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Eine Frau, die sich nicht unterkriegen lässt
Sonja Walter: Selbstständig trotz dreier schwer behinderter Kinder
Hoyerswerda/Lauta. Lausitzer Nachrichten
Manche Menschen trifft es im Leben besonders hart einige scheitern, andere leiden im Stillen. Drei der vier eigenen Kinder sind schwerstbehindert durch Krebs, Unfall und Zuckerkrankheit während der Schwangerschaft. In dritter Ehe heiratet Sonja Walter von Berlin nach Lauta ein und fünf Kinder dazu. Trotzdem hat sie sich selbstständig gemacht und führt einen Buchklub-Laden in der Hoyerswerdaer Altstadt.
Von Michael Hanschke "Ick bin een Berliner Kindl " , sagt Sonja Walter (42) über ihre Herkunft. Auch wenn sie dafür extra berlinert, sind ihre Sätze mit hauptstädtisch gesprochenen Wörtern gespickt. "Aber mir gefällt es hier. " Weggehen kommt für die Frau nicht in Frage. Die öffentlichen Wehwehchen, die in Lauta und Hoyerswerda herrschen, sind für sie Kleinigkeiten. Warum, wird klar, wenn Sonja Walter aus ihrem Leben erzählt eine Ansammlung von Schicksalsschlägen. Sonja Walter ist als viertes von sieben Kindern in Berlin Friedrichshain aufgewachsen. Zehn Klassen und die Lehre zur Fachverkäuferin schließt sie 1975 ab. Zwei Jahre später heiratet sie, Tochter Katrin kommt 1979 zur Welt. Bruder Rene folgt ein Jahr später und erkrankt im Alter von drei Jahren an einem Gehirntumor. Mit Chemo- und Strahlentherapie kann das Kind gerettet werden, jedoch nicht ohne schwere gesundheitliche Folgen. Rene, mittlerweile 21 Jahre alt, misst ganze 1,35 Meter. Er arbeitet in einer Behindertenwerkstatt. Mit der Krankheit des Sohnes scheiterte die erste Ehe. Tochter Katrin hat gerade die erste Klasse hinter sich, als ihre Mutter das nächste Unglück einholt. Juli '86, Sommertag, eine Landstraße irgendwo bei Berlin. Im grünen Skoda spielt Katrin mit ihrem Neffen. Der Fahrer ließ sich wohl ablenken, verreißt das Lenkrad und der Skoda knallt gegen einen Baum. Die Kopfstütze des Beifahrersitzes zerschmettert Katrins Stirn. Offene Schädelfraktur. Nach drei Monaten Krankenhaus darf Katrin nur einige Stunden pro Woche zur Schule. Sonja Walters zweiter Mann kommt aus Großräschen. Bei einem Konzert der "Modern Soul Band " kamen sie sich damals näher. Der Unfall der Tochter löste die erste Krise der jungen Ehe aus. Zwei Sachen halten die beiden zusammen: die Wohnung in Marzahn und die gemeinsame Tochter Sabine. Sie soll das einzige gesunde Kind Sonja Walters bleiben. Jeden Tag pendelt Sonja Walter von Marzahn in die Hoyerswerdaer Friedrichsstraße. Das wird ihr zu viel, sie wechselt vom Buch- und Zeitschriftenvertrieb der Nationalen Volksarmee in die Materialwirtschaft der Berliner Verkehrsgesellschaft. Den Job behält sie bis nach der Wende. 1996 ist die zweite Scheidung durch. Auf der Beerdigung des Schwiegervaters trifft sie ihren jetzigen Mann. Zwei Leid geprüfte Menschen finden zueinander. Bernd Walter (50) wurde auf dem Weg zur Arbeit von einem Auto angefahren. Der zertrümmerte Oberschenkelknochen und die Hüftfrakturen hielte ihn für ein Jahr im Krankenhaus. Als er nach Lauta zurück kam, ging seine Frau und ließ ihm die fünf Kinder da. Die zehnköpfige Familie organisiert sich ein neues Leben. Bei einem Arztbesuch stellt sich heraus, dass Sonja Walter Zucker hat. Das wäre nicht so tragisch, wäre sie nicht gerade schwanger gewesen. Es treten Komplikationen auf. Sonja Walters Vorahnungen, dass mit Maria etwas nicht stimmt, bestätigen sich fünf Monate nach der Geburt. Maria bekommt Zuckungen und epileptische Anfälle. Das Kind hat eine schwere Hirnschädigung, kann weder stehen noch laufen. Genaue Diagnosen über ihren Zustand sind noch nicht möglich. Die Kortison-Therapie begleitet eine schwere Lungenentzündung. Die Ärzte hätten sie fast schon aufgegeben, doch Maria sich nicht. Nach 14 Tagen Intensiv-Station kommt sie durch. Aufgeben wollte auch Sonja Walter nicht. Dass sie in ihrem Alter noch Arbeit bekommt, "kann man ja wohl vergessen. " Gern wollte sie in ihrem alten Metier arbeiten. Da sie selbst Mitglied im Buchklub ist, stand die Idee, eine Filiale in Hoyerswerda aufzumachen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten konnte die Frau im Dezember ihren Laden in der Friedrichsstraße eröffnen. "Es läuft, sicher. Aber Bäume ausreißen können wir trotzdem nicht. " Was die kleine Frau durch hat, sieht man ihr nicht unbedingt an, auch verdeckt es der feste Elan, mit dem Sonja Walter auftritt. Für sie ist das Unfassbare normal geworden, sie hat wie viele Eltern behinderter Kinder gelernt, mit ihrem Schicksal zu leben. "Was soll man auch machen, das ist nun mal alles nicht mehr zu ändern. "