Katja[a]
Jeder kleine Fortschritt ist eine Chance
Nicola Siegmund-Schultze und Thomas Kron
Krebs gibt es nicht. Es gibt nur Krebse. In fast jedem Organ kann sich ein Malignom entwickeln, aus nahezu allen Typen von Zellen. Daraus entstehen Tumore mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften, und entsprechend unterschiedlich ist die Therapierbarkeit der Patienten. Je größer die Fortschritte auf dem Gebiet der Tumorbiologie, desto klarer wird, wie kompliziert sie ist.
Bei der diesjährigen Tagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago ist deutlich geworden, daß auch die Onkologen schrittweise lernen. Aus theoretischen Überlegungen, Grundlagenforschung und präklinischen Studien lassen sich vielversprechende Therapiestrategien ableiten. Fast 400 Mittel gegen Krebs stecken in den Pipelines.
Die klinische Anwendung ist natürlich die Nagelprobe, und dabei tun sich meist weitere, bis dato unbekannte Aspekte auf. Wegen des langen Entwicklungsprozesses neuer Behandlungsmethoden gibt es selbst auf großen Tagungen selten völlig Überraschendes. Aber es gibt Fortschritte, die Aufsehen erregt haben. Und davon stellen wir Ihnen einige vor.
Die Neubildung von Blutgefäßen in Malignomen ist seit drei Jahrzehnten ein Schwerpunkt der Tumorbiologen, solide Tumore künftig "aushungern" zu können durch Hemmung der Angiogenese der dazugehörige Hoffnungsträger.
Jetzt zeigt sich: Das Prinzip funktioniert. Bevacizumab, ein monoklonaler Antikörper gegen den Wachstumsfaktor VEGF, vermag das Leben von Menschen mit metastasiertem kolorektalem Karzinom zu verlängern, allerdings nicht als Monotherapie, sondern als Ko-Medikation zu einer Standardbehandlung. Und der Antikörper wirkt bei den einzelnen Tumor-Entitäten unterschiedlich.
Angiogenese und Proliferation hemmen die Tyrosinkinase-Hemmer. Zu den Prototypen dieser Substanzen gehören Herceptin, zuerst beim Mammakarzinom eingesetzt, und Imatinib, bei Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie verwendet.
Für beide wird an Indikationserweiterungen geforscht, und zugleich sind mehrere neue Tyrosinkinase-Hemmer in klinischer Erprobung. Darunter Cetuximab, ein Antikörper gegen den Rezeptor des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF). Er wirkt offenbar synergistisch mit Irinotecan beim metastasiertem kolorektalen Karzinom.
Ähnlich wie Imatinib für Leukämien mit bestimmten Genmutationen maßgeschneidert worden ist, soll PKC 412, ein neuer Tyrosinkinase-Hemmer, gezielt gegen akute myeloische Leukämie (AML) wirken. Auch hier wird zunächst auf bestimmte Genveränderungen getestet. Die Ergebnisse einer Phase-II-Studie mit AML-Patienten sind vielversprechend.
Diese Substanzen sind Beispiele für das "molecular targeting" in der Krebstherapie, also für das Bemühen um sehr spezifische und besser verträgliche Behandlungen von Tumorpatienten.
Aber natürlich gibt es auch Fortschritte mit Substanzen, die schon lange angewendet werden, in neuen Kombinationen. So hat eine Phase-III-Studie mit 1867 lungenkrebskranken Probanden (NSCLC Stadien II und III) ergeben, daß eine Standard-Chemotherapie nach Tumorresektion die Überlebensrate um fünf Prozentpunke (absolut) nach fünf Jahren erhöht. Die Ergebnisse der Studie dürften die Empfehlungen zur Therapie künftig verändern.
Und ebenfalls in einer Phase-III-Untersuchung ist belegt worden, daß Oxaliplatin in Kombination mit 5-FU und Leucovorin die Ansprechrate bei metastasiertem kolorektalem Karzinom im Vergleich zur Mono- oder Zweifachtherapie erhöht.
In der klinischen Onkologie geht es also voran, in kleinen Schritten, aber immerhin. Das wird in naher Zukunft nicht anders sein, trotz zahlreicher Substanzen, die ein neues Wirkprinzip haben. Krebs ist ein starker Gegner. Aber für den einzelnen ist jeder kleine Fortschritt eine Chance.
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