Toni[a]
Das schmerzhafte Sterben der Schwester
Gabriele Wohmann las autobiografisch gefärbte Texte in der Nürnberger Akademie
"Merkwürdig, wie unsterblich wir uns immer fühlen, wenn wir über die Sterbenden sprechen." Ein Satz aus Gabriele Wohmanns "Abschied von der Schwester", der uns Menschen nur zu deutlich an die Endlichkeit des Seins und an die eigene Sterblichkeit erinnert. Die prominente Schriftstellerin las auf Einladung des LiteraturClubs und des Presseclubs in der Nürnberger Akademie. Im gut besuchten Marmorsaal stellte Gabriele Wohmann ihren aktuellen Roman vor. Er basiert auf eigenen Erfahrungen und ist ihr bisher persönlichstes Buch; die Geschichte zweier Schwestern, die seit der Kindheit aufs engste miteinander verbunden sind. Als bei der älteren Schwester ein inoperabler Gehirntumor festgestellt wird, beginnt eine Zeit der Angst, des Hoffens und des langen Abschiednehmens.
Gabriele Wohmann hat literarisch verarbeitet, was sie selbst erlebte, das lange Sterben der geliebten Schwester. Natürlich "fiktionalisiert", wie die Autorin erklärt, eingestreut sind authentische Tagebucheintragungen. Die Nähe zur Schwester und der schmerzhafte Prozess des Loslassen-Müssens - diese bittere Erfahrung wird hier einfühlsam erzählt. Mit ihrer dunklen, geschulten Stimme verstand es Gabriele Wohmann, ihr Publikum zu fesseln. Wie sie da so saß, ganz in Schwarz, zierlich, nahezu mädchenhaft, wollte niemand aufstehen und in die Pause gehen. Berührt und nachdenklich blieben die Zuhörer sitzen. Die Zugabe fiel unterhaltsam aus, zwei ironische Essays. In "Nie wieder Klassentreffen" sind ja zum Glück nur all die anderen alt geworden und aus der Form gegangen, und man fühlt sich wahrlich nicht mehr zugehörig.
Und in dem köstlichen "Gibt´s denn wirklich Kühe im Himmel?" will der Psychologen-Enkel mit Spezialgebiet Verdrängung unbedingt die Oma therapieren; sie soll endlich ihre "verbrauchte Zeit aufarbeiten" und vor allem "loslassen". Dabei hat sie so gar nichts zu verdrängen.
Die 1932 in Darmstadt geborene Autorin - die 70 sieht man ihr gar nicht an - gilt als eine der wichtigsten Erzählerinnen der letzten Jahrzehnte. Seit dem Erscheinen ihrer ersten Erzählung 1957 hat sie zahlreiche Romane, Erzählungen, Theater- und Fernsehstücke, Hörspiele und Gedichte veröffentlicht. Im Fokus der Pfarrerstochter und Poetik-Dozentin stehen stets zwischenmenschliche Beziehungen mit ihren Alltagsproblemen, Ängsten, Enttäuschungen. In sprachlichen Nahaufnahmen beschreibt Gabriele Wohmann das allzu menschliche Verhalten ihrer Figuren. Viele Situationen kennt man selbst, deshalb berühren ihre Worte so oft bis ins Innerste. Michaela Höber
09.02.02
© NÜRNBERGER ZEITUNG