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Thema: Presse: Angiogenese-Hemmer

Presse: Angiogenese-Hemmer
Katja[a]
05.02.2003 15:02:17
Ärzte Zeitung, 04.02.2003



Vorsichtiger Optimismus
Von Philipp Grätzel von Grätz

Schon die kurze Geschichte der Angiogenese-Hemmer zwingt Onkologen zum Umdenken. Erste Studien haben nämlich ergeben, daß die Tumoren der behandelten Patienten keineswegs ausgehungert werden, wie von vielen Wissenschaftlern erhofft. Für Fatalismus besteht dennoch kein Grund. Denn neue Erkenntnisse über die Wirkungsweise der Substanzen legen nahe, daß die Substanzen das Tumorwachstum möglicherweise sehr wirksam bremsen können, ohne den Tumor dabei unbedingt zu beseitigen.

Vielleicht sind deshalb nicht so sehr Patienten mit stark vaskularisierten Tumoren diejenigen, die am Ende am meisten von einer Behandlung mit den Angiogenese-Hemmern profitieren, sondern gerade jene Patienten, die langsam wachsende und schlecht vaskularisierte Tumoren haben.

Wie häufig noch Umdenken nötig sein wird, ist nicht abzusehen. Denn vor einer Routineanwendung müssen noch viele Fragen in Studien geklärt werden. So ist etwa unklar, wie sich Angiogenese-Hemmer mit anderen Chemotherapeutika kombinieren lassen. Besonders beachtet werden müssen mögliche kardiovaskuläre Komplikationen von antiangiogenetischen Medikamenten.



Angiogenese-Hemmer machen Krebs zu einer chronischen Krankheit
Von Philipp Grätzel von Grätz

Als vor nicht allzu langer Zeit in der Tumortherapie die ersten Studien mit Hemmstoffen der Blutgefäßbildung, den Angiogenese-Hemmern, gemacht wurden, waren die passenden Metaphern schnell gefunden. Der Tumor solle "ausgehungert" oder auch "erstickt" werden, hieß es, denn wie für jedes andere Gewebe bilden Blutgefäße natürlich auch für Tumoren die lebensnotwendige Versorgungsinfrastruktur.

Erst langsam beginnen Forscher zu verstehen, daß dieses Konzept, so anschaulich es auch klingt, wohl doch nicht die ganze Wahrheit ist: Die Wirkung der neuen Substanzen ist nämlich wesentlich vielfältiger als zunächst gedacht. Zunehmend wird vielen Onkologen klar, daß Angiogenese-Hemmer offenbar das Potential besitzen, ganz neue Spielregeln im Kampf gegen Krebs einzuführen.

Weniger Hemmstoffe der Gefäßneubildung
Bösartige Tumoren regen die Bildung von Blutgefäßen auf vielerlei Weise an: Sie produzieren Wachstumsfaktoren, die vor Ort Blutgefäße aussprossen lassen. Gleichzeitig werden weniger Hemmstoffe der Gefäßneubildung produziert. Wichtig ist dabei, daß die Blutgefäße selber weitgehend unverändert sind, wie die Krebsforscher Dr. Robert Kerbel und Dr. Judah Folkmann von der Harvard Universität in Boston im US-Staat Massachusetts in der Zeitschrift "Nature Reviews Cancer" (2, 2002, 727) betonen.

Der Angriff klassischer Chemotherapeutika richtet sich direkt gegen die genetisch hochvariablen und äußerst anpassungsfähigen Tumorzellen. Angiogenese-Hemmer dagegen greifen an genetisch stabilen Zellen, den Endothelzellen, an. Dies hat einen entscheidenden theoretischen Vorteil: Bei einer Therapie mit Angiogenese-Hemmern ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Tumor resistent gegen das Medikament wird, gering, weil das Erbgut der Endothelzellen nicht zu verstärkten Mutationen neigt. "Eine Therapie mit Angiogenese-Hemmern könnte also im Prinzip das Krebswachstum für lange Zeit stabil halten", so Kerbel und Folkmann. Der Tumor würde dann zu einer chronischen Erkrankung.

Anfangs wird die Versorgung mit Sauerstoff sogar verbessert
Diese These steht im Einklang mit klinischen Beobachtungen, wonach Angiogenese-Hemmer den Tumor eben nicht, wie in der Anfangs-Euphorie vermutet, aushungern, sondern - im Gegenteil - zumindest in den ersten Wochen seine Sauerstoffversorgung sogar verbessern. Möglicherweise beseitigen die Hemmer brüchige Kapillaren und verhindern so, daß Flüssigkeit aus dem fragilen Gefäßsystem des Tumors austritt und das umliegende Gewebe komprimiert. "Mit diesen Beobachtungen verliert auch die weit verbreitete Meinung, wonach Angiogenese-Hemmer nur bei stark vaskularisierten Tumoren nutzbar seien, ihre theoretische Grundlage", so die Forscher.

Welche Bedeutung diesen Zusammenhängen in der praktischen Onkologie wirklich zukommt, wird sich erst noch zeigen müssen. In klinischen Studien befinden sich zur Zeit direkte und indirekte Angiogenese-Hemmer. Die direkten Hemmstoffe binden an Wachstumsfaktoren oder an intrazelluläre Strukturen in den Endothelzellen selbst, indirekte Hemmstoffe dagegen blockieren die Wirkung von Tumorproteinen an Rezeptoren.

Ein Beispiel für einen direkten Hemmstoff ist der monoklonale Antikörper Bevacizumab, der an den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (vascular endothelial growth factor) bindet. In einer vor wenigen Wochen vorgestellten Phase-II-Studie ließ sich bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchial-Karzinom durch Hinzunahme von Bevacizumab zu einer Kombinationstherapie das Überleben deutlich verlängern. Die Phase-III-Studien dazu laufen gerade.

Zur Kategorie der direkten Hemmstoffe gehört auch das als vielversprechend eingestufte Angiostatin, das außer der Zellvermehrung auch die Zellbeweglichkeit hemmt, sowie eine ganze Reihe weiterer Substanzen, die an Bestandteile des Zellskeletts, an die Integrine, binden. Etwa 20 Integrine sind inzwischen bekannt. Diese Adhäsionsmoleküle sind für das Überleben der Zelle wichtig.

Zu den indirekt wirkenden Substanzen gehören ZD 1839 (Iressa, Gefitinib) und der Antikörper Trastuzumab. ZD 1839 - ein Hemmstoff des endothelialen Wachstumsfaktors EGF (endothelial growth factor) - war in Monotherapie in zwei Studien mit jeweils über 200 Patienten mit nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom wirksam. Trastuzumab ist als Herceptin® für die Behandlung von Frauen mit Brustkrebs zugelassen. Daß er ebenfalls das Gefäßwachstum hemmt, weiß man erst seit kurzem.

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Vorsichtiger Optimismus

FAZIT
Hemmstoffe der Gefäßneubildung, die Angiogenese-Hemmer, sind eine Neuheit in der Chemotherapie von Patienten mit Tumorerkrankungen, weil sie nicht die Tumorzellen direkt angreifen und so zytotoxisch wirken. Wahrscheinlich hungern sie die maligne Geschwulst nicht - wie bisher vermutet - aus, sondern bremsen eher dessen Wachstum. Erste Studien belegen die prinzipielle antitumorale Wirksamkeit der neuen Hemmstoffe. Welche Stellung ihnen in der Tumorbehandlung der Zukunft zukommt, ist bisher noch unklar.
Katja[a]
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