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Peter B.

Forschungszentrum Jülich: Mikroskopische Blicke auf das, was die Welt im Innersten zusammenhält

Deutschlands größte Wissenschaftseinrichtung sucht Antworten auf elementare Fragen: Wie schlägt das Herz? Was ist, wenn uns die Luft ausgeht?


Von Peter Sartorius

SZ Jülich , im Juli 2002

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Des Pfarrers Sexualleben

Das ganze komplexe System von Nervenreizen, die den Menschen lernen, handeln, denken, empfinden lassen, ist Zilles' Arbeitsgebiet, und er redet davon wie von einem Kraftwerk.Die Frage, sagt er, sei doch, ob 120 Hertz als Frequenz schädlich sind, schädlich fürs Gehirn. Bei 120 Hertz, fährt Zilles fort, würden Hirnregionen ausgeschaltet, die für Parkinson verantwortlich sind. Aber welche Nebenwirkungen hätte es, wenn man den Gehirnschrittmacher auf diese Frequenz schaltet? Könnte man mit ihr runtergehen? Könnte man damit psychische Erkrankungen bekämpfen, Epilepsie, Schizophrenie? Fragen, die zu immer neuen Fragen führen. Nebenbei erzählt Zilles noch eine tolle Story aus Schweden, jene vom Pastor, der in der Predigt von der Kanzel plötzlich seine sexuellen Gewohnheiten ausbreitete. Die Gemeinde vernahm es baff vor Staunen und die Pastorengattin mit rotem Kopf. Hochinteressant, sagt Zilles. Es erwies sich nämlich, dass der Pastor an einem Gehirntumor litt, der genau die Stelle lahm legte, die für soziale Kontrolle und damit für Tabus zuständig ist.

Alles also eine Frage von Transmittern, Rezeptoren, Schaltkreisen, Stromimpulsen und deren chemischen Reaktionen? Wieder dieser Gedanke, dass ein Gehirn nichts ist als eine Relaisstation - nein, anders: ein Schleusenwerk. Plötzlich glaubt man sie vor sich zu sehen, die elektrischen Ströme, Gehirnströme, wie sie das Gehirn formen, so wie dies Flüsse mit Landschaften tun, durch die sie sich graben.Zilles' Zierstück wird vorgeführt, das vier Millionen Jahre alte Gehirn aus der Zeit des Australopithecus Afarensis, das in unsere Zeit hinübergerettet wurde, weil sich die Knochenschale mit Erdschlamm füllte, der anschließend versteinerte. Aus dem Abdruck des Hirns lassen sich dessen Zentren rekonstruieren. Neuere Generationen von Hirnen werden per Computer darauf projiziert, und am Bildschirm ist dann im Zeitraffer die Evolution des Gehirns nachzuvollziehen. Man verfolgt, welche Regionen sich durch Millionen Jahre hindurch herausgebildet haben. Ein Hirn hat man vor sich, das sich wie ein Hefeteig bläht. Man beobachtet, wie über den Augenhöhlen Ausbeulungen wachsen und hört Zilles dozieren, dass dort soziales Verhalten angesiedelt sei. Die rechte Hirnhemisphäre sieht man anschwellen, wo ganzheitliche, kognitive Eigenschaften Platz finden. Dies, sagt Zilles, dies sei es, was den Menschen zum Menschen mache.

Eine plötzliche Idee: Was werden die Ausbeulungen mit dem Menschen noch machen? Werden sie ihn instand setzen, seine Zukunft zu meistern, oder werden sie ihm eines Tages, buchstäblich, über den Kopf wachsen? Die Kernfusion fällt einem wieder ein. In der Vergangenheit hat die Beschäftigung mit ihr zur schrecklichsten aller Schreckenswaffen geführt, der Wasserstoffbombe. Aber die vernichtende Kraft aus der Fusion von Atomkernen ist auch die schöpferische Kraft, die Leben ermöglicht. Was ist die Sonne anderes als ein einziger Kernfusionsreaktor, der Materie in einen Aggregatzustand jenseits von Gas versetzt, in 100 Millionen Grad heißes Plasma? Und jetzt ist man in Jülich dabei, die Sonne nachzubauen, ihr Prinzip zu kopieren, für friedliche Zwecke. Als Rohstoff braucht man dazu nur Wasser und Stein, und dies in marginaler Menge. Noch ist man weit vom Ziel entfernt: einem Reaktor, der mehr Energie liefert, als zu seinem Betrieb aufgewendet werden muss. Aber in zehn, zwanzig, dreißig Jahren...

Die immer wiederkehrende Frage: Was ist in zehn, zwanzig, dreißig Jahren? Was ist, wenn sich die Weltbevölkerung so vermehrt haben wird, dass nicht nur die Energie zur Überlebensfrage geworden ist, sondern auch die Frage, ob dem Menschen noch Luft zum Atmen bleibt?An den Flugzeugrumpf-ähnlichen Behälter erinnert man sich, durch den im Jülicher Forschungszentrum ein Laserstrahl geht. Eine Atmosphären-Simulationskammer ist er, gefüllt mit 370 Kubikmetern Luft, die nach Belieben gemixt werden kann, sodass sie der Wirklichkeit an einem gegebenen Ort entspricht, etwa der Atmosphäre über einem chinesischen Reisfeld zur Monsunzeit. Und dann werden Methan, Kohlenwasserstoff, Stickoxide, Kohlenmonoxid als Ingredienzien hinzugegeben, zum Intensivstudium, wie sich, zum Beispiel, menschliche Ausdünstungen und andere Schadstoffe auswirken. Derart präzise sind die Messungen, dass ein Fremdmolekül aus einer Milliarde Atmosphäre-Molekülen gefiltert werden kann. Vergleichbar genau, sagen die Detektive an der Kammer, wäre es, wenn bei der Analyse von Bodenseewasser entdeckt würde, dass jemand ein Schnapsglas Alkohol irgendwo in den See gegossen hat.

Und was ist in zehn, zwanzig, dreißig Jahren, wenn auch die Welternährung, mehr noch als heute schon, zur Überlebensfrage geworden sein wird? Antwortsuche in einem Gewölbe, wo unter der Decke Stahltöpfe, gefüllt mit Erdreich, zu besichtigen sind. Schläuche baumeln von ihnen und Flaschen hängen daran wie an kranken Körpern in der Intensivstation. Die Topföffnung ist oben, über dem Verlies, im Freien, Wind und Wetter ausgesetzt. Untersucht wird, welchen Weg Nässe nach dem Einsickern nimmt und welche Substanzen in welcher Tiefe in welcher Form ausgeschieden werden. Nebenan reihen sich Terrarien, in denen auf molekularer Basis Verflüchtigungsprozesse von Pflanzenschutzpräparaten verfolgt werden. Die Agrar-Forschung, notiert man dort, werde mit Hilfe von Nuklear-Chemie betrieben, der gleichen Technik, derer sich auch Karl Zilles zur Beobachtung der Hirntätigkeit bedient.

Jülicher Forschungen laufen immer aufs Gleiche hinaus.Und bei Ulrich Kaupp laufen sie zusammen, auch die wissenschaftlichen Disziplinen. Kaupp ist Professor für biophysikalische Chemie, ein Fach, das ihn prädestiniert, die Spermien von Seeigeln zu studieren, mit dem Effekt, dass er am Ende das Steuerventil findet, das im großen Schleusenwerk der Nervenströme eines Organismus den Schlagrhythmus des menschlichen Herzens reguliert. Wie viele andere im Jülicher Forschungszentrum richtet Kaupp seinen mikroskopischen Blick auf Zellwände. Nach Durchlässen durch die Zellmembran sucht er. Aber nicht das, was dort an Substanzen durchgeschleust wird, ist sein eigentliches Forschungsziel, sondern wie dies geschieht. Kaupp referiert: wie sich auf einen Nervenreiz hin eine Schleuse öffnet und Ionen ins Zellinnere gelangen lässt; wie diese Ionen dort das Zellpotenzial verändern und zum Auslöser sinnlicher Reaktionen werden.Ionenkanäle nennt man darum die Schleusen. Vor ein paar Jahren fand Kaupp den Kanal für die Lichterregung in den Sehzellen. Aber in welchem Bezug, fragte er sich, steht dieser Kanal zu den Kanälen, die für Riechen, Schmecken zuständig sind?
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