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Thema: Presse: Gezielter Angriff im Kopf

Presse: Gezielter Angriff im Kopf
Antje[a]
13.04.2006 18:17:26
05.04.2006 Berliner Zeitung


Gezielter Angriff im Kopf

Der Hirntumor Glioblastom ist besonders aggressiv.
Neue Therapien verlängern die Überlebenszeit der Patienten

Thorsten Braun

Seine Eigenschaft, in gesunde Gehirnregionen einzudringen und mit ihnen fest zu verwachsen, macht das Glioblastom zu einem der heimtückischsten und am schwierigsten zu bekämpfenden Tumoren. Bislang ist die Krebsart unheilbar, die mittlere Überlebensdauer beträgt nach der Diagnose nur ein Jahr. Der Tumor entsteht durch die genetische Veränderung von Stützzellen, die zwischen den Nervenzellen liegen - auch Gliazellen genannt. Rund neunzig Prozent aller Gehirnzellen sind Gliazellen.

Das Glioblastom macht sich durch epileptische Krampfanfälle, halbseitige Lähmungen, Veränderungen der Persönlichkeit oder Sehstörungen bemerkbar. In Deutschland erkranken jedes Jahr rund dreitausend Menschen neu an einem Glioblastom. "Wir gehen davon aus, dass der Tumor oft erst seit wenigen Wochen oder Monaten besteht, wenn die ersten Symptome auftreten", sagt Michael Weller, Neurologe an der Universitätsklinik Tübingen.

Die Standardtherapie bestand lange Zeit darin, das Tumorgewebe so weit wie möglich operativ zu entfernen und anschließend das Tumorumfeld radioaktiv zu bestrahlen. Doch diese Behandlung ist nicht besonders erfolgreich. Weller: "Da sich der Tumor nicht eindeutig vom gesunden Gewebe abgrenzen lässt, gelingt es nicht, ihn komplett zu beseitigen." Durch die Operation verringere sich allerdings der Druck auf das gesunde Gewebe. "Infolgedessen lassen die neurologischen Störungen meist nach", sagt Weller.

Doch selbst bei einer großzügigen Entfernung des Glioblastoms verbleiben einzelne Tumorzellnester in der Umgebung der Operationsstelle. Auch mit der anschließenden Strahlentherapie lassen sich diese nicht vollständig vernichten. Unausweichlich kommt es dann zu einem erneuten Ausbruch der Erkrankung.

Krebsmediziner suchen daher nach neuen Behandlungsmöglichkeiten... Zum Beispiel eine Therapieform, die Weller und eine Reihe weiterer Wissenschaftler klinisch erprobt haben. In einer weltweit angelegten Studie zeigten die Forscher, dass der Einsatz des Chemotherapeutikums Temozolomid die Überlebenszeit von Glioblastom-Patienten im Durchschnitt um zehn Wochen verlängern kann... Weller sieht in diesem Ergebnis einen großen Fortschritt. Jürgen Kiwit, Professor für Neurochirurgie am Helios Klinikum Berlin-Buch, überzeugen diese Ergebnisse aber nicht: "Sie erkaufen den kleinen Gewinn an Überlebenszeit mit teilweise sehr schweren Nebenwirkungen", sagt Kiwit, der selbst schon Patienten mit Temozolomid behandelt hat. "Die Patienten litten an Depressionen und zeigten starke Veränderungen im Blutbild", berichtet Kiwit. Es sei extrem unlogisch, einen Tumor, der auf das Gehirn begrenzt ist und keine Metastasen bildet, mit einer Ganzkörpervergiftung zu bekämpfen.

Kiwit setzt auf Therapien, die den Tumor lokal angreifen. Er und seine Mitarbeiter haben einen neuen Ansatz entwickelt und diesen in einer Pilotstudie bei rund fünfzig Patienten erprobt, deren Glioblastom trotz Operation und Strahlentherapie wiedergekehrt war. Sie entfernten den Tumor erneut und gaben anschließend eine Paste in die Operationsstelle hinein. Die Paste enthielt die beiden Chemotherapeutika Taxol und Carboplatin, die in kleine Fettkügelchen (Liposomen) verpackt waren. Die Liposomen dienen als eine Art Fähre, die die beiden Wirkstoffe in das umgebende Gehirngewebe transportiert. Dort werden die Zellgifte über mehrere Tage hinweg langsam freigesetzt. Mit Hilfe der neuen Methode überlebten die Patienten im Mittel um weitere 193 Tage. In einer klinischen Studie mit einer Vergleichsgruppe will er sein Verfahren bald an weiteren 100 Patienten testen.

Welche Art von Therapie ein Patient erhält, darüber entscheiden künftig vermutlich genetische Untersuchungen. Denn Glioblastome verschiedener Patienten sehen unter dem Mikroskop zwar sehr ähnlich aus, die genetischen Veränderungen jedoch, die zu ihrem Entstehen aus einer normalen Gliazelle geführt haben, können sehr unterschiedlich sein. Mittlerweile ist es möglich, solche Veränderungen mit Gentests und anderen molekularbiologischen Methoden zu charakterisieren. Gelänge es nun, anhand einer bestimmten genetischen Veränderung vorauszusagen, wie hoch die Erfolgsaussicht einer bestimmten Behandlungsmethode ist, könnten Mediziner die Therapien zielgerichteter als bisher einsetzen.

Ein Gen, das die Bauanleitung für ein Eiweiß mit dem Kürzel MGMT trägt, könnte der erste dieser genetischen Marker sein. Mit Hilfe von MGMT reparieren Zellen Schäden in ihrer Erbsubstanz. Stellen nun Tumorzellen aufgrund einer Veränderung im entsprechenden Gen kein MGMT mehr her, sind sie besonders empfindlich gegen Chemotherapeutika. Weller und seine Kollegen haben herausgefunden, dass ein nicht mehr funktionierendes MGMT-Gen darauf hinweist, wie gut Glioblastom-Patienten auf eine Chemotherapie ansprechen. In einer Untersuchung, die 206 von 573 Teilnehmern ihrer weltweit angelegten Studie umfasste, fanden sie bei 92 Patienten das veränderte MGMT-Gen im Tumorgewebe. 46 dieser Patienten erhielten eine Strahlentherapie und 46 eine Strahlentherapie plus Chemotherapie. Die mittlere Überlebenszeit der Patienten aus der ersten Gruppe betrug 15,3 Monate, die der Patienten aus der zweiten lag mit 21,7 Monaten deutlich über der von Patienten, deren Tumorzellen kein verändertes MGMT-Gen besaßen.

Zurzeit ist der Nachweis dieser Veränderung noch sehr aufwändig. Weller hofft, dass es in zwei Jahren einen einfacherenTest gibt.

NEJM, Bd. 352, S. 987 und 997
Antje[a]
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