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Anne[a]

10. Mai 2006, Neue Zürcher Zeitung

Den Hirntumor zum Leuchten bringen

Bessere Operationsergebnisse mit neuer Diagnosemethode

Maligne Gliome sind rasch wachsende Hirntumoren ohne scharfe Begrenzung. Das macht ihre Entfernung schwierig. Bessere Operationsergebnisse verspricht die Fluoreszenz-gesteuerte Chirurgie. Doch auch diese Methode kann nicht alle Probleme lösen.

ni. Eine neue diagnostische Methode, bei der Zellen zum Leuchten gebracht werden, erlaubt es Neurochirurgen, ihre Patienten mit einer besonders bösartigen Form von Hirntumoren besser zu operieren. Dies hat eine deutsche Studie ergeben, die an 17 Spitälern durchgeführt und kürzlich in der Fachzeitschrift «Lancet Oncology» veröffentlicht wurde. In die Untersuchung eingeschlossen wurden 322 Patienten zwischen 23 und 73 Jahren, wobei die meisten um die 60 Jahre alt waren. Bei allen hatten die Ärzte aufgrund der vor der Operation durchgeführten Magnetresonanztomographie (MRI) ein malignes Gliom vermutet - was in den allermeisten Fällen durch eine mikroskopische Gewebeanalyse auch bestätigt wurde.

Tumor oder gesundes Hirngewebe?

In der Schweiz erkranken jährlich rund 500 Erwachsene an einem bösartigen Hirntumor, wobei das maligne Gliom am häufigsten ist. Zu dieser biologisch heterogenen Krebsart zählt auch das Glioblastom, an dem der ehemalige Schweizer Nationalratspräsident Jean-Philippe Maître im Februar gestorben ist. Alle diese Tumoren sind derart aggressiv, dass die meisten Patienten trotz chirurgischer Entfernung und anschliessender Strahlen- und Chemotherapie innert 12 bis 14 Monaten sterben.

Obwohl es widersprüchliche Studiendaten gibt, sind die meisten Fachleute der Ansicht, dass eine möglichst komplette Tumorentfernung die Prognose des Patienten verbessert. Hat der Krebs jedoch eine anatomisch-funktionell heikle Region infiltriert, etwa das Sprachzentrum oder motorische Areale, ist eine radikale Operation meist nicht mehr möglich. Was die Arbeit des Neurochirurgen zusätzlich erschwert, ist die Tatsache, dass maligne Gliome nicht scharf begrenzt sind. Der Arzt muss sich deshalb ständig fragen, ob er noch Tumor oder bereits gesundes Hirngewebe entfernt.

Bei dieser heiklen Frage soll die neue Diagnosemethode weiterhelfen. Dafür muss der Patient vor der Narkose eine Lösung aus 5-Aminolävulinsäure trinken. Diese Substanz, eine Vorstufe des roten Blutfarbstoffs, wird von verschiedenen Geweben im Körper aufgenommen. In den malignen Gliomzellen fördert die Aminolävulinsäure die Synthese und Ansammlung eines Protoporphyrin genannten Moleküls, das unter blauem Licht rot fluoresziert. So lassen sich die Tumorzellen mit Hilfe eines speziellen Operationsmikroskops, bei dem der Chirurg von weissem auf blaues Licht umschalten kann, leichter erkennen.

Wie Thomas Meinel von der deutschen Gliom-Studie erklärt, lassen sich im Gehirn mit dieser Methode spezifisch die bösartigen Gliomzellen färben. Das sei zum einen dadurch bedingt, dass es bei dieser Krebsart zu einer ausgeprägten Schädigung der Blut-Hirn-Schranke komme, was die Aufnahme der Aminolävulinsäure erst ermögliche; zum andern werde der Farbstoff in den Krebszellen nicht wie in gesunden Zellen sofort, sondern verzögert abgebaut.

Meistens keine Heilung

Die Fluoreszenz-Diagnostik sei einfach, billig und in Echtzeit durchführbar, betont der Studienleiter Walter Stummer, der sich seit Jahren mit dieser Methode beschäftigt. Und sie scheint auch tatsächlich die Operationsergebnisse zu verbessern, wie die jüngsten Studiendaten zeigen. So konnten die Ärzte damit bei 65 Prozent der Patienten den Krebs komplett entfernen; in der Kontrollgruppe, die unter weissem Licht operiert wurden, gelang dies nur bei 36 Prozent. «Komplett entfernen» heisst in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass der Chirurg jede Tumorzelle erwischt hat, sondern lediglich, dass auf dem MRI-Bild nach der Operation kein Tumorgewebe mehr nachweisbar ist; mit einer Heilung hat dies also nichts zu tun.

Stummers Studie konnte auch zeigen, dass die Fluoreszenz-gesteuerte Tumorentfernung die Chancen verdoppelte, dass die Patienten sechs Monate nach dem Eingriff noch immer «krebsfrei» waren. Ihr Anteil lag bei 41 Prozent; in der Kontrollgruppe waren es 21 Prozent. Doch auch dieses «progressionsfreie Intervall», das den Patienten meist eine gute Lebensqualität beschert, ist mit Vorsicht zu interpretieren, denn es beruht ebenfalls auf groben klinischen und radiologischen Kriterien. Ob die Patienten dadurch auch länger leben, geht jedenfalls aus der Studie nicht hervor. Dafür hätten mehr Patienten untersucht werden müssen. Immerhin aber scheinen die Vorteile der Fluoreszenz nicht durch Nachteile «erkauft» zu sein. So waren die beobachteten Nebenwirkungen in beiden Gruppen vergleichbar.

Für den Neurochirurgen Rolf Seiler vom Inselspital in Bern sind Stummers Studienresultate ermutigend. Seine Klinik wird die Methode, die seiner Meinung nach rasch zum Standard werden könnte, im Sommer ebenfalls einführen. Das heisse aber nicht, betont Seiler, dass man in Bern die Patienten mit einem malignen Gliom bisher schlechter operiert habe. Statt mit der Fluoreszenz-Markierung arbeitet man hier mit Gewebeschnitten, die während der Operation von einem Pathologen mikroskopisch untersucht werden. Mit solchen Schnellschnitten lässt sich laut Seiler mindestens so gut bestimmen, ob der Tumor ganz oder nur teilweise entfernt worden ist. Die Gewebeuntersuchung sei jedoch wesentlich aufwendiger, und man müsse die Operation bis zum Vorliegen der Resultate unterbrechen, räumt er ein.

Ein biologisches Problem

Auch andere Methoden zur Verbesserung des Operationsergebnisses bei bösartigen Hirntumoren sind in der Einschätzung von Experten nicht frei von Nachteilen. So ist etwa das während der Operation durchgeführte MRI so aufwendig, dass laut Seiler schlicht das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmt. Eine weitere Methode, die intraoperative Ultraschalluntersuchung, hat zwar den Vorteil, dass man damit auch über die Schnittebene hinaus «sehen» kann. Aber ihre Aussagekraft hängt stärker als bei anderen Verfahren vom Untersucher ab.

Selbst die computergestützte Navigation, die für die Planung des chirurgischen Zugangs zum Tumor hilfreich ist, hat Schwächen. Denn dieses System basiert auf MRI-Bildern, die vor der Operation aufgenommen werden. Das bedeutet, dass die Navigation mit fortschreitender Operation und der damit verbundenen Resektion von Hirngewebe ungenauer wird. Es kommt zu einem «brain shift»: Das Hirngewebe verlagert sich in Richtung des Operationsfeldes. Dieses Problem kann nur entschärft werden, wenn man das Navigationssystem zusätzlich mit Bildern speist, die während der Operation aufgenommen werden.

Welche diagnostischen Hilfen man auch immer einsetzt - für Rolf Seiler ist klar, dass es sich beim malignen Gliom weniger um ein technisches Problem handelt, das es zu lösen gilt, sondern vielmehr um ein biologisches. Weil die Infiltrationszone bei diesen Tumoren vier bis sechs Zentimeter betrage, komme es mit den heutigen Therapiemöglichkeiten immer wieder zu Rückfällen. Bedeutende Fortschritte seien erst möglich, so seine Überzeugung, wenn man die Molekulargenetik dieser Tumoren besser verstehe und sie dadurch auch gezielter angehen könne. Bis dahin wird Seilers langjährige Erfahrung ihre Gültigkeit behalten: «Bei den meisten Patienten geht es 6 bis 12 Monate gut, dann kommt der Rückfall. Und das ist dann der Anfang vom Ende.»

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