Sandra[a]
Forschung im Wesen des Menschen
Hirnforscher der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf haben eine genaue Karte vom menschlichen Gehirn erstellt. Sie wissen, wie und wo die Liebe gemacht wird. Die Sache mit dem Gefühl und dem Gehirn ist ein alter Hut. Denn schon seit den 20-er Jahren ist bekannt, dass nicht nur die Denk-Leistungen im Kopf entstehen, sondern dort auch die Fantasie und sogar die Liebe gemacht werden. Damals stellten die Wissenschaftler fest: Im Gehirn gibt es bestimmte Stellen, die für die verschiedenen Funktionen, die einem Lebewesen zu eigen sind, zuständig sind. Für eine ganze Weile war die damals festgelegte Aufteilung des Gehirns in 91 Abschnitte maßgeblich. Bis schließlich in den 40-er Jahren ein Streit darüber entbrannte, ob diese Aufteilung denn überhaupt ausreichend sei.
Die Hirn-Tätigkeit zu begreifen, war Karl Zilles schon während seines Medizinstudiums Ende der 60-er Jahre in Frankfurt und Tübingen ein großes Bedürfnis. Heute leitet der 59-Jährige das C. u. O. Vogt-Institut für Hirnforschung an der Heinrich-Heine-Universität und hat mit seinen Mitarbeitern die weltweit erste, akzeptierte Karte von Hirnarealen erstellt.
20 Prozent der Hirnoberfläche hat Zilles kartiert und kennt bisher 50 verschiedene Areale. Insgesamt erwartet er mehrere hundert. Er weiß, wo die "Kommandozentrale" sitzt, die entscheidet, ob sie einen Befehl an die rechte (räumliches Denkvermögen) oder an die linke (sprachliches Denkvermögen) Gehirnhälfte sendet. Er weiß, welche Netzwerke aktiv sind, wenn sich jemand ängstigt und welches Zusammenspiel von Mechanismen die Aggression "macht".
Gemeinsam mit seinem langjährigen Wissenschaftler-Kollegen, dem Ingenieur Axel Schleicher, hat Zilles ein Verfahren entwickelt, das es den Forschern ermöglicht, auf dem Computerbildschirm nachzuvollziehen, was im Gehirn bei welcher Aktion gerade in Bewegung ist. Ein Beispiel: Geht es nur darum, ein Wort nachzusprechen, sind weniger Netzwerke aktiv als wenn es gilt, eine ganze Assoziationskette zu bilden und diese zu nennen.
"Die Hirnregionen bilden stets unterschiedliche Muster je nach Aktion", erklärt Zilles. Und jedes Gehirn ist anders. Allein im Gewicht können große Unterschiede ausgemacht werden. "Ein Gehirn kann zwischen 1000 und 1800 Gramm schwer sein." Überdies nimmt man an, dass auch die Größe einzelner Hirnareale von Bedeutung ist. "Bei einem Pianisten hat man die Region der Fingerfertigkeit überprüft und festgestellt, dass diese viel größer ausgebildet ist als bei anderen Menschen", sagt Zilles.
Derartiges ist für den Arzt und Forscher allerdings nur zweitrangig. An erster Stelle stehen die vielen Möglichkeiten, mit denen die Karte medizinische Operationen und Heilungsprozesse unterstützt. "Wir können bei einem Gehirntumor genau sagen, wo er sitzt und welches Areal beim Entfernen zerstört wird, und wir können neurologische und neurochirurgische Therapien verbessern, beispielsweise wenn es darum geht, das Zittern von Parkinson-Patienten zumindest zeitweise zu stoppen."
Die mögliche Beeinflussung von Hirn- und letztlich Persönlichkeitsfunktionen geht weit. Nach Auskunft von Zilles ist es theoretisch sogar möglich, "die Irrwege" von Sexualstraftätern operativ zu entfernen. "Wir können zunehmend tiefer in das Wesen des Menschen eingreifen", sagt Zilles nachdenklich. Und es ist sehr in seinem Sinne, dass vor allen nicht etablierten Operationen die Prüfung der Ethikkommission steht.
Die Arbeiten von Professor Karl Zilles und seinem Team sind zuletzt in den beiden internationalen Wissenschaftsmagazinen "Science" und "Natur" veröffentlicht worden, was in der Forscherwelt einem "Ritterschlag" gleichkommt. Die Finanzierung der zukünftigen Forschungen sind zumindest für die nächsten fünf Jahre gesichert - die Amerikaner haben das übernommen!
Von Sema Kouschkerian
WZ 08.08.03 Düsseldorf