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Anne[a]

10. März 2005, Neue Zürcher Zeitung

Ein Forschungsdurchbruch?

Studie zur Therapie eines Hirntumors kritisch gelesen

Wenn es um die Kommunikation von medizinischen Forschungsergebnissen geht, scheint Bescheidenheit keine Tugend mehr zu sein. Jüngstes Beispiel ist eine internationale Studie mit Schweizer Beteiligung, die den Nutzen einer Chemotherapie bei einem besonders aggressiven Hirntumor untersucht hat. An einem solchen Glioblastom soll auch der zurückgetretene Nationalratspräsident Jean-Philippe Maitre leiden. Die Resultate der Studie erscheinen am Donnerstag in der renommierten Fachzeitschrift «New England Journal of Medicine».


Virtuoses Spiel mit den Medien

«Medizinischer Forschungsdurchbruch» verkündet die European Organisation for Research and Treatment of Cancer in einer Pressemitteilung. Auch von «Hoffnung für Gehirntumorpatienten dank neuer Chemotherapie» ist im Titel zu lesen. Diese Schlüsselwörter lassen Journalisten aufhorchen. Rasch muss ein Bericht her. Wer kann es sich schon leisten, eine Sensation zu verschlafen? Leser, Zuhörer und Zuschauer müssen informiert werden, das wissen auch die PR-Verantwortlichen im Hintergrund des Wissenschaftsbetriebs. Geradezu nüchtern klingt da die Pressemitteilung des Universitätsspitals Lausanne, das neben anderen Instituten ebenfalls an der Studie beteiligt ist: «Fortschritte in der Krebsforschung».

Worum geht es bei diesem jüngsten «Durchbruch» in der Krebsforschung? Kann das Glioblastom dank dem neuen Medikament geheilt werden? Oder ist es wie bei einer HIV-Infektion, wo ein Medikamentencocktail aus einer rasch tödlichen eine chronische Krankheit mit guter Lebensqualität gemacht hat? Nein, so ist es leider nicht. Die Untersuchung an knapp 600 Patienten mit Glioblastom hat gezeigt, dass das Zytostatikum Temozolomid, eine Substanz, die notabene in der Schweiz seit fünf Jahren zur Behandlung aggressiver Hirntumoren zugelassen ist, die Überlebenszeit der Patienten im Schnitt um zweieinhalb Monate erhöht - von 12,1 auf 14,6 Monate.

Eine weitere Analyse an 206 Probanden hat zudem ergeben, dass Patienten mit einem speziellen genetischen Merkmal, das sich, wie man bereits seit längerem weiss, günstig auf die Prognose auswirkt, besonders gut auf die Chemotherapie ansprechen. Sie lebten im Schnitt gut sechs Monate länger als Patienten, denen dieser Faktor fehlte. Dafür mussten die Probanden in beiden Untersuchungen zusätzlich zur Standardtherapie - sie besteht aus chirurgischer Tumorentfernung und anschliessender Bestrahlung - täglich eine Tablette Temozolomid einnehmen. Kostenpunkt alleine für dieses Medikament: rund 20 000 Franken. Im Allgemeinen wird die Substanz gut vertragen, sie kann aber in seltenen Fällen die Blutbildung im Knochenmark unterdrücken. Das begünstigt Infektionen, die tödlich ausgehen können.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Die Studie genügt höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen. Für Krebsspezialisten ist sie zweifellos bedeutsam. Einige Experten bezeichnen sie denn auch als Meilenstein, weil sie die seit Jahren erwartete Verbesserung bei der Therapie dieses aggressiven Hirntumors dokumentiert. Bedeutsam scheinen insbesondere die Zweijahresdaten. So waren nach dieser Zeit ohne Chemotherapie noch 10 Prozent am Leben; in der Temozolomid- Gruppe waren es immerhin 26 Prozent.


Auf die Hoffnung folgt die Enttäuschung

Ärgerlich ist jedoch, wie Studienresultate in verzerrender Weise in die Öffentlichkeit getragen werden. Laien und Patienten machen sich leicht ein falsches Bild von den therapeutischen Möglichkeiten. Auf unrealistische Hoffnungen folgen unweigerlich Enttäuschungen. So bleibt die Prognose bei Glioblastom trotz Chemotherapie ungünstig. Mehr Bescheidenheit wäre deshalb angebracht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die aggressive Kommunikation von Forschungsresultaten, wie sie in letzter Zeit immer wieder vorkommt, nicht die Information der Öffentlichkeit zum Ziel hat, sondern vor allem die kommerziellen Interessen von Firmen vertritt, die in die Studien involviert sind. Die zunehmende Vermarktung wissenschaftlicher Resultate ist aber auch Ausdruck dafür, wie sehr die Forschenden unter Druck stehen, erfolgreiche Projekte vorzuweisen. Denn davon hängen nicht nur ihre Karriere, sondern auch das Renommee und damit das Budget des Forschungsinstituts ab.

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