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Berichterstattung

Europäische Konferenz über seltene Erkrankungen

Am 21. und 22. Juni 2005 fand in Luxemburg die "Europäische Konferenz über seltene Erkrankungen" statt. Dieses Meeting wurde von der "European Organisation for Rare Diseases" (EURORDIS) und ihren Partnern organisiert. Es ist eine wichtige Veranstaltung für all diejenigen, die mit seltenen Erkrankungen, wie z.B. der Diagnose Hirntumor, konfrontiert sind - sei es als Patient, Angehöriger, Patientenorganisation, Wissenschaftler oder Industrievertreter.

Zu Beginn der Konferenz wurden Probleme, die fast allen seltenen Krankheiten gemeinsam sind, aufgezeigt. Dazu zählen hauptsächlich eine Verzögerung der Diagnosestellung sowie ein unzureichender finanzieller Ausgleich.

Die Verzögerung der Diagnosestellung ergibt sich gerade aufgrund der Seltenheit der Krankheit und der daraus resultierenden Unsicherheit vieler Mediziner. So ergab die vorgestellte EurodisCare-Studie, dass 40% aller Patienten mit einer seltenen Krankheit zunächst eine falsche Diagnose erhalten und ein Großteil dieser Betroffenen daraufhin eine Behandlung erfährt, die bei richtiger Diagnose nicht durchgeführt worden wäre.

Patienten mit seltenen Krankheiten werden finanziell oft nur unzureichend unterstützt. Dies ergibt sich aus vielerlei Gründen: Einige europäische Länder zahlen keine Hilfen für Patienten mit seltenen Erkrankungen. Jedoch sind auch in Ländern, die grundsätzlich finanzielle Hilfe anbieten, Patienten mit seltenen Krankheiten oft benachteiligt, weil der Behinderungsgrad falsch eingestuft wird oder Gesundheitsprodukte für diese Krankheitsarten noch nicht anerkannt werden. Häufig reicht die gewährte finanzielle Hilfe nicht aus, um die kostspieligen Medikamente für seltene Krankheiten zu bezahlen.

Bei einem Vergleich nationaler Programme zur Verbesserung der medizinischen Versorgung an einer seltenen Krankheit leidender Patienten wurde offensichtlich, woran es in Deutschland, im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Ländern, mangelt: Es ist nach der präsentierten Erhebung das einzige der untersuchten europäischen Länder, welches keine öffentlich finanzierten Strukturen für seltene Krankheiten hat. So gibt es z.B. keine Zentren für seltene Krankheiten, keine Lenkungsausschüsse auf Ministerebene und keine offiziellen Datenbanken.

Ein weiteres Problem stellt die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Behandlungen in anderen EU-Staaten dar. Grundsätzlich hat die EU keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich Gesundheit. Die wichtigste Regelung gibt EU-Bürgern, die für eine Behandlung ins Ausland reisen, das Recht, dieselbe Behandlung wie Angehörige dieses Staates zu erhalten. Das Herkunftsland muss die Kosten tragen. Allerdings besteht die Hürde einer Genehmigung durch den Heimatstaat. Diese muss jedoch gegeben werden, wenn innerhalb einer angemessenen Frist im Heimatstaat die Bereitstellung einer gleichen Behandlung nicht möglich ist.

Anhand dänischer, belgischer und französischer Modelle wurde die Notwendigkeit von sogenannten Referenzzentren für seltene Krankheiten dargelegt. Ziel ist die Bündelung des Sachverstandes über eine spezielle seltene Krankheit für Fachkreise.

Ebenso wurde deutlich, dass gerade aufgrund der Seltenheit aber auch der Komplexität der Krankheiten eine Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen (Wissenschaft, Regierung, Patienten, Industrie) und verschiedener Fachbereiche nötig ist, und dass vor allem die Finanzierung dabei ein Hauptproblem darstellt. Angeregt wurden neben einem stärkeren Engagement der Politik deshalb v.a. die Teilung von Ressourcen und die Bildung von Partnerschaften. Zudem müsse eine Kooperation der Bereiche Politik, Soziales, Medizin und Psychologie angestrebt werden.

Durch Vernetzung und Verbindung verschiedener Interessenvertreter soll die Forschung über seltene Krankheiten vorangebracht werden. So herrschte Einigkeit darüber, dass zunächst eine Zusammenführung der Wissenschaftler stattfinden muss, sowohl durch Teilhabe an den Ergebnissen als auch durch Teilung der Ressourcen. Als erfolgreiche Ansätze wurden Kompetenznetzwerke präsentiert, die durch Initiative der Wissenschaftler oder der Patientenorganisationen entstanden. Es herrschte ein allgemeiner Konsens darüber, dass finanzielle Unterstützung, eine Vernetzung und europäische Zusammenarbeit notwendig sind.

Auch das seit 5 Jahren laufende "Orphan Drugs"-Programm der EU und seine bisherige Bilanz wurden vorgestellt. Ziel dieser Gesetzgebung ist es, der Pharmaindustrie Anreize zur Entwicklung von Medikamenten für seltene Krankheiten zu geben. 20 Medikamenten gelang über diesen Weg bereits die Marktzulassung (u.a. auch Glivec). Angemerkt wurde, dass eine neue Verordnung ähnlich dem "Orphan Drugs"-Programm in Planung ist, bei der die Entwicklung neuer Geräte für seltene Krankheiten gefördert werden soll.

Die Wissenschaft sah den Hauptnutzen der Gesetzgebung darin, beim Übergang von Tierversuchen zu klinischen Studien nicht allein auf die Finanzierung durch die Industrie angewiesen zu sein. Vom Standpunkt der Patienten wurde u.a. Kritik geübt: So müsse die Erreichbarkeit von Medikamenten für Patienten beschleunigt werden; angesichts der unfairen Preisgestaltung bei diesen Arzneimitteln wurde eine Art Katalogpreis angeregt. Die Seite der Industrie empfahl diverse Maßnahmen zur weiteren Förderung der Medikamentenentwicklung, z.B. Bildungsprogramme, um das Bewusstsein für seltene Krankheiten zu wecken und die Vereinfachung klinischer Studien. Insgesamt wurde jedoch deutlich, dass die "Orphan Drugs"-Gesetzgebung ein richtiger Weg ist, den es fortzusetzen gilt.

Alles in allem wurde in diesen zwei Tagen deutlich, auf welchen Gebieten Handlungsbedarf besteht und wo es noch Handlungsmöglichkeiten gibt: Einerseits müssen neue Referenzzentren geschaffen werden, um die richtige Diagnose stellen zu können und die bestmögliche Behandlung zu vermitteln. Hierfür sollte man über die Grenzen des eigenen Landes hinausschauen und die europaweite Behandlung vereinfachen bzw. bestehende Möglichkeiten effektiv nutzen. Dies kann nur bei einem ausreichenden Informationsfluss geschehen, so dass auch an einer europaweiten Vernetzung weiter zu arbeiten ist. Ebenso ist eine Zusammenarbeit der verschiedenen Interessengruppen notwendig, wobei es mit den auf der Konferenz vorgestellten Beispielen schon gute Ansätze gibt. Zusätzlich muss in finanzieller Hinsicht eine weitergehende Förderung erfolgen und zwar sowohl im Hinblick auf die individuellen Patientenbedürfnisse als auch auf den Forschungsbedarf.

Veröffentlicht von: Nancy Poser
Veröffentlicht am: 11. Juli 2005
Kategorie: überregional, wissenschaftliche Tagungen

Weitere Informationen: http://www.rare-luxembourg2005.org

Deutsche Hirntumorhilfe e.V.
Karl-Heine-Str. 27
04229 Leipzig

Tel.: 034 37-70 27 00
Fax: 034 37-70 27 27

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