Hallo,
ich habe das Forum durchstöbert und nichts (bzw. sehr wenig) über die phsychologischen Folgen für Menschen, die mit der Diagnose Hirntumor leben müssen, gefunden.
Ich bekam die Hiobsbotschaft vor 1,5 Jahren, nach einem epileptischen Anfall (ich war gerade 22 Jahre alt!!). Auf den MRT-Bildern entdeckte man eine tennisballgroße Raumforderung. Eine Woche später OP (es konnte nicht alles entfernt werden), quälende 2 Monate später die Ergebnisse der Biopsie: Oligoastrozytom II. Seither lebe ich mehr oder weniger gut mit der tickenden Zeitbombe in meinem Kopf. Mir geht es körperlich sehr gut, hatte keine Chemo, keine Bestrahlung, keine Ausfallerscheinungen und habe mich schnell erholt. Der Resttumor ist auch nicht größer geworden.
Ich habe mich aber immer gewundert, dass ich mich an die Zeit zwischen Diagnose und OP kaum erinnern kann. Im ersten halben Jahr nach der OP habe ich gedacht, dass alles wie immer ist. Doch im letzten Jahr habe ich Wesensveränderungen an mir entdeckt. Als ich auf einen Artikel über "Posttraumatische Belastungsstörung" gestoßen bin, hatte ich auf einmal das Gefühl, ich würde etwas aus dem inneren meiner verängstigten Seele lesen! Hier ein kleiner Auszug über Symptome und Ursachen für eine Posttraumatische Belastungsstörung. Vielleicht hat ja jemand hier Erfahrungen damit, oder fühlt das Gleiche:
"Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung. Sie entsteht als Folge einer schweren traumatischen Erfahrung. Beispiele für ein solches Trauma sind Vergewaltigung, Naturkatastrophen, Krieg,[...], aber auch die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit!! Trauma bezeichnet eine sehr belastende, außergewöhnliche Situation, die nahezu jeden Menschen tief erschüttern würde. Bei einem traumatischen Ereignis erlebt der Betroffene eine extreme, katastrophale Situation – etwa eine massive Bedrohung. Sein Leben oder seine Gesundheit sind in ernster Gefahr. Gleichzeitig fühlt er sich ausgeliefert und machtlos, er spürt starke Angst, Hilflosigkeit und Verzweiflung. Kennzeichnend für die PTBS ist, dass die Betroffenen das Trauma in Gedanken oder Gefühlen ungewollt immer wieder durchleben. Das Gefühl will sich nicht einstellen, dass das schreckliche Ereignis doch eigentlich in der Vergangenheit liegt und vorbei ist.
Die Erinnerungen an das Trauma müssen aber keineswegs vollständig sein. Es können Erinnerungslücken bestehen. So sehen längst nicht alle Betroffenen das Geschehen vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Manche können sich überhaupt nicht an Bilder erinnern. Andere sind nicht in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Doch sie spüren zum Beispiel wieder dieselbe Angst und Hilflosigkeit, die sie in der traumatischen Situation erlebt haben. Sie empfinden plötzlich wieder das gleiche Herzklopfen oder den gleichen körperlichen Schmerz.
Viele Betroffene leben nach dem Trauma in einem Gefühl anhaltender Bedrohung. Sie empfinden ihre Umwelt auf einmal als unsicher und gefährlich – ein ständiger Stress für Körper und Seele. Mögliche Folgen sind Ängste, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit oder Konzentrationsstörungen.
Betroffene versuchen oft, jegliche Situation zu meiden, die an das Trauma erinnern könnte. Sie halten sich zum Beispiel von bestimmten Orten fern. Oder sie reden nicht über das Geschehene, verdrängen alle Gedanken daran.
Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung fühlen sich häufig körperlich und emotional erschöpft. Viele ziehen sich deshalb zurück!"
Viele Symptomen und Ursachen, die hier beschrieben werden, treffen auf mich und ich denke auf viele, die eine ähnliche Diagnose erhalten haben zu. Z.B. bin ich seit der OP sehr viel agressiver, fühle mich schneller überfordert und reizbar, besonders, wenn eine Verlaufskontrolle bevorsteht. Ich meide alles, was mit dem Thema Hirntumor zu tun hat (bin das erste mal hier auf der Homepage). 2 Wochen vor einer Verlaufskontrolle bin ich eigentlich nur körperlich anwesend. In Gedanken überlege ich mir Plan B: was mache ich wenn...! Ich rede mit niemanden über die Krankenhauszeit und die unglaublichen Ängste in dieser Zeit. Auch nicht mit meinen Eltern oder Partner, da ich es nicht ertragen kann, wenn sie mir erzählen, wie viel Angst sie in der Zeit um mich hatten.
In der Zeit zwischen Diagnose und OP fehlen viele Erinnerungen. Ich kann mich an keine einzige Untersuchung erinnern, oder Worte von Ärzten. Dafür erinnere ich mich an jeden schockierten, angsterfüllten Gesichtsausdruck meiner Eltern. An die vielen Tränen, die wegen mir geflossen sind (ich habe meinen Vater vorher noch nie weinen sehen). Dabei ist bei mir keine einzige Tränge geflossen. Ich wollte nicht, dass meine Mutter noch trauriger wird, wenn sie meine Tränen sehen muss. Die Erinnerungen schleichen sich immer wieder ein, meist wenn ich viel Zeit habe für mich alleine, und machen mich sehr traurig.
Ich weiß, dass ich dringend mit jemanden darüber sprechen müsste, aber meine Eltern oder Partner möchte ich nicht damit belasten. Ich möchte meine Eltern einfach nie wieder so hilflos und verzweifelt sehen. Es war ganz furchtbar für mich zu sehen, dass meine Eltern, die einen doch sonst aus jeder Situation rausboxen konnten, nicht mehr helfen können. Weder mit Geld oder Beziehungen und, was am schlimmsten ist, nicht mit ihrer eigenen Kraft!
Ich sehen leider auch keinen Sinn darin, mit einem Psychologen zu sprechen. Im Gegensatz zu Unfällen oder Kriegserlebnissen, kann man mit der Diagnose Hirntumor niemals abschließen. Denn, machen wir uns doch nichts vor, der Tumor wird zurück kommen, da Tumorzellen sich nicht in Luft auflösen. Die Frage ist nur wann und wo und wie!
Mich kostet es sehr viel Kraft mit der Angst, dass alles wieder von vorne losgehen könnte, zu leben. Ich bin oft auch sehr wütend, ohne sagen zu können worauf ich eigentlich wütend bin. Vielleicht ist es meine Hilflosigkeit, nichts dagegen ausrichten zu können, oder die Tatsache, dass mir niemand sagen kann, warum das passiert ist oder auch, dass ich meine Eltern so traurig gemacht habe. Ich würde ihnen so gerne sagen: "Mama, Papa, es ist vorbei, ihr müsst keine Angst mehr haben". Aber das kann ich nicht und werde es wahrscheinlich auch nie.
Vielleicht kenn hier jemand ähnliche Gefühle der Wut und der Hilflosigkeit und vielleicht ja auch Mittel, wie man die Gefühle abschwächen kann.
Ich weiß, dass ist viel Text auf einmal, aber vielleicht findet jemand die Zeit es sich durchzulesen und Erfahrungen zu teilen.
Gruß,
Felia