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Michael[a]

Liebe Forumteilnehmer,

seit einigen Wochen bin ich mit der Diagnose einer unspezifischen Läsion im linken Frontallappen konfrontiert, die ca. 3x6 cm durchmisst und bis in etwa 3 cm Tiefe reicht. Im MRT zeigte sich keine oder nur eine geringfügige Konrastmittelaufnahme, es besteht deshalb der Verdacht, dass ein niedriggradiges Astrozytom vorliegt (mit der kleinen Chance, dass die Läsion auf ein 25 Jahre zurückliegendes Schädeltrauma zurückzuführen sein könnte). Ein Zufallsbefund, da - außer einem Tinnitus mit Geräuschüberempfindlichkeit - keine neurologischen Probleme bestehen und mit der MRT eigentlich eine Erkrankung des Hörnervs ausgeschlossen werden sollte (und auch wurde).
Mittlerweile habe ich mir bei verschiedenen Stellen Rat eingeholt, was nun zu tun sei. Dabei riet man mir einmal zur Entfernung der Läsion in einer offenen OP (man könne hier "großzügig schneiden"), zweimal zur Biopsie als erstem Schritt und einmal zu einer abwartenden Haltung mit regelmäßigen MRT-Kontrollen.
Wenn ich wissen möchte, was ich da mit mir herumtrage, dann werde ich um die Biopsie wohl nicht herumkommen. Und falls sich dabei der Verdacht auf ein Astrozytom bestätigt (was offenbar wahrscheinlich ist), dann stellt sich für mich die Frage: operieren, nach anderen Behandlungsmethoden suchen oder abwarten...?
Was mich dabei noch ziemlich hilflos macht, ist die Frage, wie einen möglichen gesundheitlichen Vorteil gegen den möglichem Verlust an Lebensqualität abwägen kann:
1. Da man niedriggradige Astrozytome wegen ihres infiltrativen Wachstums offenbar nicht vollständig entfernen kann und Rezidive die Regel zu sein scheinen, verstehe ich nicht so recht, worin der Vorteil einer Operation liegt (ich bitte alle um Nachsicht, die diese Diagnose hatten und die diesen mutigen Schritt schon hinter sich haben). Ist eine OP denn tatsächlich lebensverlängernd, obgleich sich der Tumor wahrscheinlich trotzdem von der Peripherie her weiter ausbreiten wird? Gibt es denn irgendwelche statistischen Erhebungen, die hierzu etwas Gesichertes aussagen?
2. Alle Neurochirurgen, mit denen ich gesprochen hatte, haben mir versichert, dass eine Tumorentfernung im linken Frontalhirn "so gut wie keine" Ausfallerscheinungen nach sich ziehe. Was ist aber mit all den Erkenntnissen darüber, wie viele und wie wichtige Funktionen gerade in diesem Areal angesiedelt sind? Ich habe hier allergrößte Schwierigkeiten, Vertrauen zu fassen (warum z.B. sprach man von einer Reha nach der OP?) und quäle mich mit der Vorstellung, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen mit (vielleicht sogar massiven) Einschränkungen aus der Narkose zu erwachen, die ich zuvor nicht hatte.
3. Was ich ganz besonders fürchte: Teile meines Fühlens und Denkens zu verlieren, in meinem Beruf nicht mehr klarzukommen und als Komponist und Sänger keine Musik mehr schreiben, empfinden, verstehen oder ausdrücken zu können. Gibt es denn Möglichkeiten (z.B. bildgebende Verfahren?), vor einem Eingriff festzustellen, wo im Kopf Musik entsteht, wo man sie zu Papier bringt und wo man sie reproduziert und interpretiert? Musik wäre meine stärkste Waffe gegen das Astrozytom - ich weiß nicht, was wäre, wenn sie mir durch eine OP genommen würde ...

Vielleicht gibt es ja jemanden unter euch mit ähnlichen Erfahrungen oder Ängsten, und der/die mir schreiben mag, wie er/sie diese Situation gemeistert hat oder mir mit meinen Fragen ein wenig weiterhelfen kann. Ich würde mich auf jeden Fall über eine Resonanz sehr freuen ...

Michael

PD DR. Mursch

Sehr geehrter Michael,
ohne Ihnen aus der Ferne ohne Ansicht der Bilder einen verbindlichen Rat geben zu können, möchte ich folgendes schreiben:
1. Nach dem allgemeinen Stand der Neurochirurgie ist es wohl so, dass das einzige, was nachweislich bei der Behandlung niedriggradiger Gliome einen Vorteil für den Patienten bringt, die Biopsie ist. Leider sind die untersuchten und veröffentlichten Patientengruppen so inhomogen, dass man nicht mehr belegen kann. Es gibt allerdings nach Metaanalysen Anhalt dafür, dass die Operation ebenfalls Vorteile bezüglich des Überlebens bringt.
2. Hier kommt es darauf an, wo genau der Tumor liegt. Leider ist die Repräsentation verschiedener funktioneller Areale bei verschiedenen Menschen unterschiedlich und gerade beim Musiker wohl auch anders ausgeprägt. Prinzipiell haben die Kollegen aber wohl recht.
3. Routinemäßig wird ein solches Monitoring nicht durchgeführt. Es gibt allerdings einige Arbeiten zur Repräsentation des Musikhörens und -empfindens mit funktionellen Tests und Bildgebung (fMRI, MEG, PET). Viel der Musikempfindung liegt eher im Schläfenlappen.
Sie können Informationen im Pub Med (med. Datenbank im Internet) finden. (Schreiben Sie im Suchfeld beispielsweise: "functional MRI music"). Ganz umsonst lesbar ist das Editorial von RJ Zatorre in Brain 1998, aber auch das Anklicken von anderen Arbeiten kann Ihnen zumindestens Adressen von guten Arbeitsgruppen geben, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Die Biopsie ist sicher sinnvoll, aber dies nur unter Vorbehalt ohne Kenntnis der Bilder.
Ich hoffe, die "Resonanz" :-) hat Ihnen etwas geholfen.

Mit freundlichen Grüßen

Priv.-Doz. Dr. med. Kay Mursch
Neurochirurgie
Zentralklinik Bad Berka

Oliver L.

Hallo Michael,
ich hatte ein Astro II das rechts auf dem Schläffenlappen lag. Da nicht alle rechtshänder ihr Sprachzentrum links haben konnte mir zum Glück ein Wada test vermittelt werden zur Feststellung des Sprachzentrums. Hätte ich ohne guten Kontakt und viele Fragen auch nicht heraus gefunden. Mein Astro ist wohl ganz raus, was aber auch nur möglich war, weil es so gut saß und der rechte Temporallappen wohl keine große Bedeutung hat. Mir geht es außer "banalen" Problemen gut und meine Persönlichkeit ist erhalten.
Ich hab mich auch deswegen zur OP entschieden, weil ich Epileptische Anfälle hatte und weil der Tumor immer näher an Blutgefäße und Nervenbahnen heranwuchs und dann immer schwerer zu Operieren gewesen wäre.
Ich wünsche Dir viel Glück bei der Suche nach Informationen und viel gute Fachleute die dir dabei helfen. Auch das du gute Freunde hast die dir zur Seite stehen.
Gruß
Oliver

Michael[a]

Hallo Oliver,
war viel unterwegs in der letzten Zeit auf der Suche nach Informationen und der "passenden" Klinik für eine OP, deshalb die verspätete Reaktion auf deine Mail. Hab´ herzlichen Dank für die Rückmeldung und für deine guten Wünsche - du hast völlig recht damit, dass es sehr wichtig ist, Freunde zu haben, die einem zur Seite stehen und dabei helfen, positiv mit der Krankheit und den sich daraus ergebenden Veränderungen umzugehen. Ich erlebe zur Zeit, dass Freunde mir sagen, sie werden mich niemals im Stich lassen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar und ich wünsche dir und allen, die diese Zeilen lesen, den gleichen Rückhalt, wie er mir geschenkt wird.

Michael[a]

Sehr geehrter Herr Dr. Mursch,
vielen Dank für die Rückmeldung zu meinen medizinischen Fragen und die hilfreichen Tips, wo ich mich zum Thema musikalische Fähigkeiten weiter informieren kann. Ihre "Resonanz" hat auf jeden Fall dazu beigetragen, einige "dissonante" Klänge und Stimmungen in mir zu bereinigen... :-)
Für Ihre Arbeit und Ihr Engagement meine besten Wünsche!

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