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Thema: Presse: Helden des Widerstands

Presse: Helden des Widerstands
Katja[a]
27.02.2005 19:21:48
Montag, 28. Februar 2005
Berliner Zeitung

Helden des Widerstands

Gesundheit! - aber was ist das? So gesund kommen wir jedenfalls nie wieder zusammen

Klaus Georg Koch

Wenn wir zum Arzt gehen, dann fragt uns der Arzt: Was fehlt Ihnen, oder: was fehlt Dir? Die Frage wird so seit der Antike gestellt. Doch nie lautet die Antwort, mir fehlt eine freie Nase oder ein ungebrochener Arm. Der Kranke hat etwas, und das, was er hat, will er loswerden; ein Schwindelgefühl zum Beispiel, einen Gehirntumor, einen Katarrh, einen gebrochenen Arm. Wer etwas hat, aber nicht genau sagen kann, was, ein non so che, wie der Italiener lyrisch sagt (ein je ne sais quoi im Französischen), der geht nicht zum Arzt, sondern zu einer Freundin oder einem Freund.

Der Gesunde aber hat - nichts. Deswegen ist es so schwierig, über Gesundheit zu sprechen. Man kann zwar morgens aufwachen und zu dem Schluss kommen, ich bin krank. Aber wer sagte sich je an einem normalen Tag beim Sprung aus dem Bett, ich bin gesund? So ist die Gesundheit ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Da-rin erinnert sie an die Zeit, über die wir, nach Augustinus, ebenfalls viel wissen, solange wir es nicht erklären müssen. Die Zeit nehmen wir wahr, wenn sie vergeht. Dass sie vergeht, macht uns Sorge.

Dennoch ist die Gesundheit, wie man so sagt, in aller Munde. Wem gar nichts mehr einfällt, der kommt am Ende auf die Gesundheit zu sprechen, und findet doch wieder Zuhörer. Das Thema Gesundheit betrifft eben jeden. Oder anders gesagt: Es ist der Schlüssel zum Egoismus selbst. Krankheit verschärft zwar zunächst die Eindringlichkeit des Wortes "Ich"; wer sagen kann, "ich bin krank", der zieht Interesse und Hilfsbereitschaft auf sich. Manche werden deswegen krank. Viele gehen deswegen zum Arzt. Aber auf Dauer ist natürlich Gesundheit die Voraussetzung, um genussvoll und vor den Augen der Andern "Ich" sagen zu können.

Jeder will gesund sein. Gesundheit setzt man gleich mit Glück, das Glück wiederum "gilt uns als Endziel der Menschennatur", wie Aristoteles es in seiner "Nikomachischen Ethik" einmal definiert. Damit steht Gesundheit ursprünglich nicht im Horizont der Rezepte, der Ratschläge, Einkaufstipps und Fitnesslehren, sondern eben in jenem der Ethik. Gesundheit war danach ein Zustand der Harmonie im Kosmos, aus welchem der Einzelne in jeder Hinsicht hervorging und dessen Teil er blieb. Daher ist die Gesundheit eine somatische Tugend, so wie die moralische Tugend als Seelen-Gesundheit verstanden wurde. Cicero empfahl wiederum die Vernunft als "sokratische Medizin"; im Wort vom "gesunden Verstand" klingt etwas davon bis in die Gegenwart nach.

Was heute "Wellness" heißt, reflektierte die Antike also umfassend unter dem Begriff der "Eudaimonia", als Lehre vom rechten Leben, das zur Glückseligkeit führen soll. Aristoteles stellt zwar noch strenge Maßstäbe auf - "für die Mehrzahl der Menschen", so schreibt er, "ist bekanntlich die Lockung des Genusses der Grund, warum sie sich täuschen. Denn der Genuss ist kein echtes Gut, sondern scheint nur als solches". Aber der Eudaimonismus erlag doch immer wieder der Versuchung, den Genuss mit dem Glück gleichzusetzen, als "Hedonismus" hat diese Richtung Schule gemacht. Immanuel Kant verwendet "Eudaimonisten" dann als Schimpfwort für all diejenigen, die für ihr Handeln keinen Grund mehr anerkennen, der außerhalb ihrer selbst läge (also auch nicht die von ihm geschätzte Pflicht).

Auch im Blick auf unsere Gesundheit gäbe es Bestimmungsgründe, die zumindest außerhalb der Gesundheit selbst liegen. Die Mutter, die Kinder auf die Welt bringt, gibt dafür ein Stück ihrer Gesundheit, auch der Vater, der sich um seine Familie kümmert, hat weniger Zeit für die Unterhaltung des eigenen Körpers. Das gleiche gilt für die Inhaber vieler Ämter, für Leute, die sich für ein Werk oder eine Sache aufopfern. Der prominenteste Kranke dieser Tage, der Papst, weist mit seinem Leiden sogar darauf hin, dass es über die Schönheit und den Genuss des Körpers hinaus Bedeutenderes gebe.

Umgekehrt lohnt es sich daher zu fragen, ob der Gesundheitskult unserer Tage nicht ein Zeichen für eine gewisse Leere ist an anderem Ort. Historisch war es wohl nie so einfach und normal, gesund zu bleiben, wie gegenwärtig in unseren Breiten. Warum also soviel Aufhebens um das gesundheitliche Wohlbefinden? Wellness als Praxis des Schmeichelns für Psyche und Körper, von denen man glaubt, sie hätten Schmeichelei verdient oder nötig, das trägt eben doch Zeichen einer Selbstmedikation ohne präzisen Befund. Fehlt Ihnen etwas? Die Frage hat uns niemand gestellt. Wenn doch nur jemand fragte! Der Wellness-Bewegte gibt sich schon einmal eine Antwort darauf. (Ob es die richtige ist?)

Wie der Sportler, der sich verausgabt, nicht herauskommt aus der Gleichzeitigkeit von Überschreitung des Ich und rauschhaft gesteigertem Narzissmus, so ist beim durchschnittlich Wellness- orientierten der Egoismus stets auch eine Form von Gesellschaftlichkeit. Gesundheitspflege ist ein Verhaltenstrend, der unweigerlich ein bestimmtes Konsumverhalten mit sich bringt, Gelegenheitsausrüster wie Aldi oder Tchibo haben wach darin eine Einkommensquelle entdeckt. Man wird zwar sagen, handeln ist immer besser als behandelt werden, verglichen mit dem Durchschnittsdeutschen, der sich Statistiken zufolge täglich dreieinhalb Stunden an die Existenzdrainage des Fernsehens anschließen lässt, wird jeder Freizeitsportler zum Helden des Widerstands. Aber ein ganzheitliches Konzept, wie es die Gesundheits-Kosmologie seit der Antike empfiehlt, ist damit von selbst nicht erreicht. Derzeit wächst die Furcht vor dem Feinstaub. Man sorgt sich, fährt in der Freizeit ins gesündere Grün, und fährt doch den Dieselkombi ohne Rußfilter. Gegenüber der Gesellschaftlichkeit der Krankheiten und ihrer Ursachen ist die individualistische Gesundheits-Sorge oft nur Illusion.

Jede Zeit hat ihre Techniken, dem Genuss, vielleicht auch der Glückseligkeit näher zu kommen. Die Begründungen, die Techniken, die Moden ändern sich. Wer vor dreißig Jahren mit der Flower-Power-Bewegung ging, der lässt sich heute im Entspannungs-Bad massieren. Nicht die Sorge um die Gesundheit ist daher der eigentlche Antrieb der gegenwärtigen Gesundheits-Bewegung, insgesamt gesehen sind wir ja so gesund wie nie. Es ist die Angst vor dem Alter, die eine Gesellschaft vorantreibt, die sich als alternde erfährt. Der Einzelne sucht nach Mitteln, seinen Verfall zu verlangsamen, den Krankheiten des Alters vorzubeugen. Streng statistisch gesehen, ist das wohl eine Minderheit, die Mehrheit sitzt, wie festgestellt, vor dem Fernseher. Als Stimmung aber hat es viele ergriffen. Die Antwort auf die Frage, was fehlt Dir?, lautet mehr und mehr: Die Zeit.
Katja[a]
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