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Thema: Presse: Am Ende ein Moment des tiefsten Glücks

Presse: Am Ende ein Moment des tiefsten Glücks
Katja[a]
29.10.2005 13:59:32
Am Ende ein Moment des tiefsten Glücks
Von Lutz Mohaupt

Lutz Mohaupt (63) ist Senatssprecher und ehemaliger Hauptpastor von St. Jacobi.


Jeder stirbt für sich allein. "Ich werde dann nicht mehr bei dir sein und du nicht bei mir", sagt Martin Luther einmal. Wir können uns immer nur bis an die Schwelle begleiten, an der es Abschied nehmen heißt. Das aber sind wir einander auch schuldig: Begleitung, Zuwendung, Ermutigung auf einem schweren Weg, natürlich auch Erleichterung, wo immer es geht, Linderung der Schmerzen, Tröstungen der Seele. Das nenne ich Sterbehilfe: Hilfe bei dem Teil unseres Lebens, der "Sterben" heißt, dem letzten eben.

Wer solche Hilfe anderen einmal gewähren durfte, wird das niemals vergessen. Schon ein einziger Augenblick der Begegnung mit einem Sterbenden kann uns tief berühren. Ich denke an einen meiner besten Freunde, dem sein Gehirntumor keine Chance mehr ließ. Als ich ihn zum letzten Mal besuchte, schien er schon nichts mehr wahrzunehmen. Ich ergriff seine Hand und streichelte sie. Keine Regung. Dann aber beugte sich sein Bruder zu seinem Ohr hinunter und sagte, nein, er rief laut: "Weißt du, wer das ist? Das ist doch Lutz!" Da presste seine Hand wie ein Schraubstock die meine zusammen, und der Anflug eines Lächelns zog über sein blasses Angesicht. Am nächsten Tag war er tot.

Unvergeßlich war das, einer der wichtigsten Augenblicke meines Lebens, der mir noch heute die Tränen aufsteigen läßt. Ich bin dankbar, daß ich ihn erleben durfte, dankbar, daß mein Freund ihn mir noch schenken konnte. Ich glaube, daß man nur angesichts eines solchen Momentes voll ermessen kann, was verloren geht, wenn man "Sterbehilfe" als Hilfe zur Bewerkstelligung des Sterbens mißversteht. Ich habe zwar kein Recht dazu, Menschen zu verurteilen, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen oder andere dafür um Hilfe bitten oder die solche Hilfe leisten. Aber ich bin fest überzeugt, daß solche "Sterbehilfe" allemal ein Akt der Verzweiflung ist.

Mein Freund jedoch hat mir unvergeßlich ins Herz gebrannt: Es gibt trotz aller Traurigkeit und Einsamkeit, die der Tod bedeutet, auf dem Weg zum Sterben auch Momente der Erfüllung, des tiefsten Glücks, der Erfahrung von einem Sinn, der höher ist als alle Vernunft.

Hamburger Abendblatt erschienen am 13. Oktober 2005
Katja[a]
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