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Thema: Presse: Immuntherapie beim Glioblastom

Presse: Immuntherapie beim Glioblastom
muggel
20.03.2020 08:24:26
Interview mit Dr. Manmeet Ahluwalia, Neuroonkologe an der Cleveland Clinic https://my.clevelandclinic.org/staff/13740-manmeet-ahluwalia
09.03.2020

Dr. Haffizulla: Können Sie uns einiges zum Thema Immuntherapien beim Glioblastom berichten?

Dr. Ahluwalia: Wie Sie wissen, gab es im letzten Jahrzehnt eine Menge Aufregung um die Immuntherapie bei Krebs. Beim Glioblastom waren die Immuntherapie-Ansätze nicht so erfolgreich, wie wir es uns gewünscht hätten. Aber diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Eine der größten Immuntherapie-Studien war die mit einem Medikament Nivolumab beim rezidivierendem Glioblastom. Es handelte sich um eine Studie mit über 340 Patienten, bei der eine Eins-zu-Eins-Randomisierung von Nivolumab im Vergleich zu Bevacizumab durchgeführt wurde. Nivolumab ist ein Medikament, das auf den Anti-PD-1-Signalweg abzielt. In dieser Studie fanden wir heraus, dass Nivolumab weder das progressionsfreie Überleben noch das Gesamtüberleben bei Patienten mit rezidivierendem Glioblastom verlängerte.

Es gab jedoch zwei große Studien, die sich mit Nivolumab in einer Erstlinienbehandlung des Glioblastoms befassten. Die eine war eine Kombination aus Nivolumab und Strahlentherapie, die mit Nivolumab und Temozolomid bei Patienten mit einem unmethylierten MGMT-Promotortyp verglichen wurde. Was wir wissen, ist, dass Temozolomid, das eine orale alkylierende Chemotherapie ist, bei Patienten mit unmethyliertem Typ keinen großen Nutzen hat. Daher gab es am Anfang dieses Jahres eine Pressemitteilung, die informierte, dass die Kombination von Nivolumab und Strahlentherapie nicht besser war als Temozolomid und Strahlentherapie.

Die nächste Studie war CheckMate 548, eine Kombination aus Nivolumab, Strahlentherapie und Temozolomid, im Vergleich zu Temozolomid und Strahlentherapie. Diese Studie hatte zwei Endpunkte: das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben. Und erst letzten Monat erhielten wir eine Pressemitteilung, aus der hervorging, dass die Studie diesen primären Endpunkt, das progressionsfreie Überleben, nicht erreichte. Wir warten jedoch immer noch auf Daten, um herauszufinden, ob die Kombination einen Einfluss auf das Gesamtüberleben haben könnte.

Nun gibt es andere Ansätze, um Krankheiten wie das Glioblastom gezielt zu bekämpfen oder eine Immuntherapie einzusetzen, und einige dieser Ansätze können entweder auf Viren basieren, also auf onkolytischen Viren oder auf sich replizierenden Viren. So konzentrierte sich eine Studie, die auf der SNO 2019 vorgestellt wird, auf Toca 511, einen retroviralen Vektor. Dieses Gen wandelt ein Medikament, in 5-Fluorouracil um. Über die Studie wurde hier auf der SNO-Tagung in Phoenix im Jahr 2019 berichtet.

Unglücklicherweise wurden rezidivierendes Glioblastom und rezidivierendes anaplastisches Astrozytom gemeinsam untersucht, so dass es sich um eine Studie nit höhergradigen Gliomen handelte. Die Studienergebnisse verfehlten den primären Endpunkt, als sie mit der Standardbehandlung verglichen wurden. Das Gesamtüberleben war in beiden Armen in der Größenordnung von etwa durchschnittlich elf Monaten vergleichbar.

Dies war also leider ein weiterer Schritt, der nicht in die richtige Richtung ging. Was wir jedoch bei unseren Forschungen herausgefunden haben, ist, dass manchmal Modalitäten, die beim rezidivierenden Glioblastom nicht funktioniert haben, wie das Temozolomid oder die TT-Fields, in der Anfangsphase der Therapie einen Überlebensvorteil bringen könnten. Und die Immuntherapie braucht tatsächlich einige Zeit, um zu wirken, und das rezidivierende Glioblastom ist eine sehr schnell wachsender Tumor. Es gibt also immer noch einen großen Enthusiasmus in der von den NRG geleiteten Studie, die sich mit dem Toca 511-Virus zusammen mit Toca FC bei neu diagnostiziertem Glioblastom mit einer Kombination aus Chemotherapie und Strahlentherapie befasst. Wir und mehrere andere sind an dieser Studie beteiligt, und wir hoffen, dass die Studie Anfang 2020 aktiviert wird.

Dr. Haffizulla: Das klingt aufregend, und wir freuen uns darauf, mehr darüber zu hören. Nur um noch einmal auf die Immuntherapie zurückzukommen: Warum waren diese Ergebnisse Ihrer Meinung nach so enttäuschend?

Dr. Ahluwalia: Ich denke, die Herausforderung für uns ist, dass das Glioblastom zunächst einmal ein sehr immunsuppressiver Tumor ist. Glioblastom-Patienten haben im Vergleich zu anderen Menschen 12-mal mehr myeloische Suppressorzellen, so dass es sich zunächst einmal um einen immunsuppressiven Tumor handelt. Darüber hinaus ist es ein sehr infiltrierender Tumor, der tief ins Gehirn eindringt, so dass er eine starke Schwellung oder ein Ödem auslöst, und wir verwenden eine beträchtliche Menge an Steroiden, um dieses Ödem tatsächlich zu bekämpfen. Steroide sind immunosuppressiv. Und wenn wir dann noch einen Patienten mit einem rezidivierenden Glioblastom haben, bekommt die Immuntherapie vielleicht nicht die 3 bis 4 Monate, die sie braucht, um das Immunsystem zu aktivieren, um tatsächlich bessere Ergebnisse zu erzielen.

Was wir bei der Toca 511-Studie herausgefunden haben, war also sehr vergleichbar mit dem, was wir bei der CheckMate 143-Studie herausgefunden hatten, dass die Zeit bis zum Fortschreiten der Krankheit im Median bei ziemlich genau 6 bis 8 Wochen lag, und das ist nicht genug Zeit, um mit dieser Immuntherapie zu arbeiten, und daher besteht immer noch Interesse daran, die Immuntherapie in einer Firstlinetherapie zu untersuchen, in der Sie vielleicht 6 bis 8 Monate benötigen, bis der Effekt der Immuntherapie einsetzt.
muggel
GMT
20.03.2020 09:40:24
So gut es ist, neue Informationen zu teilen, so schlecht ist es auch, das man damit so gut wie nichts anfangen kann.

Ein Glioblastom ist ein "immunsupressiver Tumor" - hm - also ein Immunsytem unterdrückende Erkrankung.....

Alle Chemotherapien - egal mit welchem Mittel erhöhen auf keinen Fall das Immunsystem oder helfen da sondern machen genau das Gegenteil....wird damit nicht dem Glioblastom sogar noch der "rote Teppich" ausgerollt?

Keiner scheint darüber nachzudenken, dass man eventuell mal mit Probiotika Studien erarbeiten könnte?
GMT
fasulia
20.03.2020 10:33:25
@GMT
"Keiner scheint darüber nachzudenken, dass man eventuell mal mit Probiotika Studien erarbeiten könnte?"

doch gibt es!
die Forscher sind da dran...
in der Zeitschrift Nervenheilkunde 1-2/2020
ist ein Artikel von Neuroonkologen mit dem Titel
"Darmmikrobiom bei primären Hirntumoren"

ich kriege das im Moment nicht hin eine Kurzfassung des Artikel oder das am Ende des Artikels zu lesende Fazit für die Praxis abzuschreiben.
fasulia
fasulia
20.03.2020 10:38:24
im Vorspann steht: "In der vorliegenden Arbeiten werden Mechanismen dargestellt, die bei einer möglichen Interaktion zwischen Mikrobiom und Hirntumoren eine Rolle spielen können.Dabei steht die Schranke vom Darmepithel zum peripheren Blut zum Gehirn im Mittelpunkt im Mittelpunkt des Interesses."
Die Neurologen sind an der Universität Regensburg angesiedelt.
fasulia
Eris
20.03.2020 15:59:26
@GMT
Immerhin erfährst Du ganz nebenbei von einem Experten, dass TTF in der Behandlung der wiederkehrenden Glioblastome keinen Nutzen brachten und eine derzeitige Immuntherapie in der Rezidivsituation witzlos erscheint, dass Immuntherapie zukünftig bei der Ersttherapie getestet wird und die Standardtherapie mit Strahlen- und Chemotherapie nach Stupp begrenzt wirksam ist.
Eris
GMT
20.03.2020 16:12:01
@Eris
Pauschal erfährt man - auch ohne diesen Experten, dass eigentlich KEINE Therapie etwas bringt.

Erfahren kann man jetzt auch, dass z.B. Steroide - wie Dexa, das Glioblastom unterstützen - aber interessiert das in der Behandlung?

Ersichtlich ist eigentlich nur, dass man leider die Globalisierung nicht dafür nutzt um ZUSAMMEN zu arbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen um dann auch mal vorwärts zu kommen....
Wenn man hier angeblich erfährt, dass ein Glioblastom-Betroffener ->
Zitat: "Glioblastom-Patienten haben im Vergleich zu anderen Menschen 12-mal mehr myeloische Suppressorzellen, so dass es sich zunächst einmal um einen immunsuppressiven Tumor handelt.
Darüber hinaus ist es ein sehr infiltrierender Tumor, der tief ins Gehirn eindringt, so dass er eine starke Schwellung oder ein Ödem auslöst, und wir verwenden eine beträchtliche Menge an Steroiden, um dieses Ödem tatsächlich zu bekämpfen. Steroide sind immunosuppressiv. …"

Wie soll eine Immuntherapie überhaupt wirken können wenn man von Beginn an kontraproduktive Medikamente und Therapien einsetzt?

Die Stupp-Therapie ist eben nicht wirksam - außer wenn man "begrenzt" damit meint, dass der Betroffene länger diese Therapie machen kann mit bekannten Ausgang.
GMT
paolo
20.03.2020 19:09:10
Bei allem Respekt, @GMT,

aber der Aussage dass eigentlich keine Therapie etwas bringt, und die Stupp Therapie nicht wirksam sei, muss ich vehement widersprechen.
Natürlich braucht es bessere Therapien, und es gibt einige vielversprechende Ansätze die in den kommenden Jahren hoffentlich den lang ersehnten Durchbruch bringen werden.
Aber in der Gegenwart muss man mit den Mitteln arbeiten die zur Verfügung stehen, und die sich bewährt haben.
Im Vergleich zum Stupp-Protokoll scheint lediglich die Hinzunahme von CCNU/Lomustin bei methyliertem MGMT Promoterstatus laut den Ergebnissen der NOA-09/CeTeG Studie noch besser zu wirken.
Obwohl ein Glioblastom eine beschissene Diagnose und immernoch unheilbar ist, kann man versuchen mit Therapie so viel Zeit wie möglich bei relativ guter Lebensqualität herauszuholen.
Oder aber man verzichtet auf die Therapien und stirbt rein statistisch betrachtet deutlich früher.
Das muss jeder selbst entscheiden.

Ich möchte mal einen zeitlichen Überblick über die Entwicklung der Überlebenszeiten von Betroffenen seit der Zulassung von Temozolomid geben, worauf ja das Stupp-Protokoll basiert.

Vorweg:
Temozolomid wurde an der Universität von Birmingham entwickelt, und die Erstzulassung erfolgte 1999 in den USA.


Hier eine retrospektive Studie von 2015, welche 19674 Krankheitsverläufe zwischen 1993 und 2007 betrachtet:

"Adult glioblastoma multiforme survival in the temozolomide era:
a population-based analysis of Surveillance, Epidemiology, and End Results registries"
www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3235223/
PMCID: PMC3235223
PMID: 21882183
veröffentlicht in : Cancer, Band 118, Ausgabe 8, Seiten 2163-2172

Hypothese:
"We hypothesized that starting in 1999 we would observe a progressive improvement in survival, corresponding with the increasing prevalence of TMZ use."

Ergebnis:
"[...]Two-year survival increased from 7% among cases diagnosed in 1993–1995 and 1996–1998 to 9% among cases diagnosed in 1999–2001, 13% in 2002–2004, and 17% in 2005–2007. The disparity in survival between young and old patients increased in the temozolomide era, with two-year survival of 39% among cases diagnosed at ages 20–44 years and 1% among cases diagnosed at 80+ years in 2005–2007."
[...]"Other than the introduction of TMZ or other improvements in GBM treatment, there is no obvious explanation for the observed improvement in GBM survival.[...]"


Zusammengefasst:
2-Jahre Überlebensrate 1993-1995: 7%
2-Jahre Überlebensrate 1996-1998: 9%

Erstzulassung von TMZ 1999

2-Jahre Überlebensrate 2002-2004: 13%
2-Jahre Überlebensrate 2005-2007: 17% (39% für 20 - 44jährige Patienten)

Die Kaplan-Meier Kurven zu den Überlebenszeiten der jeweils betrachteten Zeiträume im Direktvergleich sind auch recht anschaulich.



Hier eine retrospektive Studie von 2013, welche 1645 Krankheitsverläufe zwischen 1997 und 2008 betrachtet:

"Time trends in glioblastoma multiforme survival: the role of temozolomide"
https://academic.oup.com/neuro-oncology/article/15/12/1750/1162723
PMCID: PMC3829590
PMID: 24046259
veröffentlicht in: Neuro-Oncology, Band 15, Ausgabe 12,1. Dezember 2013, Seiten 1750–1761

Ergebnis:
"[...]we observed a statistically significant improvement in survival among cases diagnosed in 2005–2008 compared with cases diagnosed in 1997–2000[...]
[...]Consistent with our hypothesis, we found this survival improvement to be completely explained by TMZ chemotherapy.[...]"



Und hier noch eine retrospektive Studie von 2017, welche die Krankheitsverläufe unter Berücksichtigung verschiedener Therapieformen zwischen 2005 und 2013 betrachtet:

"Long-term outcomes of concomitant chemoradiotherapy with temozolomide for newly diagnosed glioblastoma patients"
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5502175/
PMCID: PMC5502175
PMID: 28682902
veröffentlicht in: Medicine, Juli 2017 - Band 96 - Ausgabe 30 - p e7724

Ergebnis:
"[...]The median OS was 20.8 months.[...]The actuarial 1-, 3-, and 5-year OS rates were 79.8%, 28.2%, and 16.2%, respectively, and the actuarial 1-, 3-, and 5-year PFS rates were 54.1%, 14.4%, and 6.1%, respectively."

"The survival rate in patients with GBM is improved with surgery followed by CCRT plus TMZ."


Natürlich gibt es auch legitime Kritikpunkte für jede einzelne dieser Studien, aber in der Gesamtheit zeigt sich doch ein recht klarer Trend.
Stellt man dem nun die Verläufe von Patienten entgegen, die auf eine schulmedizinische, evidenzbasierte Behandlung verzichtet haben, kann man nur zum Schluss kommen, dass das Stupp-Protokoll, also eine Chemotherapie nach OP und Radiochemo mit Temozolomid, momentan ein probates Mittel zur Behandlung maligner Gliome ist, welches flächendeckend eingesetzt werden kann.
Es steht aber jedem Patienten frei, eine Therapie abzulehnen.

Nichtsdestotrotz sind sich Alle einig, dass das bei weitem noch nicht ausreicht, und dringend bessere Therapien benötigt werden. Deshalb wird ja auch so viel geforscht.

Und zum Thema Zusammenarbeit:
Wissenschaftliche Forschung war schon lange vor den Zeiten des Internets international eng verknüpft. Es hat schon seinen Grund, wieso Forschungsergebnisse in englischer Sprache veröffentlicht werden.

Die Zusammenarbeit findet immer mindestens dahingehend statt, dass spezielle Forschungsprojekte auf den Ergebnissen vorangegangener Arbeiten aufbauen, und wissenschaftliche Erkenntnisse keine Ländergrenzen kennen. D.h. eine Studie in den USA baut ggf. auf den Ergebnissen vorangegangener Studien aus Japan, der Schweiz oder Deutschland auf, und umgekehrt.
Auf Grundlagenforschung baut alle weitere Forschung auf, und verschiedene Einrichtungen und Projekte treiben bestimmte Schwerpunktbereiche gezielt weiter voran, auf deren Ergebnissen dann wiederum neue Studien und Forschungsprojekte aufbauen werden.
Es ist auch nicht so, dass die Forscher in den jeweiligen Nationen nur für sich arbeiten. Es gibt einen regen internationalen Austausch, wie man auch anhand der vielen internationalen Kongresse und Tagungen, oder auch multizentrischen Studien mit mehreren teilnehmenden Einrichtungen in verschiedenen Ländern sehen kann.
Dass diese Zusammenarbeit z.T. noch weiter optimiert, besser koordiniert und mitunter Ressourcen auch mal stärker gebündelt werden sollten, wird niemand bestreiten, aber es ist nicht alles so schwarz wie du es zeichnest.
paolo
GMT
20.03.2020 20:46:43
@paolo

Du kannst gerne widersprechen, habe da kein Problem mit.
MEINE Wahrnehmung ist da eine ganz andere und die Praxis zeigt es eben auch.

Die "Überlebensraten" sind nirgendwo tatsächlich korrekt erfasst.
Selbst beim Krebsinformationsdienst - da wird ICD 70 - 72 zusammengefasst, da findet man dann die angeblichen 20% - im begleitenden Text wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Glioblastom weit unter 10 % bleibt - leider werden so gar Doktorarbeiten danach geschrieben....

Was die Chemotherapie mit TMZ angeht, blendet man einfach aus, dass auch im Jahr 2005 das ALA zur Anwendung kam und so in großen Teilen Makroskopisch eine Komplettresektion des Tumor erfolgen konnte, hatten vorher NC fast blind arbeiten müssen und deshalb vorsichtig agiert - man hat maximal 85 % entfernt, sah die Situation nun anders aus.
Aus meiner Sicht Ist das eher der Grund weshalb die Betroffenen länger überleben - von der Lebensqualität abgesehen.

Es gibt bis heute nicht einen einzigen Beweis, dass TMZ oder ein anderes Medikament tatsächlich wirkt. WARUM es einige Langzeitüberlebende gibt, weiß man einfach nicht - das wurde auch genau so auf dem Hirntumorinformationstag so gesagt als man einen Langzeitüberlebenden vorstellte.

Und die so gerne benutzte "evidenzbasierte Medizin" arbeitet auch nach eigener Aussage nur mit Annahmen, Vermutungen und Daten, die aus Studien kommen - und selbst da sind merkwürdige "Datenlagen", die sich teilweise widersprechen.

Im oben genannten Interview habe ich eher rausgelesen, dass man bereits Bekanntes (TMZ hilft nicht beim Rezidiv, wird ja auch nicht mehr angewandt wenn unter TMZ zu 99% ein Rezidiv entstand) dann erst mit einer Immuntherapie angefangen werden sollte - wenn das Immunsystem schon durch die vorhergehende Therapie auf Null gefahren wurde....die Zeit gar nicht mehr ausreichend ist um eine solche Immuntherapie zu beginnen.

Realität hat nichts mit "schwarz" sehen zu tun.....deshalb muss man nicht des Kaisers neue Kleider sehen wo keine sind.....
GMT
paolo
20.03.2020 22:00:04
@GMT

moving the goalposts würd ich sagen.

In deinem Beitrag und in den Studien ging es um Chemotherapie bzw. das Stupp Protokoll (also Temozolomid), und nicht um die 5-ALA Fluoreszenstechnik.
Die Studien haben nur die Bedeutung von Temozolomid untersucht, deswegen ist dort auch nichts von 5-ALA zu lesen.
Wenn du das aber berücksichtigt haben möchtest,
musst du nur die 2-Jahres-Überlebensraten aus der Zeit vor der ersten Temozolomidzulassung mit der Zeit danach, bis zur Etablierung der 5-ALA Methode vergleichen, und den Zeitraum ab der ersten Temozolomidzulassung bis zur Etablierung der 5-ALA Methode mit der Zeit danach separat vergleichen (also 1999/2000 - 2005 und nach 2005).
Dort zeigt sich wiederum eine Verbesserung. Auch bessere bildgebende Verfahren, Computergestütze Neuronavigation, verbesserte OP Mikroskope, intraoperative MRT-Geräte etc. werden ihren Einfluss auf stetig steigende 1-,2-,5-Jahres-Überlebensraten haben.
Nur weil noch keiner eine Studie dazu angefertigt hat, heisst das nicht, dass es ausgeblendet wird.

Und wie Temozolomid wirkt, und was es auf molekularer Ebene macht, weiß man ziemlich genau. In einer sich teilenden Zelle bindet es eine Ethylgruppe and das Guanin in der zum Kopieren aufgespaltenen DNA-Sequenz, so dass dort keine komplementäre Aminosäure zur Bildung eines, das Erbgut der Zelle kodierendes, Basenpaar andocken kann, und so die DNA der Tumorzelle derart schädigt, dass hoffentlich keine lebensfähige Zellkopie gebildet werden kann.
Da das alles aber sehr komplex ist, und die Tumorzellen über Reparaturmechanismen und andere Signalwege verfügen, die diesen Wirkansatz aushebeln können, ist es auch so schwierig, ein geeignetes Mittel mit besserer Wirksamkeit zu finden.

Wissenschaftliches Arbeiten beruht übrigens auf der unabhängigen Reproduzierbarkeit der Ergebnisse. Das sind nicht nur Annahmen und Vermutungen.

Man muss auch nicht einen nackten Kaiser herbeifabulieren, wo keiner ist.
paolo
paolo
20.03.2020 22:04:41
Korrektur:
*den von mir zitierten Studien (und ein paar Kommas, aber geschenkt)

Leider scheint die Bearbeitungsfunktion in diesem Thread für mich nicht zu funktionieren.
paolo
KaSy
21.03.2020 00:15:26
Zitat von "GMT":
"Im oben genannten Interview habe ich eher rausgelesen, dass man bereits Bekanntes (TMZ hilft nicht beim Rezidiv, wird ja auch nicht mehr angewandt wenn unter TMZ zu 99% ein Rezidiv entstand) dann erst mit einer Immuntherapie angefangen werden sollte - wenn das Immunsystem schon durch die vorhergehende Therapie auf Null gefahren wurde....die Zeit gar nicht mehr ausreichend ist um eine solche Immuntherapie zu beginnen."


Aber der letzte Nebensatz des für uns von "Neon" herausgesuchten und zitierten Interwievs lautet doch:
"... und daher besteht immer noch Interesse daran, die Immuntherapie in einer Firstlinetherapie zu untersuchen, in der Sie vielleicht 6 bis 8 Monate benötigen, bis der Effekt der Immuntherapie einsetzt."
KaSy
GMT
21.03.2020 09:31:22
@paolo
es ist durchaus möglich, dass Du vielleicht als Fachmann diese "Studien & Forschungsarbeiten" anders liest als z.B. ich oder jeder andere Laie, der damit konfrontiert wurde und praktisch anderes erlebt.

Ich habe in den letzten 3 Jahren zig 'Arbeiten' gelesen, übersetzt und verglichen und bin zu anderen Gedankengängen gekommen als offiziell erlaubt.

aus einem deiner Links habe ich da Folgendes:
"Im Jahr 2005 wurde die maximale sichere chirurgische Resektion, gefolgt von einer Strahlentherapie mit dem gleichzeitigen Temozolomid (TMZ), gefolgt von adjuvanten TMZ zum Standard der Versorgung mit Glioblastom (GBM). Darüber hinaus kam es in den USA zwischen 1999 (als TMZ erstmals eingeführt wurde) und 2008 zu einer bescheidenen, aber aussagekräftigen überlebensbasierten Überlebensverbesserung bei GBM-Patienten. Wir vermuteten, dass die TMZ-Nutzung diese GBM-Überlebensverbesserung erklärt hat.
….. Wir verglichen das Überleben in drei Diagnoseperioden (1997–2000, 2001–2004 und 2005–2008) anhand von Kaplan-Meier-Kurven. Wir verwendeten proportionale Gefahrenmodelle, um Perioden-Hazard-Ratio-Verhältnisse (HRs) und 95% Konfidenzintervalle (CIs) zu berechnen, die um demografische, klinische und Behandlungskovariate bereinigt wurden."

Auch die Kaplan-Meier Kurve geht von Schätzungen und Rechenmodellen aus....

Also, bitte nicht nur als Kritik sehen sondern einfach nur als andere Perspektive betrachten.
GMT
GMT
21.03.2020 09:36:23
@Kasy

Ich habe diesen letzten Nebensatz gelesen - und vielleicht liegt der Denkfehler auch bei mir....
Eine Chemotherapie bedeutet ja nicht nur, dass da nur Krebszellen am "falschen Teilen" gehindert werden, es handelt sich um eine systemisch arbeitende Therapie, die das gesamte Immunsystem ausschaltet.
Wenn ich das richtig verstehe, soll eine Immuntherapie aber genau das Gegenteil erreichen - nämlich das Immunsystem zu aktivieren.

Daraus ergibt sich für mich der Widerspruch in der Behandlung.
GMT
paolo
21.03.2020 12:56:34
@GMT,

ich bin auch kein Fachmann und meine Sichtweise ist genauso fehleranfällig wie die anderer Menschen.
Ich habe nur den Eindruck bekommen, dass du hier Zweifel säst, und evtl. der ein oder andere stille Mitleser, der gerade selbst darüber entscheiden muss, ob er die Standardtherapie beginnen soll oder vielleicht sogar gerade mitten in einem laufendem Einnahmezyklus ist, und sich wegen dem Medikament eh schon richtig mies fühlt, ins Grübeln kommt, ob er die Therapie durchziehen soll, und seinen Ärzten vertrauen kann.
Er denkt sich vielleicht: "Wenn es eh nichts bringt, dann kann ich es ja gleich sein lassen", "ist doch eh nur gut für die Pharmakonzerne" oder hat ähnliche Gedankengänge, die ihn schlimmstenfalls zum Abbruch der Therapie bewegen könnten.
Dass du evidenzbasierte Medizin in Anführungszeichen gesetzt hast, kann man so deuten, dass du sie als nicht legitim, als fehlgeleitet oder unbegründet ansiehst.
Ich würde d`accord gehen mit dem Einwand, dass es eine elegantere Möglichkeit geben muss, die Tumorzellen am Wachstum zu hindern, ohne dabei den Vorschlaghammer einzusetzen, also quasi den ganzen Körper zu vergiften. Aber momentan ist das eine der wenigen erprobten Möglichkeiten, die der Medizin zur Verfügung stehen, um einem malignem Gliom etwas entgegen zu setzen.
Auch, dass es ab einem gewissen Punkt in der sehr spezialisierten Forschung mit den heutigen Werkzeugen nicht mehr ohne Guesswork, also Annahmen und Vermutungen geht, ist ein legitimer Kritikpunkt.
Die Annahmen und Vermutungen basieren aber auf Modellen, welche sich im Laufe der Zeit durch fortwährende Grundlagenforschung etabliert haben, und immer wieder auf die Probe gestellt und ggf. angepasst und präzisiert oder durch bessere Modelle ersetzt werden.
Wir können nur versuchen, uns Stück für Stück der Lösung dieses Rätsels der Natur zu nähern, und momentan sind wir in einer Situation wo wir zwar ein ganz gutes Verständnis von der Problematik haben, und ungefähr wissen, wo wir ansätzen können, aber die Werkzeuge noch nicht so richtig passen.
Aber wegen des immer schnelleren Fortschritts ist ein Heilmittel vielleicht gar nicht mehr so weit entfernt, und als nächstes Etappenziel sind ja schon ein paar Sachen in Sichtweite (Immuntherapien, CAR-T Zellen, onkolytische Viren, CRISPR, neue Substanzen und/oder bessere Applikationsmöglichkeiten etc.).
Bis wir soweit sind, müssen wir aber die Mittel einsetzen, die zur Zeit den bewiesenermaßen besten Nutzen versprechen.
paolo
KaSy
21.03.2020 13:01:54
@GMT
Sie haben selbst oft geschrieben, dass die Unterdrückung des Immunsystems durch die Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt.

Nun gibt es Studien, die zwar eine deutlich verlängerte Lebenszeit mit OP und Strahlen/Chemotherapie bestätigen, aber die Ärzte und Forscher möchten mehr.

Warum sollte diesen vielen Versuchen nicht der gegensätzliche Versuch mit dem Verzicht auf Chemo- und Strahlentherapie und Operation (?) und statt dessen der gezielten Stärkung des Immunsystems folgen?

Höhergradige Hirntumoren sind nicht heilbar, deswegen sollte jede Auseinandersetzung mit den bisherigen Therapien und jegliche kreative Versuche mit anderen Varianten erwünscht sein.
KaSy
GMT
21.03.2020 13:31:32
@paolo

Es geht nicht darum, "Zweifel zu säen" sondern darum, bewusst damit umzugehen. Dieses Hirntumorforum gibt es ja gerade weil die Betroffenen und ihre Angehörigen sonst wenige Ansprechpartner haben, die ihnen Informationen und Hilfe geben können.
Zitat: "Dass du evidenzbasierte Medizin in Anführungszeichen gesetzt hast, kann man so deuten, dass du sie als nicht legitim, als fehlgeleitet oder unbegründet ansiehst."
Nein - das ist nicht der Grund.
Ich störe mich eher daran, dass den Menschen durch den Begriff "Evidence - Beweis" suggeriert wird, dass es tatsächlich so ist.

Zu dem Rest Deines Beitrages kann ich absolut zustimmen und sehe es auch so - allerdings würde ich es begrüßen, wenn man genau so mit den Betroffenen reden würde - das ist für mich Ehrlichkeit und trägt der Hoffnung, die JEDER Mensch bis zur letzten Sekunde hat, nichts ab.
GMT
GMT
21.03.2020 13:45:36
@KaSy
Zitat: "Sie haben selbst oft geschrieben, dass die Unterdrückung des Immunsystems durch die Chemotherapie nicht den gewünschten Erfolg bringt."
Nicht nur den "nicht gewünschten Erfolg bringt" sondern dem Betroffenen noch mehr Leid zufügt als ohnehin durch die Erkrankung folgt.

Traurig machen dann eher solche Ansagen:
"Dies war also leider ein weiterer Schritt, der nicht in die richtige Richtung ging. "

Es wird fast immer die "die gleiche Richtung" gegangen. Auch in den von @paolo eingestellten Links liest man dann, dass die (vorher angekündigten großartigen) Fortschritte doch nur "übersichtlich" waren oder unter den Erwartungen blieben.

Ich bin für JEDE Variante, die man probieren möchte, könnte, wollte und würde mich sogar freuen für die Betroffenen wenn auch Erfahrungsbasierte Therapien Einzug halten würden im Interesse aller.
GMT
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