Glioblastom-Therapie mit rekombinantem Polio-Virus
Dienstag, 26. Juni 2018
Eine gentechnisch hergestellte Kombination aus Polio- und Rhinovirus könnte das Leben von Patienten mit Glioblastom verlängern. Das zumindest stellen Forschern der Duke University in einer unkontrollierten Phase-I-Studie in Aussicht, die sie gestern auf der International Conference on Brain Tumor Research and Therapy in Bergen vorgestellt und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert haben (2018; doi: 10.1056/NEJMoa1716435).
Das rekombinante Polio-Virus wird direkt in das Tumorgewebe injiziert. Im Rahmen der Studie wurden 61 Patienten mit Glioblastom über einen Zeitraum von bis zu 5 Jahren mit den rekombinanten Viren therapiert. Von den Patienten lebten 2 Jahre nach dem Eingriff noch 8 (21 %) und 4 Jahre nach dem Eingriff noch mindestens 3 (bei den anderen 5 Versuchsteilnehmern sind noch keine 4 Jahre seit der Behandlung vergangen). 2 Patienten lebten auch noch fast 6 Jahren nach der Therapie.
In einer historischen Kontrollgruppe mit 104 Patienten, die früher am selben Universitätskrankenhaus behandelt worden waren, lebten nach 2 Jahren noch 14 (13 %) und nach 4 Jahren noch 2 Patienten (2 %). Problem ist, dass sich die Interventionsgruppe deutlich von der retrospektiven Kontrollgruppe unterschied. Zudem erhielten immerhin 52 von 61 Patienten unmittelbar nach der Virotherapie eine zusätzliche Therapie.
Prinzipiell hält Wolfgang Wick vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) den Ansatz mit Polio-Rhinoviren für sehr interessant. Die Virus-Chimäre war so genetisch verändert, dass sie Zellen über den Poliovirus-Rezeptor CD155 infiziert, ohne dabei neurotoxisch zu wirken. Diese Toxizitätsergebnisse ordnet der Leiter der Klinische Kooperationseinheit Neuroonkologie am DKFZ als „gut“ ein. Hierfür war die Studie seiner Meinung nach ausgelegt. Nach Angaben der Forscher wird CD155 besonders häufig in Tumoren exprimiert. Indem sich das gentechnisch veränderte Virus in den Glioblastom-Zellen anreichert, soll es lokale Immunreaktionen auslösen.
Einerseits sei es beeindruckend, dass offenbar 8 Patienten längerfristig ein Plateau erreicht hätten und über einen Zeitraum von mehreren Jahren überlebten. „Andererseits sind spontan langzeitüberlebende Patienten in der bisherigen Entwicklung in der Neuroonkologie meist das Produkt molekularer Ausgangsvoraussetzungen im Tumorgewebe und unerfreulicher Weise nicht das Produkt der eigentlichen Therapie.“ Als Beispiel nennt Wick eine vermehrte IDH-Mutation in den virusbehandelten Patienten.
„Die Aussage, dass momentan bei 20 % Überlebenswahrscheinlichkeit ein Plateau erreicht ist, ist nicht unbedingt falsch, aber durchaus grenzwertig“, erklärt der Leiter des Christian Doppler Forschungslabors für virale Immuntherapie von Krebs. Denn bislang hätten lediglich 2 der 61 Probanden mindestens 6 Jahre überlebt. Von den anderen, die noch leben, haben einige erst vor rund einem Jahr das rekombinante Virus erhalten. Langzeit-Daten liegen noch nicht vor.
Wicks Fazit weicht daher etwas von dem der Studienautoren ab: „Die bereits mehrfach in Teilen präsentierten Studienergebnisse zeigen aus meiner Sicht die Durchführbarkeit des Ansatzes, helfen jedoch nicht, insbesondere wegen der massiven Co-Behandlung der Patienten und der konzeptionellen Mängel bei der Verwendung historischer Kontrollen, die Therapie klinisch einzuordnen.“
Bereits früher gab es wissenschaftliche Publikationen zu dieser Langzeit-Studie (J Virol. 2014, PVSRIPO for Recurrent Glioblastoma). Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hatte im Jahr 2016 dem rekombinanten Virus die Bezeichnung „Durchbruch-Therapie“ für Patienten mit wiederkehrendem Glioblastom zuerkannt.
Eine Phase-II-Studie soll jetzt prüfen, ob sich die Ergebnisse an einer größeren Patientengruppe reproduzieren lassen.
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