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Thema: Presse: Die doppelt gelungene Operation

Presse: Die doppelt gelungene Operation
Melanie[a]
14.08.2005 11:45:08
Die doppelt gelungene Operation

Uni-Klinik: Ärzte holten Kind per Kaiserschnitt und entfernten Hirntumor der Mutter. Eine Schwangere schwebt plötzlich in Lebensgefahr. Nur ein Team von Spezialisten kann ihr jetzt helfen.

Von Christoph Rind

Der kleine Max Alexander fühlt sich wohl auf dem Arm seiner Mutter. Er hat eine rosige Gesichtsfarbe und nuckelt zufrieden an seinem Schnuller. Die Aufregung der vergangenen zwei Wochen ist spurlos an ihm vorübergegangen. Das ist nicht selbstverständlich. Immerhin kam er fast zwei Monate zu früh auf die Welt, er wog nur 1985 Gramm. Wenn er mal größer ist und alles versteht, werden ihm seine Eltern viel zu erzählen haben - von seiner dramatischen Geburt und von "unserem Glück und der großen Dankbarkeit", wie sein Vater, Alexander Oelze (34), es ausdrückt.

Er und seine Frau Anke (31) haben ein Wechselbad der Gefühle durchlebt. Daß es diese junge Hamburger Familie überhaupt gibt, verdanken sie der "Tatsache, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein", sagt der junge Vater. Denn wäre er an diesem Abend vor zwei Wochen mit seiner Frau nicht ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) gefahren, hätte seine Frau wohl kaum überlebt - hochschwanger, plötzlich ohne Bewußtsein und mit einem hühnereigroßen Tumor im Kopf. Und so lief die dramatische Geschichte ab:

Anke Oelze hat, seit sie schwanger ist, immer häufiger Kopfschmerzen. Zuletzt sind es starke Migräneanfälle, die wöchentlich auftreten und sie dann bis zu zwei Tage außer Gefecht setzen. "Dann konnte ich nur noch im abgedunkelten Schlafzimmer im Bett liegen", sagt sie.

Von ihrer Frauenärztin erfährt sie, daß es in der Schwangerschaft zu extrem unterschiedlichen Reaktionen auf diese Schmerzen kommen kann. Bei manchen Migränepatientinnen verschwinden die Anfälle in dieser Zeit, bei anderen treten sie dagegen verstärkt auf. Acht Wochen sind es noch bis zum errechneten Geburtstermin. Ob es ein Junge oder Mädchen wird, wollen die Eltern, die ihr erstes Kind erwarten, nicht wissen. "Beim Ultraschall habe ich extra nicht hingesehen, wir wollten uns überraschen lassen", sagt die Mutter.

An jenem Abend vor zwei Wochen werden die Schmerzen im Kopf so stark, daß Anke Oelze es nicht mehr aushält. Auch ihr Mann wird ungeduldig und fährt sie ins UKE nach Eppendorf. Es ist nach 23 Uhr. Sie gehen auf die Entbindungsstation. Die kennen sie, weil sie sich hier auch für die Geburt angemeldet haben. Schnell ist klar: Mit dem Kind ist alles in Ordnung. Anke Oelze soll zur Beobachtung in der Klinik bleiben.

Am nächsten Morgen bekommt Alexander Oelze einen beunruhigenden Anruf. "Der Zustand Ihrer Frau hat sich sehr verschlechtert", erfährt er. Sofort eilt er in die Klinik. Anke Oelze ist zeitweise bewußtlos, schlägt dann auch um sich. Heute sagt sie: "Ich kann mich nur noch daran erinnern, ins UKE gekommen zu sein." Die Ärzte wollen eine präzise Aufnahme ihres Schädelinneren machen, im Magnetresonanztomographen (MRT), kurz auch Kernspin genannt. Das Gerät funktioniert ohne Röntgenstrahlen mit Hilfe magnetischer Felder und zeigt in Schnittbildern die Strukturen im Körper.

Anke Oelze wird narkotisiert und künstlich beatmet in die "Röhre" geschoben. Auf den Kernspin-Aufnahmen erkennen die Neuroradiologen und Neurochirurgen einen eiförmigen, sechs Zentimeter durchmessenden Tumor, ausgehend von der Hirnhaut, zentral in der linken Hirnhälfte. Ihre Diagnose: ein Meningeom.

Dieser Tumor entsteht, wenn Zellen der Hirnhautschicht ("Arachnoidea") entarten. Die Geschwulst verdrängt dann das umliegende Gewebe, wächst aber nicht in die Umgebung hinein und bildet auch keine Tochtergeschwüre (Metastasen) wie Krebszellen, die deshalb als bösartig gelten. "Dennoch ist der Begriff gutartig irreführend", sagt Prof. Dr. Manfred Westphal, Chef der Neurochirurgie im UKE. Denn auch diese Tumoren können lebenswichtige Strukturen verdrängen, führen oft zu einem erhöhten Hirndruck "und können einen auf der Stelle umbringen". Bei Anke Oelze war deshalb eindeutig "Alarmstufe rot", so Westphal.

Den Ärzten bleibt nur wenig Zeit, die entscheidenden Fragen zu klären. "Die Patientin mußte sofort operiert werden, das war klar, denn es waren die ersten Zeichen der Hirneinklemmung zu sehen", so Westphal. Was aber passiert mit dem Kind? Sollte dem Ungeborenen die mehrstündige Operation am Kopf der Mutter zugemutet werden? Oder soll zuerst das Kind per Kaiserschnitt geholt werden, ohne den lebensrettenden neurochirurgischen Eingriff an der Mutter zu verzögern?

"Das ist der große Vorteil einer Uniklinik", sagt Prof. Dr. Kurt Hecher, Chef der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin im UKE, "hier sind alle Spezialisten direkt verfügbar." Die Runde der Experten aus Neurochirurgen, Narkosespezialisten, Geburtshelfern und Kinderärzten entscheidet schnell: Das Kind sei in der 32. Schwangerschaftswoche lebensfähig. Kaiserschnitt und die Entfernung des Hirntumors sollen in nur einer Operation mit nur einer Narkose vorgenommen werden. "Ein auch im UKE besonderer Eingriff", sagt Prof. Dr. Alwin Goetz, Chef der Klinik für Anästhesiologie.

Der Kaiserschnitt ist für Oberarzt Dr. Gerhard Ortmeyer von der Frauenklinik "reine Routine". "Ich mußte nur meine Instrumente packen und ins Nachbargebäude in den OP der Neurochirurgen gehen", erzählt er. Bei dem Eingriff steht auch ein Kinderarzt mit einem fahrbaren Brutkasten bereit. Elf Minuten dauert der Kaiserschnitt. Dann beginnt der schwierigere Part der Neurochirurgen.

Prof. Westphal und sein Team operieren drei Stunden. Sie trennen die Kopfhaut auf, sägen eine Knochenscheibe aus dem Schädel und entfernen den Tumor. "Das Knochenstück wächst hinterher gut an", sagt Westphal. Der Patientin werden nicht mal die Haare abrasiert. Zwei Wochen später muß man auf dem Haarschopf genau hinsehen, um die Narbe zu erkennen.

Anke Oelze sieht man den schwierigen Eingriff nicht an. Die rechte Hand sei noch nicht wieder ganz so kräftig und geschickt wie vorher, sagt sie. "Aber das kommt bald wieder", sagt Prof. Westphal. Aus der linken Gehirnhälfte, dort wo der Tumor saß, wird die gesamte Motorik der rechten Körperhälfte gesteuert, ebenso auch alle Sprachabläufe. Anke Oelze erholt sich jetzt zunächst in einer Reha - von den Strapazen der vergangenen zwei Wochen. Nur eins sieht man ihr jetzt an: daß alles gutgegangen ist.





Hamburger Abendblatt Online - Samstag, den 13. August 2005 - 13:10 Uhr
Melanie[a]
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