Liebe Lunafee1989
Ich kann Deine Situation und Deine übergroße Angst vielleicht nachvollziehen, denn bei meiner Erstdiagnose im Jahr 1995 mit einem bereits größeren Meningeom links (hoch-)frontal war ich 37 Jahre alt und hatte drei Kinder, die zwar älter waren als Deine kleinen Zwillinge, aber ich erzog sie seit 2 Jahren allein.
Von meinen leider häufigen Erfahrungen mit mehreren OP und Bestrahlungen (an jeweils anderen Stellen) kann ich Dir einiges an Rat mitgeben.
Dass das UKM eine Klinik mit sehr guten Erfahrungen in der Behandlung von Akustikusneurinomen ist, weiß von einer Freundin, die dort mehrfach operiert wurde.
Sie kennt den Direktor der dortigen Klinik für Neurochirurgie und auch ich habe ihn mehrfach auf Hirntumorinformationstagen als kompetenten, forschenden und zugewandten Experten erleben dürfen.
Laut Internet verfügt das UKM über eine Klinik für Strahlentherapie, die über Linearbeschleuniger (und ein Tomotherapiegerät, nicht aber über Geräte für die Radiochirurgie) verfügt.
Für Deine Herzproblematik hast Du bereits Hinweise bekommen, alle Befunde aus Aachen anzufordern, ein Langzeit-EKG bei Deiner Hausärztin anfertigen zu lassen und jedem Arzt in der Klinik davon zu berichten sowie darauf zu bestehen, dass es deutlich aufgeschrieben wird. Mach das!
Zusätzlich wirst Du vor der OP einen Aufklärungsbogen für das Gespräch mit dem Anästhesisten (Narkosearzt) bekommen, in den Du alle (!) Vorerkrankungen, Medikamente, Allergien und sonstiges einträgst. (Schreibe Dir das alles bereits zu Hause in den Computer und nimm es in die Klinik mit.)
Auf jeden Fall wird der Anästhesist mit Dir ein gründliches Gespräch führen. Er ist dafür verantwortlich, dass Dir während der OP nichts passiert. Er wird die Neurochirurgen (NC) stoppen, falls Deine Werte schlechter werden und er wird geeignete Maßnahmen einleiten, damit die OP fortgesetzt werden kann oder aber auch vorzeitig beendet werden muss.
Da der aufklärende Anästhesist nicht unbedingt derselbe ist wie derjenige, der die OP begleitet, achte beim Gespräch darauf, dass alles aufgeschrieben wird und vor allem die wichtigen Dinge hervorgehoben werden.
Der Vorteil einer OP ist bei Dir die recht günstige Lage Deines Meningeoms.
Meningeome wachsen so, dass sie das Gehirn verdrängen. Sie befinden sich in einer Kapsel, das sollte auch für Dein fast 3 cm großes Meningeom (noch) zutreffen. Wenn es mit der Kapsel entfernt werden kann und das ist bei Meningeomen möglich, dann ist es eine komplette Entfernung. (Bei den hirneigenen Tumoren wird das mitunter dem Patienten so gesagt, aber bei diesen ist es kaum möglich, da sie infiltrierend wachsen, also die Zellen des Gehirns nachahmen.)
Die 5 Tage, von denen der NC sprach, sind eine heutzutage übliche Zeit für den stationären Aufenthalt nach einer solchen OP. Das hat nichts damit zu tun, dass Du danach wieder fit bist. Diese kurze Zeit dient dazu, um Infektionen des Gehirns zu vermeiden. Während der OP und auch auf der Intensivstation wirst Du in der Regel mit kurzzeitigen Gaben von Antibiotika und Cortison davor geschützt. Auf der Normalstation kommst Du mit zu vielen Personen in Kontakt, die irgendwelche Keime übertragen könnten (nicht nur Corona), deshalb wirst Du recht bald in die häusliche Umgebung entlassen, wo die Infektionsgefahr deutlich geringer ist.
Mir wurde gesagt, dass die NC nichts mehr fürchten, als eine Wundheilungsstörung nach einer stundenlangen, erfolgreichen OP. Das kommt wirklich nicht sehr oft vor, aber ich kenne diese dramatische Erfahrung, die die NC vor sehr große Herausforderungen stellt. Das muss und will man nicht haben!
Wenn Du also nach Hause entlassen wirst, dann schone Dich mehr als Du denkst. Prinzipiell wäre eine stationäre AHB (Anschlussheilbehandlung, Anschlussrehabilitation) zu empfehlen. Das kommt für Dich vielleicht wegen der Kinder nicht in Frage. Außerdem ist es in „Corona-Zeiten“ zusätzlich ein Problem. Eine ambulante Reha wird sicher auch nicht sinnvoll sein.
Möglich wären psychische Probleme. Dagegen hilft Deine Familie.
Da Du aber bereits jetzt unter unüberwindlich scheinender Angst und Panik leidest, solltest Du Dir jetzt möglichst schnell einen Psychotherapeuten zum Reden suchen. Deine Familie kannst und willst Du nicht mit all Deinen Fragen und Ängsten belasten, den Psychotherapeuten aber musst Du nicht schonen. Lass Dir bei der Suche von Deiner Hausärztin und der Krankenkasse helfen und mach es dringend. Lass Dich nicht auf Wartezeiten ein! Du brauchst das jetzt sofort! Denn jede psychische Belastung wirkt sich auf den gesamten Körper aus und erschwert den Erfolg jeder Therapie. (Ganz abgesehen von Deinem Herzen.)
Ich war nach meiner ersten OP sechs Monate zu Hause, bevor ich wieder arbeiten ging, bei anderen geht das früher oder viel später. Das wird Dir der NC nicht sagen können. Dafür ist Deine Hausärztin zuständig, der Du im Laufe der Zeit nach der OP berichtest, wie belastbar Du Dich fühlst, welche Probleme Du noch hast. Ein schrittweiser Wiedereinstieg in die Arbeit ist nach einer längeren Krankheitsdauer sehr sinnvoll.
Eine alleinige Strahlentherapie könnte eventuell möglich sein. Darüber solltest Du in der UKM mit dem dortigen Arzt sprechen. Dort liegen bereits Deine MRT-Bilder vor und der Kontakt zur Neurochirurgie ist leichter herzustellen. Sollte eine alleinige Strahlentherapie möglich sein, musst Du diese aber nicht unbedingt in der UKM durchführen lassen, sondern Du könntest auch in eine näher gelegene „Strahlenklinik“ gehen. Das nimmt Dir keiner übel!
Ich nehme an, dass eine Radiochirurgie (eine einmalige Bestrahlung mit einer hohen Strahlendosis) nicht möglich sein wird, da es hierfür eine Größenbegrenzung von 3 cm gibt. Aber frage danach, man wird Dir ehrlich antworten.
Wenn eine Bestrahlung erfolgen wird, findet sie auch in Corona-Zeiten statt. Die generelle Infektionsgefahr und auch die durch Corona ist sehr viel geringer als bei einer OP und Du hast selbst alle Möglichkeiten, Dich wie üblich zu schützen.
Deine Herzproblematik sollte dort weniger eine Rolle spielen, aber sprich es auch an!
Der Zeitraum wird allerdings sehr viel länger sein.
Es wird eine fraktionierte Bestrahlung an einem Linearbeschleuniger sein, die mit Photonen erfolgen wird. (Protonen sind theoretisch auch möglich, bei Dir jedoch wegen der äußeren Lage nicht erforderlich.) „Fraktioniert“ bedeutet, dass die Strahlendosis von meist 60 Gy (Gray) in 30 Einzelteile („Fraktionen“) von je 2 Gy aufgeteilt wird und an 30 Tagen mit dieser nur geringen Dosis bestrahlt wird.
In der Zeit dazwischen können sich die mit getroffenen gesunden Zellen erholen, denn sie verfügen über einen zelleigenen Reparaturmechanismus.
Außerdem müssen die Tumorzellen dann getroffen und geschädigt werden, wenn sie sich in der Phase der Zellteilung befinden und das sind nicht alle Zellen zur gleichen Zeit.
Wenn Du Dich nach Vorbesprechungen für eine Strahlentherapie entschieden hast, findet ein konkretes Erstgespräch mit dem Radioonkologen (Facharzt für die Strahlentherapie) statt. Am gleichen Tag oder einige Tage später wird eine Maske für Deine immer gleiche Lage auf dem Bestrahlungstisch angefertigt und mit dieser Maske wird sofort ein CT für die Bestrahlungsplanung durchgeführt.
Dann dauert es etwa eine Woche, bis die Physiker die Bestrahlung so berechnet haben, dass sie computergestützt und demzufolge sehr sicher erfolgen kann.
Werktäglich, also an 5 Tagen in der Woche, wird bestrahlt. Das dauert jeweils nur etwa eine Minute und Du merkst davon gar nichts. Die Wirkung ist (genau wie bei der OP) nur dort, wo der Tumor ist.
Insgesamt dauert die Strahlentherapie vom Erstgespräch bis zum letzten Bestrahlungstag also gut 7 Wochen.
Während dieser Zeit wirst Du Dich zunächst gut fühlen, vielleicht auch während der gesamten Zeit. Manche treiben aktiv Sport, Du kannst Dich mit Deinen Kindern, Deiner Familie aktiv bewegen.
Bei mir war es so, dass im Laufe der Zeit die Müdigkeit zunahm. Das ist dadurch zu erklären, dass der Körper damit beschäftigt ist, die als fremd erkannten Strahlen abzuwehren sowie sich mit den geschädigten Tumorzellen zu befassen. Das ist eine enorme Belastung, die man vielleicht zulassen sollte, indem man sich viel mehr Ruhe gönnt als sonst.
Mir wurde auch vorausgesagt, dass das Kurzzeitgedächtnis leiden wird und Konzentrationsstörungen und weitere kognitive Beeinträchtigungen entstehen würden. Das war auch so und ich hatte sehr lange damit Probleme, aber es wurde nach vielen Monaten mit allen möglichen Tricks und erdachten Hilfen besser und wieder fast normal. Ich ging nach meiner ersten OP + Bestrahlung nach 9 Monaten wieder als Lehrerin arbeiten.
Des weiteren wurde mir „versprochen“, dass ich einen dauerhaften Haarausfall an der bestrahlten Region haben würde. Auch das trat ein, weil bei mir (wie bei Dir so ähnlich) das Meningeom sehr nah an der Kopfhaut lag, wo sich die Haarzellen befinden. Diese teilen sich, damit die Haare wachsen. Dadurch sind sie durch die Strahlen viel mehr gefährdet als jede Hirnzelle. Es werden bei Dir mit hoher Wahrscheinlichkeit Haare ausfallen. Ob das dauerhaft sein wird, das musst Du den Arzt fragen.
Dass es Dir während der Bestrahlung so schlecht gehen wird, dass Du stationär aufgenommen werden musst, glaube ich nicht. Das kommt nicht oft vor und betrifft vor allem Patienten, die hirneigene Tumoren haben, operiert wurden, eine gleichzeitige Strahlen- und Chemotherapie erhalten und sich von vornherein in einem schlechten Allgemeinzustand befanden. Frage danach!
Im Verlauf der Strahlentherapie hast Du an jedem Tag Kontakt mit dem medizinischen Personal und die Möglichkeit, bei Problemen um ein Gespräch mit dem Arzt zu bitten. Blutkontrollen erfolgen (meist) direkt dort mindestens alle zwei Wochen.
Du hast auch nach Beendigung der Bestrahlung den Anspruch auf eine AHB.
Nach Abschluss der Strahlentherapie wirst Du laut Gesetz 5 Jahre lang zur Sprechstunde bestellt, um Spätfolgen festzustellen und darauf reagieren zu können. (Für die Radiochirurgie scheint das nicht zu gelten.)
Für die täglichen Fahrten zur Strahlenklinik wird Dir (evtl. auf Nachfrage) der dortige Arzt eine Verordnung für einen Krankentransport geben, da Du während der Strahlentherapie als nicht fahrtüchtig giltst. (Für danach wird mitunter angeraten, noch zwei Wochen nicht selbst zu fahren, aber das wirst Du nach Deinem Sicherheitsgefühl entscheiden.) Die Verordnung reichst Du bei Deiner Krankenkasse ein. Sie wird für ein Taxiunternehmen genehmigt, mit der die Krankenkasse einen Vertrag hat, vielleicht empfiehlt Dir die Kasse ein solches Unternehmen, vielleicht musst oder darfst Du selbst wählen.
Als Nachteil der Strahlentherapie sehe ich das folgende Problem. Die Tumorzellen werden durch die Bestrahlung so geschädigt, dass alle oder die meisten nicht mehr teilungsfähig sind. Sie werden als „tote“ Zellen von Deinem Immunsystem erkannt und bekämpft. Es kann sich bereits während der Bestrahlung ein Ödem (eine Art Wasseransammlung) um den bestrahlten Tumor bilden, das die gesunde Umgebung schützen soll. Das kann möglicherweise zu einem erhöhten Hirndruck führen, denn zusätzlich zum Tumor nimmt auch dieses Ödem Platz ein, das es im Gehirn gar nicht hat. Es wird Druck auf das Gehirn ausgeübt und es könnten neurologische Probleme entstehen (Sprach-, Bewegungs-, Seh-Störungen, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinsstörungen, …). Diese lassen sich gut und schnell mit Cortison behandeln, aber auf lange Dauer sollten cortisonhaltige Medikamente wegen ihrer dramatischen Nebenwirkungen nicht genommen werden.
Ich benötigte während meiner drei Bestrahlungsserien nie Cortison, meine Strahlenärztin war zusätzlich der Meinung, keinesfalls vorbeugend Cortison zu geben. Das ist aber nicht überall so. Frage danach!
Nach Abschluss der Strahlentherapie wird eine MRT frühstens nach zwei bis drei Monaten sinnvoll sein. Zuvor ist es wenig aufschlussreich, denn der bestrahlte Tumor bleibt ja dort, wo er immer schon war. Durch die Strahlen verändert er sich zunächst so, dass er größer erscheint. Man nennt das auch Pseudoprogress. Es ist dann für die Radiologen und die Radioonkologen sehr schwierig zu erkennen, ob es sich um den Tumor, den Pseudoprogress oder ein Ödem handelt, da weiterhin eine Kontrastmittelaufnahme erfolgen kann. Für Dich wäre das MRT-Bild vermutlich erschreckend, weil Du eine Verkleinerung erwartest, aber eine Vergrößerung siehst. Im Laufe von Monaten oder Jahren kann sich nach und nach der abgestorbene Tumor verkleinern, da seine toten Zellen vom körpereigenen Stoffwechsel langsam abtransportiert werden. Ob womöglich einige Zellen überlebt haben, weiß keiner zu sagen. Das ist meist nicht der Fall.
Bei mir wurde bei der 3. Strahlentherapie (2017) der Rest eines (2016) nicht vollständig entfernten Tumors bestrahlt. Die Strahlenärztin sagte mir, die Strahlen hätten getroffen. Das sah auch so aus, immerhin hatte ich zu dieser Zeit bereits lange Erfahrung. Dennoch scheinen einige Zellen übrig geblieben zu sein, denn nach etwa 2 Jahren wurde ein minimales Wachstum festgestellt und nach 3 Jahren wurde erneut operiert. Diese OP war vor 4 Wochen und ich bin jetzt wieder recht fit.
Die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Wachstums ist aber sehr gering. Es gibt Expertenaussagen erfahrener Strahlenärzte, dass dort, wo Meningeome bestrahlt werden, nahezu nie Rezidive (also neue Meningeome) entstehen.
Das war bei meinen ersten beiden Strahlentherapien tatsächlich so, aber das waren Folgebestrahlungen nach Operationen, bei denen von den anaplastischen (WHO III) Meningeomen alles Sichtbare entfernt worden war.
Dein Meningeom ist sehr wahrscheinlich „benigne“ (WHO I). Das kann man nur durch eine histo-pathologische Untersuchung des Tumormaterials genau sagen, die aber nur nach einer OP möglich ist. Es spielt bei Meningeomen aber weniger eine Rolle, was für ein Typ es ist. Bei den hirneigenen Tumoren ist das grundlegend für die Wahl der Chemotherapie. Eine solche wird gegen Meningeome aber nicht angewandt.
Ich hoffe, Dir mit Argumenten für und gegen die Operation und die Strahlentherapie in Deiner Entscheidung ein wenig geholfen zu haben.
Und - Du bist stärker als Du denkst!
Ich wünsche Dir alles Gute!
KaSy