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Thema: Presse: Alleskönner auf Tumorjagd

Presse: Alleskönner auf Tumorjagd
Katharina[a]
17.01.2005 10:04:51
Aus der FTD vom 7.12.2004
Alleskönner auf Tumorjagd

Schon lange gelten Stammzellen Wissenschaftlern als vielversprechend. Den Durchbruch in der Therapie großer Volksleiden wie Alzheimer, Parkinson und Diabetes könnten sie eines Tages bringen, sagen etliche Genetiker.


Die Idee: Weil sie sich in verschiedene Zelltypen entwickeln können, lassen sich aus Stammzellen unterschiedliche Gewebesorten züchten und somit diverse Krankheiten heilen, die mit der Schädigung von Gewebe einhergehen.

Überraschend ist vor diesem Hintergrund eine Nachricht aus den USA, nach der die Alleskönner-Zellen auf einem Gebiet erfolgreich werden könnten, mit dem sie bisher kaum in Verbindung gebracht wurden: dem Kampf gegen den Krebs. Denn abnorme Vorgänge im Körper, wie etwa ein wachsender Tumor, ziehen Stammzellen an. Bei der Jagd nach Geschwüren könnte diese Eigenschaft von doppeltem Nutzen sein: Erstens vermögen herkömmliche Therapien nur bedingt Tumor- von gesunden Zellen zu unterscheiden. Chemotherapie und Bestrahlung wirken vor allem auf Zellen, die sich schnell teilen - also auch auf Haarwurzel- und Schleimhautzellen. Zweitens entwischen Tochtergeschwülste leicht dem medikamentösen Angriff.



Kaum ein Hindernis zu schwer


Stammzellen dagegen identifizierten in Tierversuchen Tumorgewebe zuverlässig - und fanden auch winzige neue Krebsherde. Um an den Ort des Übels zu gelangen, ist den Zellen offenbar kaum ein Hindernis zu schwer: Evan Snyder vom Burnham Institute in San Diego konnte zeigen, dass gentechnisch veränderte Stammzellen des Menschen, die er Mäusen und Ratten spritzte, mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit zu einem Hirntumor fanden und diesen teilweise zerstörten. Egal ob die Wissenschaftler die Zellen in die gleiche oder die andere Gehirnhälfte injizierten: Früher oder später waren sie rund um den Tumor nachweisbar.


Die Stammzellen hatten die Forscher aus den Hirnen von abgetriebenen menschlichen Föten gewonnen. Warum sie zielstrebig den Tumor ins Visier nahmen, ist noch nicht vollständig geklärt. Der Tumor selbst, die ihn versorgenden Blutgefäße und das verletzte umliegende Gewebe senden offenbar Signale aus, die Stammzellen anziehen. "Stammzellen besitzen Verwandtschaft zu Tumorzellen. Sie werden teilweise durch die gleichen Signalmoleküle kontrolliert. Von daher ist es unabdingbar, diese hochkomplexen Prozesse näher zu untersuchen", sagt Anna Wobus, Koordinatorin des Stammzellschwerpunktes der Deutschen Forschungsgemeinschaft.



Durchschlagender Erfolg


Evan Snyder möchte seine Ergebnisse so schnell wie möglich für den Menschen nutzbar machen. Er bereitet eine Anwendung bei Glioblastomen vor, einer häufigen und bösartigen Art von Hirntumoren. Bei dieser Krankheitsvariante breiten sich die Krebszellen so aggressiv im Gehirn aus, dass es praktisch unmöglich ist, sie vollständig zu zerstören. Die Überlebenszeit beträgt im Durchschnitt nur ein Jahr. Jede Behandlungsalternative, auch wenn sie als riskant gilt, ist willkommen.


Noch umfassender sind die Pläne von Michael Andreeff von der Universität von Texas. Er plant Studien für unterschiedliche Krebsarten. Andreeff benutzt Stammzellen aus dem Knochenmark. "Von diesen Zellen hat bislang niemand erwartet, dass sie im Körper zirkulieren und von Tumoren angezogen werden", sagt der ehemalige Heidelberger. Andreeff und seine Mitarbeiter haben die Zellen schon gentechnisch verändert und mit den verschiedensten krebsbekämpfenden Molekülen ausgestattet - und im Tierversuch an verschiedensten Krebsarten ausgetestet. Mit zum Teil durchschlagendem Erfolg: "Bei einem bestimmten Typ von Eierstockkrebs haben wir in 70 Prozent der Fälle eine Heilung beobachtet."



Anwendung voraussichtlich im nächsten Jahr


Zurzeit arbeitet sein Labor daran, das Verfahren für klinische Maßstäbe zu optimieren. Dabei hilft, dass Andreeffs Arbeitsstätte das größte Zentrum für Knochenmarkstransplantation der USA betreibt und über viel Erfahrung in der Kultivierung und Vermehrung von Zellen verfügt. Wenn alles gut geht und die Zulassungsbehörde FDA grünes Licht gibt, will Andreeff im kommenden Jahr die ersten Patienten behandeln.


Für seine Strategie spricht, dass Stammzellen aus dem Knochenmark bereits Hunderten von Patienten ohne negative Nebenwirkungen injiziert wurden. Im Körper entwickeln sich diese Zellen normalerweise zu Knochen, Knorpel, Sehnen oder Muskeln weiter. Dementsprechend wurden sie zur Reparatur von Knorpelläsionen und Knochen eingesetzt. Allerdings waren die Zellen dafür bislang nicht genmodifiziert.



Klinische Anwendung riskant


Andreeff hofft, dass die Stammzellen absterben, wenn der Tumor verschwunden ist, da sie nach den bisherigen Erfahrungen nur in der "richtigen" Umgebung wachsen. Sicher sei jedoch nicht, wie sich die Zellen auf lange Sicht im Körper verhalten. "Sobald man mit lebenden Zellen arbeitet, gibt es Risiken", sagt John Yu, Neurowissenschaftler am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles. Zu denkbaren Nebenwirkungen zählen Abstoßungsreaktionen und die Möglichkeit, dass die Stammzellen sich zu einem Tumor entwickeln. Die Zellen könnten sich auch in anderen verletzten Geweben ansiedeln, befürchtet Anna Wobus. Die klinische Anwendung hält sie für zu riskant, solange der Prozess nicht steuer- und begrenzbar ist. Der Praktiker Yu sieht optimistischer in die Zukunft: "Meiner Meinung nach wird diese Technologie zu den ersten Früchten gehören, die die Stammzellforschung ernten kann."



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Vielseitige Zellen


Adulte Stammzellen gelten als ethisch unproblematisch. Die kalifornischen Forscher verwendeten allerdings spezielle adulte Zellen: aus den Gehirnen abgetriebener menschlicher Föten. Diese dürften durchaus ethische Fragen aufwerfen.


Embryonale Stammzellen gelten als vielseitig, ihr Einsatz ist jedoch umstritten.



© 2004 Financial Times Deutschland
Katharina[a]
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