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Thema: Presse: Hatte Sie eine Chance?

Presse: Hatte Sie eine Chance?
Anne[a]
27.07.2005 13:24:10
Sie hatte keine Chance, und lebte mit dieser Gewissheit.

Im Sommer 1994 veränderte sich Ihr sonst so sorgenfreies Leben vollkommen. Sie fing an sich zu fragen, ob mit ihr alles in Ordnung sei. Immer häufiger vergaß sie lapidare Dinge, konnte sich schlecht an Ereignisse der letzten Tage zurück erinnern. Dazu kamen diese markanten Kopfschmerzen. Immer und immer wieder.

Die Abstände wurden kürzer.

Ihr Mann wollte, dass sie zum Arzt ging. Noch ging sie aber nicht hin. Hatte sie Angst? Als die Kopfschmerzen unerträglich wurden und einhergingen mit einem Taubheitsgefühl im Gesicht, ging sie endlich zum Arzt. Nach etlichen Gesprächen, gefolgt von zahlreichen Untersuchungen und Tests gab es Gewissheit. Jene zermürbende und unantastbare Gewissheit, die kein Mensch mit einem Wimpernschlag hinnimmt.

Sie hatte Krebs, einen Hirntumor, der Arzt sprach von einem Glioblastom. Hätte es etwas geändert, wenn sie früher zum Arzt gegangen wäre? Wie würde es nun weiter gehen? Was hatte sie für Chancen, welche Therapiemöglichkeiten gäbe es? All diese Fragen spukten ihr auf einmal im Kopf herum.

Als sie an ihre Familie, ihren Mann und die zwei Kinder dachte, traf es sie, wie einen Faustschlag in die Magengrube. "Was wird aus meiner Familie?" Immer und immer wieder kreisten ihre Gedanken um diese eine Frage.

Es vergingen nur wenige Tage, da wusste sie bescheid. Sie sollte in der Uniklinik operiert werden. Vom Chefarzt höchst persönlich. Na dann würde ja alles gut werden. Langsam aber sicher beruhigte sie sich. Schließlich bräuchte sie alle Kraft nach der Operation. Für sich und die Kinder!

Ihr Mann ging im Wohnzimmer auf und ab, die Kinder saßen auf den Stufen hoch zum Esszimmer. Nie hatten sie ihren Vater weinen sehen. Was war los? Worauf wartete er? Er wartete sehnsüchtig auf einen Anruf aus der Uniklinik. Das Telefon klingelte. Der Familie kam es unendlich bedrohlich und laut vor. Der Vater eilte um das Gespräch anzunehmen. Ihm stiegen die Tränen in die Augen, er nickte, murmelte etwas und legte hektisch den Höre auf. "Kinder", sagte er, "Mama geht es gut!". Sie hatte die Operation gut überstanden. Die Erleichterung war allen ins Gesicht geschrieben. Noch durften sie nicht zu ihr, aber bald, ja bald würde sie wieder zuhause sein.

Im Frühjahr 1995 war von der Anstrengung, von dem Stress und der Trauer in der Familie nichts mehr übrig geblieben. Wahrlich war es nicht einfach in dieser Zeit. Die Qualen der Operation waren gering im Gegensatz zu dem, was sie danach erwartete. Schlimm war es während der Chemotherapie, die Medikamente hatten enorme Nebenwirkungen. Aber all das nahm sie auf sich weil sie ihre Familie nicht allein lassen wollte.

Der Tumor war vollständig entfernt worden, die Therapie hatte also zu 100% angeschlagen. Wie neugeboren fühlte sie sich. Sie war sich ihres Lebens bewusst. Genoss jede Minute mit ihrem Mann und den Kindern. Doch der Schein trog!

Im Winter 1996 wusste sie es! Sie spürte es, der Tumor war wieder gekommen. Doch diesmal war die Diagnose endgültig. Es riss ihr erneut den Boden unter den Füßen weg. Nach etlichen Tests kam das schockierende Ergebnis: Inoperabel! Es ist ein schreckliches Wort! Es ist hässlich, böse und so verdammt endgültig.
Die Ärzte sagten ihr, sie habe noch etwa 6 Monate zu leben. 6 Monate! Sie wollte doch noch so viel erleben. Erleben wie sie und ihr Mann mir grauen Haaren auf einer Bank sitzen. Wie ihre Kinder Abitur machen und heiraten, irgendwann. Sie wollte mit Ihren Enkelkindern durch den Garten toben. Sollte all das nun vorbei sein? Was macht man mit 6 Monaten Leben?

Trotz der Diagnose "Inoperables Glioblastom" wurde sie ein zweites Mal operiert. Nach der Operation war nichts mehr so, wie es einmal war. Die Ärzte teilten ihrem Mann mit, dass sie, wie vermutet, nicht den gesamten Tumor entfernen konnten. Sie sprachen offen und ehrlich über ihren weiteren Weg. Zählten ihrem Mann, dem Vater ihrer Kinder, die kommenden Krankheitsstadien auf. Es war hoffnungslos! Da stand er nun, mit der Gewissheit, dass er in ein paar Monaten ohne die Liebe seines Lebens dastehen würde und sich allein um die Kinder kümmern würde.
Aber er gab sie nicht auf, holte sie nach hause und genoss jede weitere Minute mit ihr und den Kindern. Auch wenn es die Letzten waren. Er pflegte sie, baute die Kinder immer wieder auf und zeigte Stärke. Stärke die man wohl nur in einer solchen Situation entwickeln kann.

16.05.1997 - Sie ist gestorben. Inmitten ihrer Familie. Umringt von ihren Kindern, ihrem Mann, ihrem Bruder und dem Rest der Familie. Friedlich ist sie eingeschlafen, hat sich nicht länger gequält. Sie war eine Kämpferin, eine taffe Geschäftsfrau, eine liebende Ehefrau und Mutter. Nie hat ein Familienmitglied an ihr gezweifelt oder sie gar vergessen Nie!

Diesen Artikel widme ich meinem Vater, der in dieser Situation immer die Ruhe bewahrt hat, Stärke bewiesen hat und meinem Bruder und mir in dieser Zeit Trost gespendet und Mut gemacht hat. Papa du bist mein Ein- und Alles! Außerdem widme ich diesen Artikel meinem kleinen Bruder - durch dieses schreckliche Ereignis sind wir noch stärker zusammen gewachsen. Kleiner ich liebe dich!

Aber vor allem ist dieser Artikel für eine starke, liebevolle, perfekte, mutige, intelligente, schöne und atemberaubende Frau: für meine Mutter! Die als Schutzengel einen festen Platz in meinem Herzen innehat. Mom, ich vermisse Dich jede Minute meines Lebens, mach Dir keine Sorgen, wir haben unser Abitur geschafft und an den Enkeln arbeiten wir später. Kuss!

ngz-online26.07.05
Anne[a]
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