Erika[a]
Hirntumore unter Kreuzfeuer
Mediziner beherrschen punktgenaue Bestrahlungsmethode
Ein Tumor im Kopf. In riskanter Lage. Er liegt unmittelbar neben den Sehnerven. Eine große Herausforderung für die Mediziner. Wie kann der Tumor beseitigt bzw. sein Wachstum gestoppt werden, ohne die Sehnerven zu beschädigen?
Noch vor wenigen Jahren mussten diese Patienten nach Heidelberg oder Berlin geschickt werden. Doch seit 1998 wird in der Greifswalder Klinik für Strahlentherapie ein hochmodernes Verfahren praktiziert, das den Einsatz von Skalpellen oder riskanteren großflächigen Bestrahlungen in solchen Fällen überflüssig macht - die stereotaktische Bestrahlung. Mittlerweile haben die Greifswalder Strahlentherapeuten auf diesem Gebiet so eine hohe Professionalität erlangt, dass sie in der Fachpresse von sich reden machen.
Was ist das Besondere? Die Strahlendosis erreicht punktgenau den Tumor. Das benachbarte Gewebe hingegen bleibt relativ unberührt. Früher brachten Bestrahlungen erhebliche Nebenwirkungen mit sich, weil sie auch das gesunde Gewebe rund um den Tumor trafen und krank machten, erklärt Prof. Jürgen Hüttner, Direktor der Greifswalder Klinik für Strahlentherapie. Bei dem neuen Verfahren wird der Tumor mit einem Linearbeschleuniger nacheinander aus allen Richtungen bestrahlt. Zwischen 5 und 9 Strahlen nehmen das Tumorgewebe quasi ins Kreuzfeuer. Die Dosierung der Strahlen wird von den Fachphysikern Dr. Manfred Maaß und Dipl. Ing. Sven Aschmetat so berechnet, dass sie an ihrem Bestimmungsort die stärkste Wirkung erreicht.
Mittels Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) wird vorher die Lage des Tumors millimetergenau festgestellt. Beide Aufnahmen zusammen sind erst richtig präzise. Ein Computerprogramm verwandelt sie in dreidimensionale Bilder. Dann werden hier die Strahlendosen und -einstellungen durchgerechnet und alle erdenklichen Varianten theoretisch ausprobiert. "Wir entscheiden uns für die Methode, bei der das kranke Gewebe optimal bestrahlt und das gesunde verschont wird", sagt Dr. Elke Asse, Fachärztin für Strahlentherapie. Der Linearbeschleuniger wird mit dem Computerprogramm "gefüttert". Er verfügt über ein System von feinen Lamellen, welche die Umrisse des Tumors genau nachzeichnen und das umgebende Gewebe vor den Strahlen abschirmen. Nicht jeder Hirntumor sei für dieses Verfahren geeignet, erklärt Dr. Kirsten Helke, ebenfalls Fachärztin für Strahlentherapie. Völlig ungeeignet seien solche, die fingerförmig ins Gewebe einwachsen. Bei scharf begrenzten hingegen, die sich in der Nähe von Nervenbahnen befinden, ist diese Methode die erste Wahl. Infrage kommt eine einmalige hochdosierte Bestrahlung oder eine über mehrere Tage verteilte Therapie.
Der Patient merkt von der ganzen Prozedur nicht viel. Am anstrengendsten ist für ihn wohl das Stillhalten. Um den Tumor haargenau zu treffen, ist eine Fixierung des Schädels unabdingbar. Bei einmaligen Bestrahlungen geschieht dies mit einem Dornenring, der unter örtlicher Betäubung am Schädelknochen befestigt wird. Für mehrmalige Bestrahlungen wird für jeden Patienten eine Maske aus Kunstharz angefertigt, welche die Konturen des Kopfes nachbildet. Maske oder Dornenring sind dann am Bestrahlungstisch festgeschraubt, so dass der Patient den Kopf wirklich nicht bewegen kann.
Bei Tumoren im Körper ist die Stereotaxie weniger geeignet. "Die Organe ob Herz, Niere, Bauchspeicheldrüse sind in Bewegung", sagt Elke Asse. Da sei eine punktgenaue Bestrahlung nur unter enormem Aufwand möglich.
SILKE ZSCHÄCKEL
Greifswald (OZ 26.04.02)