Hilfestellung.
Bezüglich der vorgeschlagenen Pyrosequenzierung erhielt ich von den behandelnden Ärzten und ebenso von der Zweitmeinung die Rückmeldung, dass dies lediglich von wissenschaftlichem Wert sei und nichts an der Vorgehensweise bzw. an der Behandlung mit Temozolomid ändern würde, ich dies aber auch als Selbstzahler nachträglich veranlassen könnte.
Nach dem ersten Kontroll-MRT vom 11.10.2021 gab es laut Aussage der Neurochirurgie und der Onkologie keine medizinische Indikation für ein FET-PET. Nach abgeschlossener Radiochemotherapie mit Temodal 75 mg/m² soll nun, wie geplant, die alleinige Chemotherapie mit Temodal 150 mg/m² im ersten Zyklus starten. Bei guter Verträglichkeit ist eine Erhöhung auf 200 mg/m² im zweiten Zyklus geplant.

Eris

@ Danielyum
Eine aktuelle Leitlinie ist immer eine gute Möglichkeit, sich über den Stand der Medizin zu erkundigen. Niemand möchte den Ärzten einen Vorwurf machen, denn leitliniengerecht wird alles unternommen, um den Patienten in Deutschland zu helfen und bestimmt meist sogar viel mehr. Diese Erkenntnis verbessert aber nicht die Situation und Prognose von Glioblastompatienten. Die derzeitige Leitlinientherapie gegen das Glioblastom führt in der Regel nicht zur Heilung. Die Leitlinientherapie kann den Krankheitsverlauf verzögern, aber nicht um Jahre sondern in den meisten Fällen leider nur um Monate. Dies ist für mich ein Grund, warum ich denke, dass die Behandlung, die heute Anwendung findet, hinten und vorn nicht ausreicht. Gerade diese Woche habe ich erfahren, dass es für das Glioblastom in der Erstlinienbehandlung weltweit über 100 offene klinische Studien gibt. Uns hat niemand über Studien informiert. Über die Möglichkeit des Off-Label-Einsatzes von Medikamenten bekamen wir ebenfalls keine Informationen.

Danielyum

Es braucht umsichtige Ärzte, das stimmt. Vor allem, wenn es nicht die eigenen durchgeführten Studien sind, sondern die einer anderen (Uni-)Klinik. Da schließe ich mich an, wir wurden auch nicht über Studien informiert, da die Teilnahme an einer Studie auch den Verzicht auf eine bessere Standardtherapie bedeuten könnte, so die Überzeugung des Arztes.

Die Studie sichert ja nicht die Heilung, man erhöht evtl. seine Chancen, dass man vorzeitig in den Genuss einer besseren Behandlung kommt. Aber dafür agiert man auch ein Stück weit als Testperson, geht also evtl. auch ein Risiko ein. Nur weil etwas im Labor und an Mäusen funktioniert, trifft dies in der Studie leider nicht automatisch zu. Manche Studien wurden auch abgebrochen, da deutlich schlechter als der Kontrollarm mit Standardtherapie. Ich kann aber aus eigener Erfahrung als Angehöriger völlig verstehen, dass man zumindest gerne die Wahl gehabt hätte, es angeboten bekommen hätte, um mehr Kontrolle zu haben.

Beim Off-Label-Ansatz habe ich mich auch bemüht, wissenschaftliche Arbeiten den Ärzten zu präsentieren; als ich kurz davor war, mich vehement für die Verschreibung seitens des Arztes einzusetzen, bin ich dann auf gegensätzliche wissenschaftliche Arbeiten gestoßen, die bei einer Kombitherapie vor einer Unterdrückung der eigentlichen Chemotherapie warnten: Möchte ich die Verantwortung für die Konsequenzen des Off-Label-Medikaments nehmen? Der Arzt übernimmt mit seiner Unterschrift letztendlich Verantwortung, die Hürde für den Off-Label-Einsatz von Medikamenten ist hoch. Das ist auch ein Punkt, der oft kritisiert wird.

Die Lage ist insgesamt nicht zufriedenstellend, ganz klar. Umso mehr, als dass es keinen Verantwortlichen gibt und wir uns lediglich in Krabbelschritten bei der Lebenserwartung weiterentwickeln. Ich drücke jedem die Daumen und freue mich auf den weiteren Austausch.

Danielyum

@FF2121: Fürs FET-PET-CT gibt es verschiedene Indikationen:
1) Abklärung Pseudoprogression, wenn nach MRT ein Rezidivverdacht besteht
2) Gibt es noch Resttumor ("alles was man sehen konnte" ist eben nicht alles)
3) Gibt es woanders aktives Tumorgewebe (im MRT wird Tumorgewebe erst ab einer bestimmten Größe sichtbar)
4) Die nachgewiesene Aktivitätenkurve kann zwischen höher- und niedriggradigem Tumor differenzieren, auch wenn nur mit weniger Genauigkeit als bei den anderen drei Punkten oben.

Bei uns passten die Punkte 1) & 3), daher haben wir uns damals dafür entschieden. Punkt 1) war am wichtigsten, 3) eher ein Zufallsbefund.

FF2121

@Danielyum
Habt Ihr das FET-PET damals selbst angefordert und hierfür auch die Kosten getragen?

Danielyum

Ja. Ca. 3TEUR wovon allein 2.500 € Materialkosten (die Aminosäure) sind. Man braucht nicht zwingend ein 18-FET-PET-MRT, ein 18-FET-PET-CT reicht, man kann es mit einem aktuellen MRT korrelieren. Das schreibe ich, weil es mehr -CTs als -MRTs dieser Sorte in Deutschland gibt, so spart man sich weite Fahrten.

Falls Ihr es kostentechnisch anders hinkriegt, würde ich mich über Tipps freuen ;-)

Rummelschubs

FET-PET (Tyrosin, nicht Glucose) wurde bei mir über den behandelnden Neurochirurg angefordert (Krankenhauseinweisung)
Kostenübernahme Krankenkasse hatte ich da bereits angefragt und zugesagt bekommen. Ist in dem Fall schön, aber egal.
Bin bei der HEK.

Danielyum

Das ist sehr hilfreich, danke. Da wären wir beim Thema "medizinische Notwendigkeit im Ermessen des behandelnden Arztes": Unser Arzt hatte schlechte Erfahrungen mit der Krankenkassenübernahme gemacht, daher lag das Thema außerhalb des Tellerrandes. Interessant, dass es auch anders geht.

Wieso war es denn egal? Weil der Arzt das bereits veranlasst hatte?

FF2121

@Rummelschubs
@Danielyum
Vielen Dank für die Antworten!
Ich denke es kommt auch immer auf die behandelnden Ärzte an. Gut begründet, steht einer Kostenübernahme m.E. eigentlich nichts entgegen.

Rummelschubs

@Danie Ich denke es ging eher um die von dir angesprochene Notwendigkeit und dass der Doc sich dann wohl darum gekümmert hat / es einfach in Auftrag gegeben hat. Wahrscheinlich auch Unterschied, ob niedergelassener Arzt oder einer im Krankenhaus.

@FF2121
Seh ich genauso, hatte meine KK telefonisch auch so bestätigt.

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